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Klima: Waldwildnis ist der falsche Weg

Werden geerntete Bäume zu Holzprodukten verarbeitet, stellt dies eine Erweiterung des C-Waldspeichers dar.

Den Wald nur noch extensiv zu nutzen, schadet dem Klima aus wissenschaftlicher Sicht.

Prof. a.D. Roland Irslinger ruft nach Generationengerechtigkeit. Fotos: Büro Islinger

Im Rahmen der Klimaschutzstrategie fordern Politiker, Teile des Waldes nicht mehr oder nur noch extensiv zu nutzen, um mehr Kohlenstoff darin zu speichern. Forstwissenschaftler bezeichnen dieses Ziel als Luftbuchung

TÜBINGEN. - Mit dem neuen Klimaschutzgesetz hat die Bundesregierung für die Jahre 2030, 2040 und 2045 festgelegt, welche Beiträge der Sektor Land- und Forstwirtschaft zur Senkung der Treibhausgasemissionen leisten soll.

Die Wälder in Deutschland sollen fortlaufend mehr Kohlendioxid (CO2) aufnehmen und so eine C-Senke bleiben. Bis zu einer Milliarde Tonnen CO2 will man zusätzlich zu den heutigen Vorräten im deutschen Wald binden.

Die Forderung ist nicht neu. Schon im Jahr 2018 verlangte das Öko-Institut in der Studie „Waldvision“ als Auftragsgutachten von Greenpeace einen Umgang mit dem Wald, der mit weniger Waldpflege auskommt, dafür mehr Klima:

Waldwildnis ist der falsche Weg natürliche Prozesse zulässt und auf 17% der Waldfläche vollständig auf eine Holznutzung verzichtet. In ihrem Strategiepapier „Waldschutz ist Klimaschutz“ wollen Bündnis90/Die Grünen sogar eine „Urwald-Offensive“ starten.

Doch nützt diese Sichtweise dem Klima wirklich? Aus wissenschaftlicher Sicht schadet dieser Ansatz sogar dem Klima und missachtet obendrein EU-Recht. Die Gründe dafür werden im Folgenden erläutert.

STUDIE „WALDVISION“ AUF WACKELIGEN BEINEN Wie in der Studie „Waldvision“ aufgeführt, soll der teilweise oder komplette Verzicht auf Waldnutzung dazu führen, einen sehr viel höheren C-Speicher in den Wäldern aufzubauen als dies aktuell der Fall ist.

Würde man der Greenpeace-Studie folgen, käme dies einem Nutzungsverzicht von 15 bis 30 Millionen m³ Holz pro Jahr gleich.

Die Studienautoren verwenden für ihr Szenario Waldwachstumsmodelle und wollen damit bis zum Jahr 2102 voraussagen, wie stark sich das Wachstum und damit der CO2-Speicher unserer Wälder durch die Einschränkung der Nutzung entwickeln wird. Allerdings gehen die Modelle von falschen Annahmen aus und gefährden die Bemühungen zum Klimaschutz.

Die Gründe:

- Nirgendwo in Europa gibt es Referenzflächen entsprechender Größe, anhand derer man das Modell überprüfen könnte.

- Der Klimawandel mit häufigen trocken-heißen Sommern wird verstärkt zum frühzeitigen Absterben von Bäumen und Wäldern führen.

- Das starke Wachstum unserer Wälder in der Vergangenheit ist auch auf den hohen Stickstoffeintrag aus Landwirtschaft und Verkehr zurückzuführen. Dieser Eintrag wird in den nächsten Jahrzehnten zurückgehen und das Waldwachstum verlangsamen.

- Einzelne Wälder können zwar sehr alt werden, aber nicht ganze Waldlandschaften. Denn der Großteil der Wälder wird aufgrund von Störungen durch Trockenheit, Stürme und Insekten früher geschädigt.

Waldsspeicher ist bereits sehr hoch

Sowohl sich selbst überlassene Waldökosysteme als auch bewirtschaftete Wälder können im Einzelfall hohe Biomasse- und damit C-Vorräte aufbauen.

In Deutschland liegt der Holzvorrat (stehendes Lebend- und Totholz mit Rinde) mit 3,9 Mrd. m3 bzw. 358 m3 pro ha inzwischen auf Rekordniveau. In Bayern ist er – bedingt durch die das Waldwachstum begünstigenden hohen Niederschläge – mit rund 400 m3 am höchsten.

Die wenigen noch vorhandenen Primärwaldlandschaften (unberührte Wälder) Osteuropas haben Holzvorräte, die nur wenig über den Vorräten hierzulande liegen. Der Waldspeicher ist also bereits hoch.

Alte Wälder sind nicht grundsätzlich größere C-Speicher, weil Primärwaldzyklen lang anhaltende Zerfallsphasen aufweisen, die infolge von Absterbeprozessen der Bäume CO2-Quellen darstellen.

Zwischenfazit: Der Waldspeicher mitteleuropäischer naturnah bewirtschafteter Waldökosysteme ist ähnlich hoch wie er ohne Bewirtschaftung wäre.

Humus und Nährstoffe bleiben erhalten

Eine nachhaltige Waldbewirtschaftung hat zudem – anders als oft behauptet – keine negativen Auswirkungen auf den C-Vorrat im Humus der Waldböden. In Deutschland findet auch im Wirtschaftswald eine zusätzliche CO2-Bindung in einer Größenordnung von 2,75t CO2 pro Jahr und Hektar in den obersten 90 cm des Waldbodens statt.

Allerdings ist mittelfristig sowohl in Wirtschafts- als auch in Naturschutzwäldern mit einer Abnahme der C-Bodenvorräte zu rechnen. Dies ist aber auf die Erwärmung des Bodens im Zuge des Klimawandels mit in der Folge höheren Humus-Abbauraten zurückzuführen.

Kritiker des Wirtschaftswaldes argumentieren, dass mit der Holzentnahme aus dem Wald auch basisch wirksame Elemente wie Calcium, Kalium und Magnesium in zu großen Mengen abge

Alte Wälder sind labile Kohlenstoffspeicher

Die letzten Hitzesommer haben uns gezeigt, wie empfindlich Wälder auf Trockenstress reagieren. Zudem können Stürme und Insekten auch in Naturschutzwäldern zu großflächigen Störungen führen.

Wälder werden auch bei uns vermehrt durch Feuer vernichtet werden und dabei große Mengen an CO2 freisetzen – auch aus den Waldböden. Die steigenden Totholzmengen in Naturschutzwäldern erhöhen das Risiko zusätzlich und können Dörfer und Städte gefährden.

Das unkontrollierbare Risiko von CO2-Emissionen durch Störungen steigt mit zunehmendem Alter und Holzvorrat. Hochbevorratete Wälder sind unter dem Einfluss des Klimawandels nicht stabil.

Die Schlussfolgerung daraus: Die EU-Verordnung über die Einbeziehung der Emissionen und des Abbaus von Treibhausgasen aus Landnutzung, Landnutzungsänderungen und Forstwirtschaft schreibt vor, dass C-Speicher unbedingt langfristig stabil und anpassungsfähig sein müssen. Eine Speichererhöhung durch Nichtnutzung des Waldes verstößt insofern gegen EU-Recht.

Bauholz als Speicher

Für eine Nutzung des Waldes spricht auch Folgendes: Werden Bäume geerntet und zu Holzprodukten verarbeitet, bleibt Kohlenstoff im verarbeiteten Holz gespeichert und entlastet die Atmosphäre von CO2. Deshalb stellt der Holzproduktspeicher eine Erweiterung des Waldspeichers dar.

Zur Verdeutlichung: Ein m3 in einem Holzhaus verbauten Holzes bindet knapp eine Tonne CO2. Wird ein altes Holzhaus durch ein neues Haus aus Holz ersetzt, ändert sich die Speicherhöhe nicht.

Werden Häuser länger genutzt oder zusätzliche Häuser aus Holz gebaut, wächst der Produktspeicher und ist eine C-Senke. Nimmt der Speicher dagegen ab, ist er eine C-Quelle.

Etwa 30% des in Deutschland geernteten Holzes mündet in den Produktspeicher. Dabei ermöglichen Nadelbaumarten gegenüber Laubbaumarten eine höhere Ausbeute bei der Produktherstellung.

Holz ist ein Ersatz für fossile Brennstoffe

Werden aus dem geernteten Holz Produkte hergestellt, ist dies mit deutlich weniger fossilen CO2-Emissionen verbunden, als wenn Stahl, Aluminium, Glas oder Beton verwendet würde. Jeder m3 Holz im Dachstuhl eines Hauses vermeidet fossile Emissionen von etwa 1,5 t CO2.

Mit dem Bau von Ein- und Zweifamilienhäusern aus Holz statt aus mineralischen Bestandteilen lassen sich Treibhausgasemissionen von 35 bis 56% je Gebäude vermeiden.

Werden Holzprodukte am Ende ihres Lebensweges energetisch genutzt, gelangt das CO2 erst nach Jahren bzw. Jahrzehnten nach der Holzernte wieder in die Atmosphäre. Je langlebiger die Produkte, desto später und desto besser für das Klima.

Wobei auch hier wieder fossile Emissionen vermieden werden. Denn ein m3 Brennholz vermeidet etwa 0,6 t fossiles CO2. Holz, das im Naturschutzwald verrottet, setzt dieselbe Menge an CO2 frei wie Holz, das energetisch genutzt wird, allerdings ohne fossiles CO2 zu vermeiden.

Gegenwärtig bleiben etwa 10% des gefällten Holzes als Ernterückstände im Wald, 30% werden direkt als Brennholz genutzt und 30% entstehen als Verschnitt bzw. Reststoffe bei der Holzverarbeitung und werden ebenfalls energetisch verwertet.

Die restlichen 30% landen nach Jahrzehnten als Altholz im Heizkraftwerk. Zwischenfazit: Die am besten das Klima schützende Strategie ist, möglichst viel des geernteten Holzes zunächst zu Holzprodukten zu verarbeiten.

Zusammengerechnet wird durch diese Art der Holznutzung je m3 geerntetem Holz etwa eine Tonne fossiles CO2 vermieden. An der Nutzung von Holz als Energiequelle gibt es unberechtigte Kritik. Die energetische Nutzung von Holz sei wegen seiner geringen Energiedichte nicht CO2-neutral.

Richtig ist, dass bei der Verbrennung von Holz bezogen auf den Energiegehalt 75% mehr CO2 als bei der Verbrennung von Erdgas entsteht. Diese Tatsache ist aber für die Frage der CO2-Neutralität irrelevant.

Denn: Fossile Energieträger befördern Kohlenstoff aus der Erdkruste, wo er seit Jahrmillionen liegt, in den Kreislauf zwischen Biosphäre und Atmosphäre. Die energetische Nutzung von Holz setzt dagegen Kohlenstoff frei, der bereits Teil dieses Kreislaufs ist.

Die Verbrennung von Holz aus nachhaltiger Forstwirtschaft ist CO2-neutral, solange der C-Vorrat der Waldlandschaft durch das Nachwachsen der Bäume erhalten bleibt.

Der Einwand mit der Energiedichte wäre dann richtig, würde man einen Wald endgültig roden, um ihn zu verbrennen – dann würde das freigesetzte CO2 die Atmosphäre belasten. Ein weiterer Vorwurf lautet, es würde 100 Jahre dauern, bis der Kohlenstoff im nachwachsenden Baum wieder gespeichert sei, so lange würde das CO2 die Atmosphäre belasten.

Auch dieses Argument ist irreführend: Angenommen, in einem Modell-Wald stehen hundert Bäume und jeder Baum ist ein Jahr älter als der nächstjüngere und der hundertjährige Baum wird geerntet.

Die aus dem Wald exportierte Holzmenge ist bereits am Ende der folgenden Vegetationsperiode durch Photosynthese der restlichen 99 Bäume und der anstelle des gefällten Baumes wachsenden Keimlinge wieder nachgewachsen. Die Wald-Biomasse ist ein Jahr nach der Holzernte daher so groß wie zuvor.

Weitere Argumente

Zudem hat eine Nutzung des Waldes folgende Vorteile:

Eine Stilllegung von Wäldern ist nur in den wenigsten Fällen vorteilhaft für den Artenschutz. Gezielte Einzelmaßnahmen sind hier wesentlich erfolgversprechender.

Um die Nachfrage nach Holz zu befriedigen, sollte vorwiegend heimisches Holz genutzt werden. Vermehrte Holzimporte würden zur Abholzung von Naturwäldern z.B. in Sibirien führen und dort riesige Mengen an CO2 freisetzen.

Als Folge eines Verzichts auf Waldnutzung könnten großflächig Plantagen mit nicht-heimischen Baumarten entstehen, um den Holzbedarf für die klimagünstige Holzbauweise zu decken.

Weniger dichte Wälder trotzen dem Klimawandel besser: Kritiker der Waldwirtschaft behaupten oft, dichtere Wälder würden dem Klimawandel besser standhalten als gepflegte Wirtschaftswälder. Tatsächlich zeigen durchforstete Waldbestände eine bessere Wasserversorgung.

Denn der weniger dichte Wald lässt bei Niederschlägen mehr Wasser auf den Boden durch. Außerdem gehen in den dunklen Wäldern leicht die lichtbedürftigen Eichen verloren, die wir in wärmeren Zeiten dringend für den Walderhalt brauchen.

Schnell gelesen

Laut Klimaschutzgesetz sollen künftig bis zu einer Milliarde Tonnen CO2 zusätzlich zu den heutigen Vorräten im deutschen Wald gebunden werden.

Die Politik will dazu die Waldwirtschaft extensivieren – Forstwissenschaftler schlagen deshalb Alarm und belegen, dass dies dem Klima eher schadet.

Wichtig sei, heimisches Holz zu nutzen, um vermehrte Holzimporte – die z.B. zur Abholzung von Naturwäldern in Sibirien führten – zu vermeiden.

Die künftige Regierung müsse zügig umdenken – andernfalls rücken die Pariser Klimaziele in weite Ferne.

KOMMENTAR: So geht's nicht!

Der Ansatz der Bundesregierung, Wälder verstärkt zu C-Senken zu deklarieren, um bis zu einer Milliarde Tonnen Kohlendioxid zusätzlich zu den heutigen Vorräten zu binden, offenbart das Unvermögen der Regierenden, fossile Emissionen stärker zu reduzieren.

Statt diese durch Einsatz von Holz und Holzprodukten aus heimischen Wäldern zu vermeiden, lässt man sie weiter zu und will sie anschließend im Wald verstecken. Obwohl doch seit Rio der Grundsatz gilt: Vermeidung vor Kompensation.

Dieser untaugliche Versuch wird scheitern, die Pariser Klimaziele rücken in weite Ferne – Generationengerechtigkeit sieht anders aus!