Arbeit des Gesundheitsamtes genießt höchste Priorität
Interview mit Landrat Jan WecklerWETTERAUKREIS / FRIEDBERG. - Die zweite Welle der Pandemie hat Deutschland erfasst, die Inzidenz stieg bundesweit auf über 100 und auch im Wetteraukreis hat sich die Situation in den vergangenen vier Wochen dramatisch verändert.
Wir haben mit Landrat Jan Weckler über die aktuelle Situation gesprochen.
Frage: Herr Weckler, die Inzidenz im Wetteraukreis liegt am heutigen Tage bei rund 110. Vor vier Wochen waren wir noch bei einer Inzidenz von elf. Das heißt, innerhalb von vier Wochen hat sich die Inzidenz verzehnfacht.
Das bedeutet auch, dass die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Gesundheitsamtes bei der Kontaktnachverfolgung erhebliche Schwierigkeiten haben.
Jan Weckler: Wir rechnen mit sechs bis acht Kontaktpersonen pro Infiziertem. Bei mehr als 300 Infizierten pro Woche im Wetteraukreis bedeutet das mehr als 2.000 Kontakte, die alle angerufen und teilweise aufwändig und ausführlich informiert werden müssen, zum Teil erschwert durch Sprachschwierigkeiten.
Unzählige Datenmengen müssen dabei erfasst und dokumentiert werden. Das ist schon eine Ausnahmesituation.
Frage: Wie geht der Landkreis mit dieser Situation um?
Jan Weckler: Wir ziehen aus allen Fachbereichen mittlerweile Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter ab, um die Kolleginnen und Kollegen im Gesundheitsamt zu unterstützen.
Und wir werden weiter Personal abstellen, um diese wichtigen Arbeiten zu erledigen. Wir wollen die Kontrolle über das Virus behalten. Dabei hilft uns natürlich auch die aktuelle Änderung der Quarantäne-Verfügung des Landes Hessen.
Frage: Die bedeutet was?
Jan Weckler: Ab sofort gilt eine automatische Quarantäne für alle Personen, die mit einer positiv getesteten Person im Hausstand leben.
Dadurch müssen wir nicht mehr für jeden Einzelnen eine eigene Verfügung verschicken. Das war sehr aufwändig. Diese mussten, damit sie rechtskräftig sind, auch mit Postzustellungsurkunde verschickt werden.
„Sämtliche Verwaltungsaufgaben sind der Eindämmung und Bekämpfung der Pandemie unterzuordnen!“
Frage: Noch einmal zur Kontaktnachverfolgung und zur Arbeit im Gesundheitsamt. Was bedeutet das für die anderen Bereiche der Kreisverwaltung?
Jan Weckler: Ich sage ganz klar, sämtliche Verwaltungsaufgaben sind der Eindämmung und Bekämpfung der Pandemie unterzuordnen.
Aufschiebbare Verwaltungsaufgaben müssen zurückgestellt werden. Der ganze Fokus wird auf das Gesundheitsamt gerichtet.
Frage: Wie funktioniert das praktisch?
Jan Weckler: Wir haben insofern Glück, als dass das Haus der Umwelt jetzt fertiggestellt ist und dass das Bauamt jetzt in die neuen Räumlichkeiten zieht. Die hier frei werdenden Räumlichkeiten sollten ursprünglich zunächst saniert werden.
Das werden wir jetzt zurückstellen und die Räume inklusive eines Großraumbüros für Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter bereitstellen, die für das Gesundheitsamt wirken.
Frage: Der Einsatz von Bundeswehr kommt nicht in Frage?
Jan Weckler: Aktuell nicht. Wir brauchen zuerst Menschen, die sich in den Strukturen auskennen und aus der Region kommen und für die wir auch einen Arbeitsplatz zur Verfügung haben.
Wir bekommen ab der nächsten Woche Unterstützung durch fünf Landes- bzw. Bundesbeamte. Das sind Menschen, die sich freiwillig für den Dienst bei uns gemeldet haben und hier in der Region wohnen.
Frage: Wie kommt es, dass die Inzidenz heute fast zehn Mal so hoch ist wie noch vor vier Wochen?
Jan Weckler: Vieles hat offenbar auch damit zu tun, dass tatsächlich die kalte Jahreszeit kommt und die Menschen sich vermehrt in Räumen statt draußen aufhalten. Bei privaten Feiern und Veranstaltungen in geschlossenen Räumen haben sich viele infiziert.
Frage: Können Sie etwas sagen über die Infektionsgefahr durch Kontakte im Freien?
Jan Weckler: Da können wir alle nur auf die Fachleute verweisen. Das Ansteckungsrisiko im Freien soll durch Windzug relativ gering sein, wenn denn die Abstands- und Hygieneregeln eingehalten werden. Das wird auch durch die niedrigen Infektionszahlen während der Sommerferien bestätigt.
Frage: Es gibt immer wieder Forderungen nach Schließung der Schulen?
Jan Weckler: Ja. Aber hier muss man ganz klar sagen, die Schulen und die Kindergärten müssen so lange wie möglich offenbleiben. Auf der einen Seite, weil der Besuch von Kindergärten und Schulen unverzichtbar für die Entwicklung der Kinder und Jugendlichen, aber auch, weil wir die Wirtschaft am Laufen halten müssen.
Durch einen weiteren totalen Lockdown des ganzen Landes würde es zu erheblichen Folgen kommen, an denen wir möglicherweise Jahre und Jahrzehnte tragen müssten.
Aber vor allem muss man auch ganz nüchtern feststellen, dass die bisherige Erfahrung in der Pandemie ganz klar ergeben hat, dass Kitas und Schulen keine Orte sind, an denen ein besonderes Infektionsgeschehen nachgewiesen werden kann.
Frage: Nach welchen Kriterien wird im Gesundheitsamt getestet?
Jan Weckler: Wir arbeiten nach den Vorgaben des Robert Koch-Institutes (RKI). Die Testung von symptomatischen Personen steht an erster Stelle.
Frage: Das Gesundheitsamt testet selbst?
Jan Weckler: Wir fahren da mehrgleisig. Wir testen selbst, wo es ein Ausbruchsgeschehen gab, beispielsweise in Altenheimen oder in Gemeinschaftsunterkünften. Zudem haben wir Anfang Oktober das Testzentrum in Reichelsheim zusammen mit der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen eröffnet.
Die Funktionsweise ist so: Ein Mensch mit Symptomen ruft bei seinem Hausarzt an und berichtet von seinen Symptomen. In der Hausarztpraxis bucht man sich in ein extra dafür geschaffenes System ein, bekommt den nächsten freien Termin im Testzentrum, dazu einen vierstelligen Code.
Mit diesem vierstelligen Code geht man zu dem vereinbarten Termin in das Testzentrum und wird dort getestet. Das Ergebnis des Tests wird dann per SMS auf das Smartphone oder Handy übermittelt. Außerdem gibt es viele Hausärzte, die selbst testen.
Frage: Kann es dann nicht im Testzentrum zur Ansteckung kommen?
Jan Weckler: Wir haben das so getaktet, dass nicht mehr als zehn Personen pro halbe Stunde einen Termin im Testzentrum haben.
Die Räumlichkeiten sind so ausgelegt, dass man sich hier gut aus dem Weg gehen kann. Eine Ansteckung hier ist bei Einhaltung der Abstands- und Hygieneregeln eigentlich ausgeschlossen.
„Es ist zu befürchten, dass wieder mehr Menschen an den Folgen der COVID-Infektion sterben werden!“
Frage: Wir haben jetzt mehrere Fälle von Infektionen in Altenheimen?
Jan Weckler: …ja. Das ist ein Problem, das es im vergangenen Sommer so nicht gab. Im Sommer haben sich vor allem jüngere Menschen infiziert, oftmals ohne Symptome oder nur mit schwachem Verlauf.
Frage: Jetzt stecken sich mehr ältere Menschen an. Mit welchen Konsequenzen?
Jan Weckler: Bei älteren Menschen und solchen mit Vorerkrankungen nimmt die Krankheit häufig einen schwereren Verlauf, mit allen Konsequenzen. Das heißt, Krankenhausaufenthalt und möglicherweise Beatmung.
Es ist zu befürchten, dass auch mehr Menschen an den Folgen der COVID-Infektion sterben werden. Deshalb sind wir jetzt alle verantwortlich, um das Virus einzudämmen und vor allem von den vulnerablen Gruppen fernzuhalten.
Dabei ist vor allem Kontaktbeschränkung notwendig und das Einhalten der Abstands- und Hygieneregeln. Hier müssen wir alle unseren eigenen Beitrag leisten und Verantwortung übernehmen. Denn allein mit staatlichen Anordnungen wird es nicht gehen.