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Kinder in Heimen und Pflegefamilien

Sozialdezernentin Stephanie Becker Bösch mit Christian Fey (links) und Kolja Riemenschneider (rechts). Die beiden leiten die Fachstellen des Allgemeinen Sozialen Dienstes im Wetteraukreis.

Die Rückkehr in die Familie muss immer als Option mitbedacht werden

WETTERAUKREIS / FRIEDBERG. - Rund 350 Kinder leben derzeit in Einrichtungen der Jugendhilfe. Weitere 200 Kinder sind in Pflegefamilien untergebracht.

„Das alles geschieht zum Wohle der Kinder. Der Übergang in die Einrichtung soll möglichst schonend und am besten kurzfristig sein. Nach Möglichkeit wird es stets Ziel des Jugendamtes sein, die Familien wieder zusammen zu führen“, so Erste Kreisbeigeordnete und Sozialdezernentin Stephanie Becker-Bösch.

Gründe, warum Kinder nicht mehr in der Familie bleiben können, gibt es viele: Nicht ausreichende Betreuung und Förderung, Mängel in der Gesundheitsversorgung, physische und psychische Misshandlungen und Suchtmittelmissbrauch der Eltern, aber auch immer häufiger psychische Erkrankungen der Eltern, warum das Jugendamt zu der Entscheidung gelangt, dass das Wohl der Kinder gefährdet ist.

Dann ist die Herausnahme aus der Familie, zumindest für einen gewissen Zeitraum, die beste Option für das Kind.

„Vor einem solchen Eingriff müssen wir aber stets bedenken, dass die Familie nicht nur unter dem Schutz des Grundgesetzes steht, sondern, dass die emotionalen Bindungen hoch sind und dass jedes Kind ein Recht darauf hat, bei seiner Familie zu leben.

Deshalb muss die Aufrechterhaltung der familiären Beziehungen auch während einer Fremdunterbringung ermöglicht werden“, beschreibt die Sozialdezernentin die Situation.

Hier sind dann auch das Jugendamt und die verschiedenen Träger, die im Auftrag des Jugendamtes des Wetteraukreises wirken, gefragt.

„Die Rückkehr in die Ursprungsfamilie als geplante Option“ ist ein Projekt des Wetteraukreises, das unter wissenschaftlicher Leitung der Universität Siegen gemeinsam mit freien Trägern entwickelt werden soll.

Hierdurch sollen, nach Möglichkeit, Ideen zu einer Rückkehr der Kinder und Jugendlichen bereits mit Beginn der Unterbringung in einer Einrichtung, gemeinsam mit Eltern und Jugendamt entwickelt werden sollen.

„Mit der Rückkehr in die Ursprungsfamilie sind Herausforderungen für alle Beteiligten verbunden: die Familien, die Kinder, die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der freien Träger und natürlich auch die Pflegeeltern, bei denen die Kinder für eine Zeit lang leben. Die Rückkehr beginnt deshalb schon im Kopf der Fachkräfte“, sagt Andrea Dittmann.

Die Diplompädagogin leitet als wissenschaftliche Mitarbeiterin die Forschungsgruppe Heimerziehung der Universität Siegen und moderiert das Projekt in der Wetterau.

Bindungen und Zeit mit den Eltern sind wichtiger sind als Materielles

Für die beteiligten Fachleute ist es stets wichtig, zu berücksichtigen, dass auch trotz Schwierigkeiten im Zusammenleben der Kinder mit den Eltern, zu diesen weiterhin meist intensive Bindungen bestehen.

Dies wiegt auch mögliche, vermeintlich bessere finanzielle und materielle Rahmenbindungen im Rahmen einer stationären Unterbringung in einer Einrichtung oder Pflegefamilie auf.

Grundsätzlich gilt, dass vor der Entscheidung für eine Rückführung eine Risikoeinschätzung hinsichtlich des Kindeswohls vorzunehmen ist. Dabei muss die Rückführung möglichst gut geplant sein und sollte vom frühestmöglichen Zeitpunkt an systematisch geprüft werden.

Fünf Phasen der Rückführung

Andrea Dittmann spricht von fünf Phasen der Rückführung, die mit einer Gefährdungsabschätzung des Kindeswohls beginnt. Dabei werden die Erfolgschancen und Risiken einer Rückkehr bewertet.

Zum Beispiel: Wie groß ist die Motivation aller Beteiligten für die Rückkehr? In einer weiteren Phase werden Qualitätsstandards bei Beginn der stationären Hilfe identifiziert.

Welche Barrieren gibt es, die einer Rückführung entgegenstehen und wie können diese gezielt abgebaut werden? Solche Barrieren sind Defizite bei der Fürsorge und Erziehungsfähigkeit der Eltern, der Gebrauch von Suchtmitteln oder die allgemeinen sozialen Fähigkeiten der Eltern.

Barrieren sind auch Defizite bei der Gesundheit, der finanziellen Situation oder der Wohnsituation der Eltern. In einer dritten Phase sollen diese Barrieren möglichst abgebaut werden, etwa durch die Verbesserung der Kommunikation zwischen getrennt lebenden Eltern oder die Stabilisierung der finanziellen Situation, die Verbesserung der Wohnsituation und die Erarbeitung einer Alltagsstruktur.

„Letzten Endes geht es um die Stärkung der Erziehungskompetenz und die Stabilisierung der Verantwortung für das eigene Kind.“

In der nächsten Phase wird nochmals die Motivation aller Beteiligten geprüft und Verantwortung jeweils verstärkt an die Eltern zurückgegeben, etwa durch längere Aufenthalte der Kinder in der Herkunftsfamilie.

Schließlich wird die konkrete Rückkehr in die Familie, zur Schule und das gesamte Umfeld vorbereitet. In der fünften Phase werden dann individuelle, ambulante Unterstützungsangebote zur Stabilisierung der Familie nach der Rückkehr des Kindes vereinbart.

Becker-Bösch: Das Kindeswohl hat immer Vorrang

Andrea Dittmann, die schon mehrere solcher Projekte begleitet hat, spricht von einem idealtypischen Zeitrahmen von der Aufnahme in der stationären Einrichtung oder in der Pflegefamilie bis zur Rückkehr ins Familiensystem von 12 bis 18 Monaten.

„Wir wollen, dass Kinder und Jugendliche möglichst schnell wieder in ihr angestammtes Umfeld zurückkehren können, ohne freilich das Kindeswohl zu gefährden. Die enge Kooperation mit den freien Trägern, die in der Wetterau eine großartige Arbeit leisten, ist dabei ein wichtigeres Element.

Ich bin froh, dass wir dieses Projekt jetzt auf den Weg gebracht haben, das letzten Endes dem Wohl der Kinder dient“, so abschließend Erste Kreisbeigeordnete und Jugenddezernentin Stephanie Becker-Bösch.