HausÀrzte warnen: Corona-Lage schlimmer als viele glauben möchten
Teil 1 einer Videokonferenz-Serie zum Thema Corona hat Landrat Jan WecklerWETTERAUKREIS / FRIEDBERG. - Zu einer Videokonferenz zum Thema Corona hat Landrat Jan Weckler dieser Tage Vertreter der Wetterauer HausÀrzteschaft eingeladen.
Die HausÀrzte Marc de Groote, Prof. Dr. Arno Fuchshuber, Dr. Alexander Jakob, Dr. Peer Laubner, Dr. Michael Linn und Dr. Wolfgang Pilz diskutierten online zusammen mit Landrat Jan Weckler und Amtsarzt Dr. Reinhold Merbs.
Fazit der Diskussion: Die aktuelle Situation gibt Anlass zur Sorge und erhöhter Vorsicht, weitere Ăffnungen in Schulen und Kitas sollten verschoben werden und die HausĂ€rzte wollen impfen.
Regeln werden vielfach nicht mehr befolgt
Landrat Jan Weckler hat die Konferenz einberufen, âweil wir uns zu Beginn der dritten Welle befinden, auch wenn im Wetteraukreis die Zahlen im VerhĂ€ltnis zu anderen Landkreisen und zum Landesdurchschnitt insgesamt noch relativ niedrig sind, unabhĂ€ngig von punktuellen Ausnahmen.
Hier hat es wenig Sinn, BeschrĂ€nkungen lokal zu verstĂ€rken, weil das nur zu Ausweicheffekten in benachbarte Kommunen fĂŒhren wĂŒrde.
Es bringt wenig, GeschĂ€fte in Bad Vilbel zu schlieĂen, wenn in der Konsequenz dann die Schlangen vor den GeschĂ€ften in Friedberg oder Frankfurt lĂ€nger werden. Insofern halte ich es fĂŒr sinnvoll, wenn Bundes- und LandesmaĂnahmen einheitlich durchgefĂŒhrt werden.â
Die Menschen halten sich im öffentlichen und damit grundsĂ€tzlich auch kontrollierbaren Raum zumeist an die Vorgaben und Regelungen. Das Problem liegt ĂŒberwiegend im privaten Bereich. Hier sieht das ganz anders aus. Dort werden vielfach die Regeln nicht mehr befolgt.
âAus der Kontaktnachverfolgung wissen wir, dass sich die Menschen ĂŒberwiegend im privaten, im familiĂ€ren Bereich anstecken.
Auch wenn es viele ĂŒberdrĂŒssig sind zu hören, wir brauchen Geduld und wir mĂŒssen es ein StĂŒck weit ertragen, Feiern und ZusammenkĂŒnfte immer noch zu verschiebenâ, meint Landrat Jan Weckler und âin einem demokratischen Rechtsstaat können wir nur an die Menschen appellieren, sich im privaten Raum an die Regeln zu halten.
Das ist bei uns glĂŒcklicherweise nicht wie in China, wo nach dem Auftreten des Virus in einer Provinzhauptstadt das Kriegsrecht verhĂ€ngt wird.â
Landrat Jan Weckler weist auf die wichtige Rolle der HausÀrzte in der PandemiebekÀmpfung hin. Nur gemeinsam könne man insbesondere beim Impfen die Pandemie besiegen.
Daher sei dem Wetteraukreis daran gelegen, in engem Austausch mit den niedergelassenen Ărzten zu bleiben und in enger Abstimmung weitere Schritte festzulegen.
Prof. Dr. Arno Fuchshuber, Kinder- und Jugendmediziner, stellt fest, dass Kinder und Jugendliche mehr und lÀnger ansteckend sind, vor allem durch das britische Virus.
âIn der jetzigen Situation, wo wir wissen, dass wir uns auf die dritte Welle vorbereiten, die zumal auch noch stĂ€rker sein wird als das, was wir bisher erlebten, bin ich der Meinung, dass man unbedingt darauf verzichten sollte, vor Ostern Schulen und Kitas weiter zu öffnen.
FĂŒr die Eltern, die arbeiten mĂŒssen und ihre Kinder betreut wissen wollen, ist das natĂŒrlich ein Dilemma. Aber die Situation erlaubt es einfach nicht.â
âDie aktuelle Entwicklung mit der zunehmenden Verbreitung der britischen Mutante stellt eine besondere Gefahr darâ, stellt Dr. Reinhold Merbs fest, âweil durch die höhere Ansteckung sich auch mehr Menschen infizieren.
Das spielt sich alles in jĂŒngeren JahrgĂ€ngen ab und die Ăbertragung findet dann in den Familien statt. Das sehen wir anhand der Cluster. Wenn einer in der Familie infiziert ist, sind es in der Regel auch die anderen.
Epidemiologisch macht das zusĂ€tzlich ein Problem. Wenn wir frĂŒher Ausbruchssituationen hatten, zum Beispiel in einem Altenheim, war es relativ einfach eine Untergruppe von Menschen abzusondern.
Wenn wir jetzt hohe Zahlen haben, wenn die Inzidenz nach oben geht, wird das nicht mehr getragen durch die Altenheime, sondern durch kleinteilige Infektionsherde, ĂŒber die FlĂ€che verteilt. Das macht es wesentlich schwieriger, die Entwicklung in den Griff zu bekommen und auch die Kontaktnachverfolgung zu sichern.
Betroffen ist vor allem die Altersgruppe zwischen 30 und 70. Auf den Intensivstationen liegen jetzt deutlich mehr Menschen zwischen 40 und Ende 60, mit teilweise gravierenden VerlÀufen in sehr kurzer Zeit.
Wir haben aktuell viele FÀlle, in denen sich die Krankheitssituation sehr schnell drastisch verÀndert. Das ist auch eine Auswirkung der Verbreitung durch die neue Mutation. Zugleich sind die KapazitÀten in den KrankenhÀusern ziemlich weit ausgereizt.
Deshalb muss es unser gemeinsames Interesse sein, die Geduld, die jedem abverlangt wird, noch fĂŒr eine Weile aufzubringen, damit wir nicht nachher sagen, wir haben die dritte Welle verloren, weil wir keine Geduld mehr hatten.
Ich halte es fĂŒr absurd, vor dem Hintergrund der aktuellen Pandemie, Urlaubsreisen nach Mallorca zu planen. Wir sehen, dass aus einem kleinen FĂŒnkchen ein Feuer wird. Ein Feuer, das wir dann nicht mehr beherrschen können. Wir brauchen Geduld und wir brauchen die Einhaltung der Regeln: Abstand halten, Hygiene einhalten, Kontakte vermeiden.â
Hausarzt Marc de Groote aus Friedberg bestĂ€tigt die positive EinschĂ€tzung hinsichtlich der Zusammenarbeit mit dem Gesundheitsamt: âWas wir jetzt brauchen ist eine abgestimmte Zusammenarbeit zwischen Impfzentrum und den niedergelassenen Ărzten, die gemeinsam so viel impfen wie nur irgend möglich.
DafĂŒr bedarf es allerdings einer kontinuierlichen Impfstoffversorgung, die derzeit nicht gegeben ist.â De Groote lobt das Vorgehen des Wetteraukreises, der schon in der vergangenen Woche Impfdosen an die niedergelassenen HausĂ€rzte abgegeben hat, damit diese vor allem die vulnerablen Patienten impfen, die nicht in das Impfzentrum kommen können.
De Groote spricht sich dafĂŒr aus, den PrĂ€senzunterricht nicht vor den Osterferien wieder einzufĂŒhren. Diese Frage wird in den Schulgemeinden heftig diskutiert. Die einen fordern die Ăffnung der Schulen so schnell wie möglich, andere sind da eher vorsichtig.
âFakt ist, wenn hessenweit die Inzidenz ĂŒber 100 steigt, wird es vor Ostern keinen Wechselunterricht fĂŒr die Sekundarstufe I geben. Bei der derzeitigen Entwicklung gehe ich davon aus, dass der PrĂ€senzunterricht in den Schulen vor den Osterferien nicht mehr ausgeweitet werden wirdâ, so Landrat Jan Weckler.
Dr. Wolfgang Pilz: âIn einem Monat werden wir damit hadern, dass wir heute nicht umgesteuert haben!â
Dr. Wolfgang Pilz, Hausarzt in Friedberg/Ockstadt, hĂ€lt die Ăffnung von Schulen und Kitas fĂŒr einen groĂen Fehler. âAus meiner eigenen Praxis weiĂ ich, dass die Patientinnen und Patienten immer jĂŒnger werden und die ganze Familie anstecken.
Um die weitere Verbreitung zu verhindern, brauchen wir einen Schnitt, indem wir alle Kitas und Schulen schlieĂen. In einem Monat werden wir damit hadern, dass wir heute nicht umgesteuert haben.
FĂŒr uns HausĂ€rzte ist es eine groĂe Herausforderung nicht nur zusĂ€tzlich zu impfen, sondern auch die nĂ€chste Welle abzuarbeiten. Denn die meisten Kranken werden nicht im Krankenhaus versorgt, sondern von uns niedergelassenen Ărzten.â Der Mediziner wĂŒnscht sich auĂerdem eine Ausweitung der Testcenter, analog dem Beispiel der Stadt Bad Nauheim.
Was die kostenlosen Tests angeht, so gibt es mittlerweile eine ganze Reihe von Apotheken, die solche Tests anbieten. Eine Liste der Apotheken gibt es im Internet unter www.wetteraukreis.de, Stichwort: Kostenlose Corona-Tests.
Auch eine groĂe deutsche Drogeriemarktkette hat mit Planungen begonnen, um an ihren Standorten solche Teststationen fĂŒr so genannte BĂŒrgertests einzurichten.
Was die Tests angeht, so ist das mit der KassenÀrztlichen Vereinigung (KV) gemeinsam betriebene Testcenter in Reichelsheim an der Auslastungsgrenze. Dort wurden am vergangenen Dienstag, in der Zeit von 13 bis 15 Uhr, 75 Tests vorgenommen.
In diesem Zusammenhang bedauert Amtsarzt Dr. Reinhold Merbs die neue Regelung in Hessen, nach der ein positiver Schnelltest nur zur QuarantĂ€ne der Testperson fĂŒhrt.
Bis zur BestĂ€tigung durch den PCR-Test bleiben die anderen Mitglieder des Hausstandes von der QuarantĂ€ne ausgenommen: âDa die meisten positiven Schnelltests sich im PCR-Test bestĂ€tigen, halte ich das fĂŒr eine falsche Entscheidung, die nicht zur Verlangsamung des Infektionsgeschehens beitrĂ€gt.â
War es frĂŒher ĂŒblich, dass bei einem Corona-Schnelltest auch die anderen Mitglieder des Hausstandes in QuarantĂ€ne gehen, so bedarf es jetzt einer BestĂ€tigung durch einen PCR-Test. âDas fĂŒhrt dann dazu, dass die anderen Familienangehörigen weiter in die Schule, zur Arbeit oder in den Kindergarten gehen und dabei ansteckungsfĂ€hig sind.
Gerade bei der britischen Mutante ist das hochgefĂ€hrlich, zumal man davon ausgehen kann, wenn ein Familienmitglied es hat, die anderen fast sicher ebenfalls angesteckt werdenâ, sagt Amtsarzt Dr. Reinhold Merbs.
âDie QualitĂ€t der Schnelltests ist sehr differenziert zu beurteilen. Ein negativer Test kann vieles bedeuten, zum Beispiel, dass nicht richtig abgestrichen worden ist oder dass in einer frĂŒhen Phase noch nicht genĂŒgend Viren auf der Schleimhaut zu finden sind. Ein positiver Test hingegen wird fast immer durch den PCR-Test verifiziertâ, so Amtsarzt Dr. Reinhold Merbs.