âWer jetzt geimpft werden kann, verschafft sich einen Riesenvorteilâ
Interview mit Amtsarzt Dr. Reinhold Merbs zu Impfstoffen, Mutanten und SchnelltestsWETTERAUKREIS / FRIEDBERG. - Zur aktuellen Siituation rund um das Corona-Virus und die noch immer nicht ausreichend vorhandene Impfstoffe Ă€uĂert sich der Wetterauer Amtsarzt Dr. Reinhold Merbs im Interview.
Frage: Herr Dr. Merbs, das Land meldet heute zusĂ€tzliche Impfmöglichkeiten, weil es mehr Impfstoff gibt. Was bedeutet das fĂŒr das Impfzentrum?
Dr. Reinhold Merbs: Wir haben in den vergangenen Wochen schon zusĂ€tzliches Personal geschult. Die sind jetzt sprungbereit und wenn jetzt mehr Impfstoff geliefert werden kann, werden wir auch in der Lage sein, mehr Impfungen pro Tag durchzufĂŒhren.
Frage: Verimpft werden die Impfstoffe von BionTech, Moderna und Astrazeneca. Der letztgenannte ist aktuell in der Diskussion. Es wird behauptet, es handelt sich um einen Wirkstoff zweiter Klasse.
Jede Form der Impfung besser ist als gar keine Impfung
Dr. Reinhold Merbs: Diese Medieninformation rund um den Impfstoff stellt fĂŒr uns ein Dilemma dar, denn sobald man die Wahl hat, zwischen mehreren Impfstoffen, versucht natĂŒrlich jeder fĂŒr sich das Beste zu bekommen.
Allerdings sind die Informationen, was tatsÀchlich das Beste ist, schwer zu interpretieren. In den Zulassungsstudien sind tatsÀchlich unterschiedliche Grade der Wirksamkeit festgestellt worden.
Vor dem Hintergrund, ungeimpft in die Krankheit reinzulaufen und damit ein lebensalterbezogenes sehr hohes Risiko eines schweren bis tödlichen Verlaufs einzugehen, muss man eigentlich fĂŒr sich sagen, dass jede Form der Impfung besser ist als gar keine Impfung.
Egal, ob sie jetzt mit 70 Prozent EffektivitĂ€t in der Zulassung oder mit 95 Prozent ist. FĂŒr die, die meinen, auf den besseren Impfstoff noch warten zu wollen, sei gesagt: wer jetzt geimpft werden kann, verschafft sich einen Riesenvorteil, weil er die schweren VerlĂ€ufe, die ansonsten möglicherweise eintreten, einfach nicht bekommen wird. Diese Sicherheit ist fĂŒr alle drei Impfstoffe nachgewiesen.
Frage: Welche Impfstoffe werden derzeit verimpft?
Dr. Reinhold Merbs: Vor allem verimpfen wir BionTech. Von Moderna kommen nur relativ wenige Impfstoffe und jetzt zunehmend auch der Impfstoff von Astrazeneca. Der ist fĂŒr Menschen mit einem Lebensalter von unter 65 Jahren gedacht.
Wir werden jetzt zĂŒgig alles medizinische Personal und auch Menschen aus den Risikogruppen mit schweren Vorerkrankungen, die vom Alter her passen, zĂŒgig durchimpfen.
Frage: Gibt es Menschen, die bestimmte Impfstoffe ablehnen?
Dr. Reinhold Merbs: Ja: Wir haben immer mal wieder mit Menschen zu tun, die sagen, sie möchten das eine oder andere nicht haben. Da gab es zum Beispiel am Anfang auch groĂe Skepsis gegenĂŒber dem Impfstoff von BionTech.
Da handelt es sich ja immerhin um ein völlig neues Impfstoffherstellungsverfahren, da ist eine gewisse Skepsis durchaus angebracht. Aber alle Daten, die bislang zur VerfĂŒgung stehen, zeigen, dass alle drei Impfstoffe gut vertrĂ€glich sind und sie sind alle ganz offensichtlich auch effektiv.
Wer das Impfangebot ausschlÀgt, der muss sich hinten wieder anstellen
Frage: Aber es gibt auch Kritiker?
Dr. Reinhold Merbs: Es bekommt jeder ein Impfangebot, das man annehmen kann, aber nicht muss. Nur klar muss sein, wer das Impfangebot ausschlĂ€gt, der muss sich hinten wieder anstellen, denn es gibt genĂŒgend Menschen, die hĂ€nderingend auf ein Impfangebot warten.
Frage: Was passiert mit den Resten, also den angebrochenen FlÀschchen?
Bei der Knappheit des Impfstoffs darf auf gar keinen Fall Impfstoff verfallen.
Dr. Reinhold Merbs: Aufgrund der BehÀltnisse, in denen der Impfstoff angeliefert wird, bei BionTech sind das sechs Impfeinheiten pro BehÀltnis, bei Moderna und Astrazeneca jeweils zehn.
Angenommen, jemand kommt zum vereinbarten Zeitpunkt als Letzter in die ImpfstraĂe, und wir mĂŒssen ein neues BehĂ€ltnis anbrechen, dann bleiben entweder fĂŒnf oder neun Impfeinheiten ĂŒbrig. Die können und die wollen wir natĂŒrlich nicht wegwerfen.
DafĂŒr haben wir eine NachrĂŒckerliste, wo wir kurzfristig ĂŒber Telefonketten in der Lage sind, die Menschen zu informieren und die Impfdosen auch sinnvoll zu verimpfen. Bei der Knappheit des Impfstoffs darf auf gar keinen Fall Impfstoff verfallen.
Frage: Aus anderen Landkreisen hört man, dass wichtige Persönlichkeiten da vorgezogen werden.
Dr. Reinhold Merbs: Ich glaube, da ist die Diskussion schon scharf genug gefĂŒhrt worden. Bei uns gab es noch keine derartigen Anfragen, um sich eine bessere Position zu verschaffen. Wir verimpfen die angebrochenen Dosen an medizinisches Personal oder Personen aus der nĂ€chsten Priorisierungsgruppe.
Frage: Haben wir Erkenntnisse ĂŒber die Verbreitung der britischen oder brasilianischen Virusvariante im Wetteraukreis?
Dr. Reinhold Merbs: Ja: Das haben wir. Nach der aktuellen Verordnung fĂŒr die Labore werden fĂŒnf Prozent aller positiven Tests einer Sequenzierung unterzogen. Es bezieht sich allerdings nur auf Tests mit einer sehr hohen Viruslast in der Probe.
In Ausbruchsgeschehen wird dann gezielt getestet und sequenziert, um zu erfahren, ob hier die Mutante eine Rolle spielt. Das war jetzt in zwei oder drei kleineren Ausbruchsgeschehen tatsÀchlich auch schon der Fall. Nachgewiesene Mutanten des britischen Virus haben wir hier im Wetteraukreis etwa 50, und es werden tÀglich mehr.
Frage: Welche Bedeutung fĂŒr das Pandemiegeschehen hat die weitere Verbreitung der britischen Mutante?
Anteil von elf Prozent der britischen Mutante
Dr. Reinhold Merbs: Wir haben einen Anteil von etwa elf Prozent der britischen Mutante bei den Proben. Vermutlich ist der Anteil noch höher, weil wir ja nicht alle testen können. Das mutierte Virus ĂŒbertrĂ€gt sich offensichtlich leichter.
Ăber den Schweregrad können wir derzeit noch nichts AbschlieĂendes sagen. Meine GesprĂ€che mit Klinikkollegen legen aber nahe, dass die VerlĂ€ufe nicht unbedingt schwerer sind.
Frage: Hat die Verbreitung des britischen Virus Auswirkungen auf die aktuelle Diskussion hinsichtlich der Lockerungen vom Lockdown?
Dr. Reinhold Merbs: Wenn durch eine sich besser verbreitende Mutante wieder mehr Menschen erkranken, auch mit schwererem Verlauf und die FĂ€lle in den KrankenhĂ€usern wieder steigen wĂŒrden, sind wir ganz schnell wieder in einer kritischen Situation, wie wir sie um die Weihnachtszeit hatten. Also: Lockerungen mit einer Mutante, die sich sehr gut ĂŒbertrĂ€gt, das sehe ich zurzeit ziemlich kritisch.
Frage: Den Lockdown verkĂŒrzen, das wollen alle. Eine Möglichkeit dazu wĂ€re der massenhafte Schnelltest auch zum Selbstgebrauch. Was sagen Sie dazu?
Dr. Reinhold Merbs: Das ist insofern fĂŒr uns ein Vorteil, denn jeder positive Schnelltest ist in unseren Augen hochwahrscheinlich auch ein echter Fund fĂŒr das Virus. Wir testen diese positiven Schnelltests regelhaft nach, um rauszufinden, ob des Virus auch wirklich vorhanden ist.
Das bestÀtigt sich in den allermeisten FÀllen. Damit werden wir aufmerksam auf Geschehnisse, die ohne die Schnelltests vielleicht unerkannt geblieben wÀren. Dadurch Àndert sich aber nicht so wahnsinnig viel.
Die Tests sind in AbhĂ€ngigkeit davon, wie sie gewonnen werden, auch zuverlĂ€ssig. Mit anderen Worten: Ein negativer Schnelltest sagt so gut wie gar nichts. Die Idee, dass man deshalb kein VirustrĂ€ger wird, gilt allenfalls fĂŒr einen sehr kurzen Zeitraum. Das kann am nĂ€chsten Tag schon wieder ganz anders aussehen.
Frage: Es gibt aber noch eine andere KomponenteâŠ
Dr. Reinhold Merbs: Ja, da haben Sie recht. Zudem spielt die AbhĂ€ngigkeit von der Entnahmetechnik der Probe eine groĂe Rolle. Wir haben jetzt im Zusammenhang mit dem Einsatz der Bundeswehr in vielen Einrichtungen festgestellt, dass vorher nur Abstriche aus der Nase genommen wurden.
In den Anleitungen zu diesen Tests steht auch, dass sie fĂŒr Nasenabstriche geeignet sind. In der Medizin machen wir hingegen immer einen Rachen- und Nasenabstrich, einfach deshalb, weil damit die Wahrscheinlichkeit, das Virus auch zu finden, deutlich erhöht wird.
Wer nur im vorderen Nasenbereich das StÀbchen ein bisschen hin- und her bewegt, hat eine gute Chancen, immer negative Ergebnisse zu erzeugen. Man wird das Virus einfach an dieser Stelle nicht finden.
Man muss schon ordentlich abstreichen, und das geht nur im hinteren Rachenbereich und in der tiefen Nase. Das ist nicht angenehm, aber ertrĂ€glich. Nur dann habe ich eine gewisse Wahrscheinlichkeit, das Virus zu treffen. Nur dann können die Schnelltests helfen die Pandemie zu verkĂŒrzen.