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Fachleute diskutieren über insektenfreundliche Grünflächen

Frank Uwe Pfuhl, Dr. Tim Mattern, Kreisbeigeordneter Matthias Walther, Birgit Herbst, Franka Hensen (Naturschutzfonds Wetterau), Dorothee Dernbach und Dr. Beate Alberternst (von links nach rechts).

WETTERAUKREIS / FRIEDBERG. - Kreisbeigeordneter und Umweltdezernent Matthias Walther hatte dieser Tage zu einer Fachtagung „Insektenfreundliche Grünflächen“ ins Friedberger Kreishaus eingeladen.

Rund 50 Vertreterinnen und Vertreter von Städten und Gemeinden, aus Bauhöfen und Bauämtern kamen nach Friedberg, um sich zum Thema auszutauschen.

Vor allem nach der Krefelder Studie, die einen besorgniserregenden Rückgang an Insekten festgestellt hat, wurde das Thema auch in der Wetterau intensiv diskutiert.

Der Kreistag hat die Verwaltung beauftragt, geeignete Maßnahmen zur Förderung einer artenreichen Tier- und Pflanzenwelt zum Schutz von Bienen und weiteren Insekten im Wetteraukreis zu ergreifen.

Der Wetteraukreis, vor allem die Fachstelle Naturschutz und Landschaftspflege, und der Naturschutzfonds arbeiten an der Umsetzung zusammen mit vielen anderen Beteiligten, etwa dem NABU-Kreisverband.

Auch der Fachbereich Bildung und Gebäudewirtschaft, der für die Unterhaltung von rund 400 Schulgebäuden und der Außenflächen verantwortlich ist, ist intensiv eingebunden.

So wurde beispielsweise direkt vor dem Kreishaus auf einer Grünfläche der Mahdrhythmus auf den zentralen Rasenflächen geändert, um dort Kräuter zu fördern. Dabei wurde auch die seltene Art der Platterbsen-Wicke entdeckt.

Mit der Fachtagung im Kreishaus wolle man weitere praktische Maßnahmen auf Grünflächen anstoßen und damit einen Beitrag dazu leisten, dass Grünflächen nicht nur grün, sondern durchaus auch bunt und blütenreich sein können.

„Der kurz geschorene Englische Rasen ist für blütensuchende Insekten uninteressant“, so Walther. “Was wir wollen, ist eine ursprüngliche Natur für mehr Lebensqualität für Insekten und andere Tiere, letztlich aber auch für uns Menschen.“

Wie kann man artenreiche Grünflächen fördern?

Die Agrarbiologin Dr. Beate Alberternst berichtete von einem weltweiten Trend. 41 Prozent der Insektenarten sind rückläufig, 31 Prozent gar im Bestand gefährdet. Dabei kann die Bedeutung von Insekten für den Menschen gar nicht überschätzt werden.

80 Prozent aller Wild- und Kulturpflanzen werden von Insekten bestäubt. Ihre „Arbeit“ ist essenziell für das Überleben der meisten Pflanzen und gleichzeitig der Nahrungsmittelproduktion.

Die Gründe für das Insektensterben sind vielfältig. Die Urbanisierung mit Flächenversiegelung, der Einsatz von Pestiziden und Umweltgiften, die intensive landwirtschaftliche Nutzung, die artenarmen öffentlichen Flächen und Randstreifen, die Trockenlegungen von Mooren und Tümpeln, fehlende Strukturen wie Hecken, Steinhaufen und Brachen, aber auch Parasiten, invasive Arten und der Klimawandel tun ein Übriges.

Alberternst kam mit einer ganzen Reihe von Beispielen, wie man öffentliche Flächen begrünen und gleichzeitig Insekten fördern könne. Ein herausragendes Beispiel sei die vom NABU Friedberg angelegte Blumenwiese mit gebietsheimischen Pflanzenarten in Friedberg-Dorheim.

Alberternst benannte aber auch Beispielflächen, die ein Aufwertungspotenzial haben, also Grünflächen, die einfach nur grün sind und mit pflegeleichtem Weidelgras, das zwar weitgehend unempfindlich ist, aber eben auch wenig Nahrung für Insekten bietet.

Eigens an die Teilnehmer der Tagung gerichtet, plädierte sie für weniger Maschineneinsatz in der Mähtechnik. Auf Mulchen sollte grundsätzlich verzichtet werden, weil dadurch zusätzliche Nährstoffe in den Boden eingetragen werden, die zu einer Verarmung der Blühflächen führen. Der Einsatz eines Balkenmähers und das Abräumen des Mähguts wären optimal.

„Kommunen“, so das Fazit von Dr. Alberternst, „können einen großen Beitrag zum Insektenschutz leisten.“ Es sollte schon bei der Anlage von Grünanlagen bedacht werden, dass diese arten- und strukturreich sind und Pflanzen heimischer Arten verwendet werden.

Für Neubaugebiete empfiehlt sie Festsetzungen im Bebauungsplan, um die sogenannte Verschotterung von öffentlichen Flächen zu verhindern. Wichtig sei auch, die Anwohner für insektenfreundliche Grünanlagen zu begeistern, auch wenn diese nicht den ästhetischen Ansprüchen früherer Zeiten entsprechen.

Mehr als 1.000 Einzelflächen allein in Nidda

Über kleine Schritte zu einem großen Ziel berichtete Birgit Herbst. Die Umwelt- und Klimaschutzbeauftragte der Stadt Nidda hat in den letzten Jahren ein Pflegekataster für die Kernstadt und ihre 18 Stadtteile erstellt.

Mehr als 1.000 Einzelflächen mit einer Gesamtfläche von mehr als 100 Hektar sind zu pflegen. Diese Flächen hat Birgit Herbst nach Nutzungsklassen und Liegenschaftstypen deklariert.

Auch bei der Auswahl der auszusäenden Arten haben jetzt heimische Arten Vorrang, genauso wie die Bepflanzung mit dauerhaften Stauden und Gehölzen. Bei all den Umbauarbeiten gelte es, die Bürgerinnen und Bürger mitzunehmen, weil gerade ein seltenerer Mahdrhythmus kritisiert werde.

Die Grünplanerin Dorothee Dernbach gab einen Überblick über verschiedene Techniken bei der Neuanlage von artenreichen Grünflächen. Kriterien zur Auswahl des Saatgutes seien die örtlichen Standortbedingungen und wie die Pflege ablaufen solle.

Entscheidend für das Gelingen sei die Bodenvorbereitung – Konkurrenz durch bestehende Pflanzendecke müsse meist völlig beseitigt werden. Die Verwendung magerer Substrate sei günstig, falls man zur Abdeckung Boden antransportiere.

Herstellung des Saatbettes, Saat obenauf und anwalzen nannte sie als weitere Arbeitsschritte. Alternativ könne man in vorhandene Pflanzenbestände auch vorgezogene Wildstauden punktuell einpflanzen.

Den Hintergrund der Kampagne „Artenreiche Blumenwiese“ erläuterte Frank Uwe Pfuhl, vom Naturschutzbund Wetterau. Er betonte die Bestäubungsleistung von Wildinsekten für viele Kulturpflanzen und gleichzeitig deren Abhängigkeit von bestimmten Wildpflanzen.

„Alle 14 Minuten stirbt eine Tierart aus, oft weil ihr die nötige Partnerpflanze fehlt“, berichtete Pfuhl und nannte beispielhaft den beliebten Schmetterling Tagpfauenauge, der auf die Brennnessel angewiesen ist.

Die Langhornbiene brauche die Zaun-Wicke, der Stieglitz oder Distelfink die Wilde Karde und der Ameisenbläuling stark duftende Gewürzpflanzen, wie etwa den Thymian oder den Wilden Majoran.

Dr. Tim Mattern, von der Fachstelle Naturschutz und Landschaftspflege der Kreisverwaltung, gab Hinweise zur Pflege von Gräben, Wegrainen und Feldgehölzen.

Dabei sei es wichtig, abschnittsweise vorzugehen und die Pflegemaßnahmen auf mehrere Jahre zu verteilen. Außerdem sei der richtige Zeitpunkt entscheidend, um in der Tierwelt keine Schäden anzurichten.

In der anschließenden Diskussion wurden vor allem fachliche und technische Fragen erörtert.