Die verhängnisvolle Mauschelei zwischen Politik und Industrie
BERLIN. - Seit vielen Jahren ist es bekannt: In Berlin gibt es etwa 6.000 Interessenvertreter der Industrie, als Lobbyisten bezeichnet. Eine Vielzahl von ihnen hat freien Zugang zum Bundestag und den Abgeordneten. Sie werden in ihrer intransparenten Freiheit im Kontakt mit Politikern besser gestellt als die dort tätigen Journalisten.
Bekannt ist ebenfalls, dass gerade in letzter Zeit die meisten Gesetzesentwürfe vieler Ministerien nicht von den dort beschäftigten Juristen, sondern von den Industrievertretern formuliert und oft wörtlich übernommen wurden.
Man kann es fast glücklichen Umstand nennen, dass mittlerweile das Bundesverfassungsgericht viele Texte umschreibt und somit der Bundesbürger nicht völlig ungeschützt der Industrie zur Ausbeute vorgeworfen wird.
Denn die Bundesregierung scheint sich für das Wohl der Bürger nicht mehr zu interessieren, als Beispiele können das Verkehrs-, Gesundheits-, Umwelt- und Landwirtschafts-, Arbeits- und Justizministerium dienen.
Wie „Lobbycontrol“ im Jahr 2017 feststellt, nehmen schätzungsweise 20.000 Lobbyisten in Brüssel Einfluss auf die EU-Institutionen. Etwa 70 Prozent davon sollen für Unternehmen und Wirtschaftsverbände arbeiten. Auch sie genießen privilegierte Zugänge zu den Kommissaren.
Und sie überhäufen die Abgeordneten mit ihren Änderungsanträgen für Gesetzesvorlagen. Die europäische Demokratie läuft laut Lobbycontrol Gefahr, endgültig zugunsten eines wirtschaftsdominierten Europas ausgehöhlt zu werden.
Ein aktuelles Beispiel für die ungesunde Zusammenarbeit führender Politiker mit der Industrie lieferte gerade der niedersächsische Ministerpräsident Stephan Weil (SPD). Er hatte unbestritten den Redetext einer Regierungserklärung im niedersächsischen Landtag im Jahr 2015 dem VW-Konzern vorab zur Überarbeitung zur Verfügung gestellt. Um rechtliche und faktische Fehler ausmerzen zu lassen, wie Weil jetzt behauptet.
Jeder verantwortungsvolle Journalist lässt seine kritischen Texte vom Hausjuristen oder von unabhängigen Fachleuten vor der Veröffentlichung auf sachliche oder juristische Fehler überprüfen. Es dient der eigenen Sicherheit. Von daher wäre das Vorgehen Stephan Weils nicht ungewöhnlich.
Aber er hat sein komplettes Redemanuskript vorab an VW geschickt, nicht nur die juristisch möglicherweise angreifbaren Passagen. Und das ist nicht üblich. Das ist ein Kotau vor den heimlich Regierenden in Deutschland.