Hausärzte warnen: Corona-Lage schlimmer als viele glauben möchten
Teil 2 einer Videokonferenz-Serie zum Thema Corona hat Landrat Jan WecklerWETTERAUKREIS / FRIEDBERG. - Zu einer weiteren Videokonferenz zum Thema Corona hat Landrat Jan Weckler dieser Tage Vertreter der Wetterauer Hausärzteschaft eingeladen.
Die Hausärzte Marc de Groote, Kinder- und Jugendarzt Prof. Dr. Arno Fuchshuber, Dr. Alexander Jakob, Dr. Peer Laubner, Dr. Michael Linn und Dr. Wolfgang Pilz diskutierten online zusammen mit Landrat Jan Weckler und Amtsarzt Dr. Reinhold Merbs.
Die Tatsache, dass die Mutante länger auf der Schleimhaut nachzuweisen ist, spräche auch dafür, die Quarantänezeiten zu verlängern.
„Wenn wir es mit der britischen Mutante zu tun haben oder wir den Verdacht haben, dann werden die Menschen nach 14 Tagen erneut getestet und erst dann aus der Quarantäne entlassen, wenn das Testergebnis negativ ist.
Wir sehen aber, dass bei einem zunehmenden Anteil nach 14 Tagen immer noch das Virus auf der Schleimhaut nachweisbar ist. Das war früher ganz selten der Fall.
Kinder und Jugendliche haben es mit ihrem Immunsystem immer schnell geschafft, das Virus zu bekämpfen. Innerhalb weniger Tage war es dann schon nicht mehr nachweisbar.
Deshalb hat man auch nicht allzu viele positive Befunde gehabt. Denn wenn sie nicht exakt den richtigen Zeitpunkt für den Abstrich gefunden haben, war das Virus schon nicht mehr nachweisbar, obwohl die Kinder es hatten. Das wissen wir aus den Antiköper-Studien.
Wenn wir jetzt testen, sehen wir häufig Verläufe, wo das Virus mehr als 14 Tage nachweisbar ist. Deshalb ist eine dringliche Forderung, dass die grundsätzliche Quarantänedauer bei einem positiven Testergebnis einheitlich auf drei Wochen angehoben wird“, sagt Amtsarzt Dr. Reinhold Merbs.
Wenn schon Schule, dann Regeln besser einhalten
Das Thema Schulöffnung kommt immer wieder zur Sprache. Gerade im Hinblick auf die Mutante B.1.1.7. sei es heute nicht mehr verantwortbar, Sportunterricht mit Körperkontakt und ohne Maske zuzulassen.
„Da reicht schon eine kurze Begegnung, um das Virus weiterzugeben“, unterstreicht Marc de Groote die Ansteckungsfähigkeit des Virus. Deshalb müssten, wenn schon Schule stattfindet, die Regeln zu Masken, Abstand und Hygiene konsequent und von allen durchgehend eingehalten werden.
Dr. Alexander Jakob: „Patienten wollen von ihrem Hausarzt geimpft werden!“
Den Vorschlag des Landes gemeinsam mit der Kassenärztlichen Vereinigung in Hessen zunächst einmal mit 50 Testpraxen zu beginnen, die den Impfstoff an ihre Patientinnen und Patienten verimpfen, hält Pilz für an der Sache vorbei.
„Was wir brauchen ist die Einbindung aller niedergelassenen Ärzte in die Impfaktion, damit möglichst schnell geimpft wird.“
Zudem fordert der Mediziner eine „extreme Entbürokratisierung“ der Impfung, womit er auf Zustimmung seiner medizinischen Kollegen stößt, die den mit der Impfung verbundenen Aufwand für überzogen halten.
Dr. Michael Linn spricht dem Wetteraukreis ein großes Lob aus. Das Gesundheitsamt habe unter Leitung von Dr. Reinhold Merbs ein intensives Vertrauensverhältnis zu den Hausärztinnen und Hausärzten im Wetteraukreis aufgebaut.
„Hier wird mit den Fachleuten zusammen an der Bewältigung der Krise gearbeitet und nicht vom grünen Tisch aus.“
Ein Votum für die Impfung durch die Hausärzte gibt auch Dr. Alexander Jakob: „Es geht hier um Vertrauen und ich höre von meinen Patientinnen und Patienten, dass sie von ihrem Hausarzt, der sie schon lange begleitet, geimpft werden möchten.“
Dr. Peer Laubner warnt vor allzu viel Freizügigkeit und betont, dass die Ärzte bereit stünden zu impfen. „Wir brauchen dringend den Impfstoff. Dann können wir loslegen, je nach Praxis wären zwischen 50 und bis zu 200 Impfungen in der Woche denkbar.
Wenn alle 150 niedergelassenen Ärzte im Wetteraukreis mitmachen würden, könnten auf diesem Weg zusammen im dem Impfzentrum und den mobilen Impfteams gut 20.000 Impfungen in der Woche gemacht werden, vorausgesetzt der Impfstoff wird geliefert.“
Ein Problem stellt dabei die 15-minütige Nachbeobachtung unter Corona-Bedingungen dar, die viele Praxen an Raumprobleme bringt.
Deshalb können sich die Hausärzte auch eine Impfung in größeren Räumen, etwa in Bürgerhäusern oder Gemeindezentren vorstellen, wo die Menschen nach der Impfung 15 Minuten unter Beobachtung etwaiger Impfreaktionen abwarten könnten.
Einen weiteren Hinderungsgrund sehen die Hausärzte in dem bürokratischen Aufwand, der mit den Impfungen verbunden sei. „Der ist wesentlich höher als bei anderen Impfungen und schwer nachvollziehbar.
Das müsste verschlankt werden, dann könnten wir auch mehr Impfungen schaffen“, so Kinder- und Jugendarzt Prof. Dr. Arno Fuchshuber.
Pflegebedürftige zu Hause impfen
Eine wichtige Rolle bei der Impfung von Menschen, die zu Hause gepflegt werden, spielen die niedergelassenen Ärzte. „Ein mobiles Impfteam, bestehend aus drei Personen, loszuschicken, um die häuslichen Pflegefälle zu impfen, ist nur bedingt effizient“, sagt Landrat Jan Weckler.
„Die Patientinnen und Patienten sind den Mitarbeitern des Impfteams unbekannt. Man weiß nichts über die Vorgeschichte. Es muss ein Beratungsgespräch geführt werden. Es muss die Impfung vorbereitet werden, die Dokumentation, anschließend geimpft und dann müssen alle Mitglieder des Impfteams noch 15 Minuten wegen etwaiger Impfreaktionen warten.
Unter solchen Umständen schaffen Impfteams maximal zehn Impfungen am Tag. Das ist bei der großen Zahl von Menschen, die möglichst schnell geimpft werden sollen und den zur Verfügung stehenden Impfteams nicht darstellbar.
Bis alle geimpft sein werden, würde das ewig dauern. Deshalb kommen hier die Hausärzte ins Spiel, die ihre Patientinnen und Patienten kennen, die ohnehin öfter zu Hausbesuchen unterwegs sind und bei dieser Gelegenheit die Impfungen vornehmen könnten.“
Hausarzt Marc de Groote spricht von einer großen Erwartungshaltung, die von verschiedenen Akteuren geweckt wurden, aber nicht zu erfüllen sei. „Für die Impfungen vor Ort sind die Hausärzte bestens geeignet.
Zum Teil gibt es schon Listen der Patientinnen und Patienten nach Priorisierungsgruppen.“ Er plädiert dafür, dass alle Impfmöglichkeiten ausgeschöpft werden. „Wir müssen jetzt aus allen Rohren feuern.
Die Impfzentren müssen beibehalten werden, aber auch die Hausärzte müssen so weit wie möglich in das Impfprogramm integriert werden. Nur dann kann es uns gelingen, endlich voranzukommen. Dafür muss aber auch der Impfstoff geliefert werden.“
Amtsarzt Dr. Reinhold Merbs berichtet, dass dem Wetteraukreis vom Land eine Liste von über 3.000 hochbetagten Menschen geliefert wurde, die zu Hause geimpft werden sollten.
„Wir werden damit anfangen, alle diese Personen anzurufen und sie nach ihrem Hausarzt zu fragen. Danach machen wir Listen, die wir den Hausärzten übergeben, damit diese Patienten durch ihre Hausärzte auch geimpft werden.
Bei der nächsten Lieferung von Impfstoffen werden die Hausärzte, die sich jetzt schon zur häuslichen Impfung bereit erklärt haben, bevorzugt beliefert, damit die ihre Patientinnen und Patienten zu Hause impfen können.
Es gilt immer noch die Alterspyramide von oben nach unten abzuarbeiten, weil die Hochbetagten das höchste Risiko haben und deshalb priorisiert geimpft werden müssen.“
AstraZeneca für ältere Patienten
Hausarzt Dr. Peer Laubner bedauert den Stopp für den Impfstoff von AstraZeneca. „Die Komplikationen haben sich vor allem bei jüngeren Menschen gezeigt.
Deshalb halte ich es für sinnvoll, AstraZeneca jetzt an ältere Menschen zu verimpfen, die in aller Regel den Impfstoff wesentlich besser vertragen als jüngere, bei denen häufiger Nebenwirkungen aufgetreten sind. Zumal in der Altersgruppe der über 55-Jährigen kein einziger Todesfall durch eine Thrombose eingetreten ist.“
Hausarzt Dr. Wolfgang Pilz hat bereits ein Drittel seiner vulnerablen Patientinnen und Patienten zu Hause geimpft. „Ich warte auf die nächste Impfstofflieferung, um auch die anderen zu impfen. Um den Praxisbetrieb nicht zu stören, werden diese Impfungen dann mittwochnachmittags und samstags stattfinden.“