Reformationsfest in der Stadtkirche gefeiert – Grundgesetz war Thema
WETTERAUKREIS / FRIEDBERG. - Der Reformationstag stand im Evangelischen Dekanat Wetterau in diesem Jahr ganz im Zeichen des 75. Geburtstags des Grundgesetzes.
Der Gottesdienst, zu dem die Evangelische Kirchengemeinde Friedberg und das Dekanat gemeinsam eingeladen hatten, widmete sich dem Thema: „Warum Gott im Grundgesetz steht“.
Gleich zu Beginn wurden die Besucher zurück ins Jahr 1949 versetzt, zu dem Zeitpunkt als der Parlamentarische Rat in den letzten Zügen der Ausarbeitung des Grundgesetztes lag.
Die Abgeordneten waren geprägt vom Scheitern der Weimarer Republik, den schrecklichen Erfahrungen während der NS-Zeit und des Krieges. Unterschiedliche parteipolitische Vorstellungen trafen aufeinander.
Umstritten war dabei unter anderem die Entscheidung, ob und wie Gott in der Präambel erwähnt werden sollte.
Anna-Luisa Hortien, Pfr. Siegfried Nickel und Pfr. Joachim Neethen schlüpften in die Rollen der Abgeordneten von SPD, CDU/CSU-Fraktion und FDP, die am 28. April 1949 die Anrufung Gottes in der Präambel noch einmal diskutierten und sich schließlich auf den Text in seiner heutigen Form einigten:
„Im Bewusstsein seiner Verantwortung vor Gott und den Menschen…hat sich das Deutsche Volk kraft seiner verfassungsgebenden Gewalt dieses Grundgesetz gegeben.“
Die Dekanatskantorei unter Leitung von Ulrich Seeger und der Butzbacher Posaunenchor unter Leitung von Uwe Krause gestalteten den Gottesdienst musikalisch und begleiteten die Festgemeinde etwa bei dem Klassiker: „Eine feste Burg ist unser Gott“.
Außerdem beeindruckten sie die Zuhörer mit einer musikalischen Interpretation des Verses „Ihr seid das Licht der Welt“ (Mt. 5, 14-16). Die „Raummusik“ hatte Ulrich Seeger anlässlich der Wetterauer Kirchenmusiktage 2023 komponiert.
Dekan Volkhard Guth knüpfte mit seiner Predigt an das Thema „Warum Gott im Grundgesetz steht“ an. „In Verantwortung vor Gott …“ – damit sei eine Orientierung geschaffen. Das sei kein Glaubensbekenntnis. Es werde auch nichts „im Namen Gottes des Allmächtigen“ verkündigt.
Eher sei es „so etwas wie eine Demutsformulierung – angesichts des Versagens des Menschseins in Nazideutschland.“ Es mache deutlich, dass das Gesetz nicht die letzte Wahrheit vorlege, sondern dass auch dies Menschenwerk sei. „Und Menschenwerk kann immer auch fehlbar sein.“
Die „Verantwortung vor Gott“ bringe Mensch und Menschenwerk ins Verhältnis zu einem „Höheren“. „Auch wenn der Gottesgedanke heute vielfach im Alltag von Menschen keine Rolle mehr spielt.
Er hält hier bewusst einen Horizont offen, der größer und weiter ist als die kurzfristigen Ideen und Interessen einer einzigen Generation von Einwohnerinnen und Einwohnern dieses Landes.“
Dekan Guth erinnerte daran, dass heute, 75 Jahre später, die Demokratie erneut in Gefahr gerate durch Intoleranz und Ausgrenzung, Eigeninteressen und Ignoranz.
Es gelte, Demokratie, die Freiheit und den Frieden in unserem Land und in Europa gleichermaßen als Geschenk und als Verpflichtung zu begreifen, sie wert zu schätzen, zu wahren und weiter zu entwickeln – „in der Verantwortung vor Gott und den Menschen.“
Das bedeute, sich dort einzubringen, wo strukturelle Ursachen von Unterdrückung, Benachteiligung und Leid auszumachen seien.
Gleichzeitig nannte er drei Punkte, über deren Anpassung es sich nachzudenken lohne: „Fünfzehn Prozent der Menschen, die sich an die Antidiskriminierungsstelle des Bundes wenden, wurden aufgrund ihres Alters diskriminiert. In Finnland, Schweden, Portugal und der Schweiz findet sich das Verbot von Altersdiskriminierung längst in der Verfassung.“
Auch die Rechte junger Menschen sollten angesichts der vielfältigen Herausforderungen gestärkt werden. „So, wie die Verfassung bei der Gleichberechtigung zwischen Mann und Frau einen rechtlichen und gesellschaftlichen Prozess vorangetrieben hat, so muss dies auch mit der Stellung von Kindern und Jugendlichen in unserer Gesellschaft passieren. Denn ihre Rechte fehlen.“
Der dritte Punkt sei der Klimaschutz. Das Bundesverfassungsgericht habe vor drei Jahren in seinem Klimabeschluss klargestellt: Es gibt ein Grundrecht auf Klimaschutz. „Das steht aber nicht im Grundgesetz. Es gibt auch kein allgemeines Grundrecht auf Umweltschutz.“
„‘Im Bewusstsein der Verantwortung vor Gott …‘ – diese Worte rufen uns zur Demut und in die Verantwortung gleichermaßen. Unabhängig davon, ob oder welcher Religion wir angehören. Stellen wir uns dieser Aufgabe, und möge der Herr dazu unsere Schritte lenken auf Wege des Friedens.“
Beim anschließenden Empfang mit Wein, Kaltgetränken und einem kleinen Imbiss nutzten viele Gäste die Möglichkeit zum Austausch in der stimmungsvoll beleuchteten und geschmückten Stadtkirche.