NEWS

Stadtschreiber Jan Wilm mit Buchlesungen und -empfehlungen zurĂŒck

Jan Wilm, zuletzt 2019 als Stadtschreiber in Michelstadt, beschreibt und empfiehlt ausgewÀhlte literarische Werke. Foto: Heinz Seitz / Kulturamt Michelstadt

Kulturamt und Buchhandlung Schindelhauer beleben das öffentlich-literarische Angebot

MICHELSTADT. - Auch die Literatur kehrt wieder zurĂŒck in das öffentliche Leben. Mehr als 30 Besucher genossen es, am Freitag auf Einladung des stĂ€dtischen Kulturamts und der ortsansĂ€ssigen Buchhandlung Schindelhauer einem besonderen Gast im Multifunktionsraum des neuen Stadtmuseums zuzuhören.

In seiner BegrĂŒĂŸung bedankte sich der neue BĂŒrgermeister Tobias Robischon bei Jan Wilm, der 2019 fĂŒr zwei Monate als Stadtschreiber von Michelstadt im FachwerkstĂ€dtchen tĂ€tig gewesen war.

Sein Dank richtete sich ebenso an die Gastgeber fĂŒr die Wiederbelebung des öffentlichen literarischen Angebots der Stadt. Gleich zu Beginn machte der als Autor, Übersetzer und Literaturkritiker bekannte Gast deutlich: „BĂŒcher gehören BĂŒcher zu meinem Leben. So wie gute Freunde. Und ich möchte mich mit meinen Freunden umgeben.“

Zu erwerben gab es nicht nur die zwölf von ihm vorgestellten BĂŒcher aus Anlass der Frankfurter Buchmesse, sondern auch sein 2019 erschienener Roman „Winterjahrbuch“ (Schöffling & Co., Frankfurt).

Gratis mit auf den Weg nehmen durften die Literaturinteressierten auch die 22seitige BroschĂŒre „Der fĂŒnfte Mann“, seine im Rahmen des Projekts „Land in Sicht: Autorenresidenzen im lĂ€ndlichen Raum“ vom Hessischen Literaturrat herausgegebene Schrift.

FĂŒr das Kulturamt stellte die mit LeseauszĂŒgen bestĂŒckte Buchvorstellung den Wiedereinstieg in literarische Veranstaltungen nach der Pandemie dar. Auch der BĂŒchertisch des Ehepaars Schindelhauer stand unter einem besonderen Vorzeichen.

Er erinnerte an die im Juli erfolgte Preisverleihung des Deutschen Buchhandlungspreises, der von der Bundesregierung vergeben und von der Beauftragten fĂŒr Kultur und Medien umgesetzt wird.

Zu allen Publikationen stehe er in einer Verbindung, so Jan Wilm, mal als Übersetzer, wie bei „Afropessimismus“ von Frank B. Wilderson III., oder durch eine enge Freundschaft mit den Autoren, beispielsweise mit Henning Ahrens oder Ror Wolf.

„Zur Ehre des im letzten Jahr Verstorbenen erscheint nĂ€chstes Jahr ein Buch von mir“, schickte Jan Wilm am Ende der gut neunzigminĂŒtigen Veranstaltung die Vorstellung von „Die Gedichte“ voraus.

Der Lyrikband erschien bereits 2017 (Schöffling & Co.) und fĂ€llt bereits optisch „durch seine lustigen Bildcollagen auf“, so Jan Wilm, der Ror als „Genie der Reime“ bezeichnete.

Den Anfang machten drei BÀnde von Tove Ditlevsen, einer 1917 geborenen und 1976 durch Selbsttötung verstorbenen dÀnischen Schriftstellerin, die aus der Sicht einer Frau vom harten Leben in einer Arbeiterfamilie erzÀhlt.

Literarisch werde die Kopenhagen-Trilogie „Kindheit“, „Jugend“ und „AbhĂ€ngigkeit“ (Aufbau-Verlag, Berlin) dem Genre der Autofiktion zugeordnet, was Jan Wilm so nicht stehen lassen möchte. FĂŒr ihn gehören autobiografische Elemente immer dazu: „Das Fiktive wird immer irgendwie auf den Sockel des Wirklichen gestellt.“

Bereits in seinen zahlreich erschienenen Kolumnen habe er sich besonders intensiv damit auseinandergesetzt. Wer seine grundsĂ€tzliche Kritik teile, dĂŒrfe sich auf seine Sammlung freuen, die er gedenke, unter dem Titel „Nach der Autofiktion“ zu veröffentlichen.

Nicht minder unter die Haut geht die fesselnde Beschreibung darĂŒber, „wie schwarze Menschen von Anbeginn bis heute leben mĂŒssen“.

In „Afropessimismus“ (Matthes & Seitz, Berlin) beschreibe Wilderson in einer spĂŒrbar schmucklosen Sprache „die AnhĂ€ufung der Ungleichheit“, an der auch ein PrĂ€sident Obama nichts verĂ€ndert habe. Der Autor nimmt den Leser mit in die „nur scheinbare idyllische Kindheit in einem weißen Vorort von Minneapolis“ bis hin in den Kampf gegen die Apartheit in SĂŒdafrika.

ZurĂŒck nach Deutschland: In Vergessenheit geraten ist das wohl schwerste ZugunglĂŒck in der deutschen Geschichte, das sich im Dezember 1939 vor dem Bahnhof von Genthin ereignete.

Offiziell kamen bei dem ungebremsten Zusammenstoß von zwei ZĂŒgen 184 Menschen ums Leben; SchĂ€tzungen zufolge waren es mehr als 400. Der in dem UnglĂŒcksort geborene Gert LoschĂŒtz geht in einem 336 Seiten starken Roman auf die Einzelheiten ein.

In der „Besichtigung eines UnglĂŒcks“ (Schöffling) war „wahrscheinlich seine Mutter mit im Zug“, so Jan Wilm, der damit Bezug nimmt auf Details, die spannend im Stil eines Kriminalromans beschrieben werden.

Dagegen „mit zynischem Witz ausgestattet“ sei Jonathan Coes „Mr. Wilder und ich“ (Folio Verlag, Wien), in dem die Hollywood-Legende Billy Wilder („Manche mögen‘s heiß“) im Mittelpunkt steht. „Ein anrĂŒhrend lustiges Buch“, wie Jan Wilm meint.

Markenzeichen der LiteraturnobelpreistrĂ€gerin von 2009, Herta MĂŒller, sind ihre Collagen aus Worten, die Jan Wilm am Beispiel von „Der Beamte sagte“ (Carl Hanser Verlag, MĂŒnchen) auch bildhaft vorstellte.

Die Hauptrolle der Action-Thriller von Lee Child nimmt Jack Reacher ein. „Der Spezialist“ und „Der Ermittler“ (Blanvalet Verlag, MĂŒnchen) dĂŒrfen nach Meinung von Jan Wilm in keinem BĂŒcherschrank eines Krimi-Fans fehlen.