Erbach will weiter investieren, um keine >Nachtwächterstadt< zu werden
Haushaltsentwurf des Magistrats der Kreisstadt bei Patt mit 12:12 Stimmen abgelehnt + + + Vor allem weitere Personalkosten durch zusätzliche Stellen bei gleichzeitiger Grundsteuererhöhung stehen massiv in der KritikERBACH. - „Wir waren 2017/2018 auf einem guten Weg.“ Inzwischen seien die Personalkosten in der Erbacher Stadtverwaltung um 1,5 Millionen Euro gestiegen. „Sie leisten sich eine persönliche Pressesprecherin und haben die Personalkosten ohne Kontrolle explodieren lassen, Herr Bürgermeister“, warf Antonio Duarte dem Rathauschef vor.
Zuvor hatte der Stadtverordnetenvorsteher während der Haushaltsdebatte vorübergehend die Sitzungsleitung abgegeben, um in einer höchst emotionalen Rede zu erläutern, weshalb seine SPD-Fraktion „Nein sage“, zum Haushaltsplanentwurf 2022 und die vorgelegten Personalkosten nicht mittragen werde. Für seine dabei überschwappenden Emotionen entschuldigte sich Duarte später.
SPD-Fraktionschef Gernot Schwinn hatte zu diesem Zeitpunkt schon dargelegt, der vom Magistrat erstellte Haushalt beinhalte „eine Erhöhung der Grundsteuerhebesätze B um mehr als 20 Prozent von 430 auf 530 Punkte“. Dennoch schließe der Ergebnishaushalt mit einem Defizit von knapp 1,2 Millionen Euro ab.
„Haushaltsauflagen der Genehmigungsbehörde außer acht gelassen“
„Die uns vorliegende Haushaltsplanung trägt den Vorgaben von Verwaltung und Wünschen von politisch Verantwortlichen Rechnung, lässt aber die Haushaltsauflagen der Genehmigungsbehörde der vergangenen Jahre außer acht“, kritisierte Schwinn die Haushaltsgewichtung.
Die Verpflichtung zu einer effizienten, sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltswirtschaft werde nicht ausreichend wahrgenommen. „Vielmehr steigen die Ausgaben von Jahr zu Jahr und führen zwangsläufig zu Steuererhöhungen als einfachstem Mittel der Reduzierung der selbst erzeugten Fehlbeträge. Der Bürger kann sich ja nicht wehren...“
„Vor fianziellen erheblichen Risiken die Augen verschließen ist fahrlässig“
Seine Fraktion werde den gewählten Ansätzen nicht folgen, „denn vor fianziellen erheblichen Risiken die Augen verschließen ist fahrlässig und geht mit unserer parlamentarischen Verpflichtung der sparsamen und wirtschaftlichen Haushaltsführung nicht konform und ist definitiv nicht im Sinne der von uns vertretenen Bürger“, ließ Schwinn keine Zweifel an der ablehnenden Haltung seiner Fraktion am vorliegenden Zahlenwerk.
Selbst eine vom Parlamentsvorsteher angeregte Präsidiumssitzung während einer Sitzungsunterbrechung führte auch nicht zu einem parteiübergreifenden Konsens.
Gemeinsam mit der Fraktion der GRÜNEN votierten die Sozialdemokraten dann gegen den vorliegenden Haushaltsentwurf, was bei nur 24 anwesenden Stadtverordneten bei einer Parlamentsstärke von 31 Abgeordneten zu einem Patt von 12:12 Stimmen (ÜWG, CDU und FDP stimmten dafür) und damit zur Ablehnung dessen führte (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews).
„Nicht gewillt, Kosten zu reduzieren, um weitere Belastungen der Bürger zu vermeiden“
Die Stadt Erbach sei die finanzkräftigste Kommune des Odenwaldkreises und bekomme es nicht auf die Reihe, „oder ist nicht gewillt, ihre Kosten zu reduzieren, um weitere finanzielle Belastungen ihrer Bürger zu vermeiden“, hatte Schwinn die SPD-Sicht zuvor noch dargestellt.
Vielmehr fänden sich Ausgabensteigerungen im konsumtiven Bereich bei den freiwilligen Leistungen, für die die Bürger am Ende die geplante Abgabenerhöhung akzeptieren sollten.
Ausgaben von 362.000 Euro, obwohl sich die Märkte gegenseitig tragen sollen
Dazu nannte Gernot Schwinn diverse Beispiele wie die Erhöhung des Zuschussbedarfs der Märkte, der sich 2022 durch zusätzliche Ausgaben auf 362.000 Euro erhöhe. „Ursprünglich war die Vorgabe der Stadtverordnetenversammlung, dass sich die Märkte gegenseitig tragen sollen. Diese Vorgabe wird ignoriert“, zeigte er auf.
Auch der Sanierungsbedarf in der Produktgruppe >Allgemeine Einrichtungen< werde mit mehr als einer Millionen Euro veranschlagt. Das seien 150.000 Euro mehr als 2021, 700.000 Euro mehr als 2020 und 300.000 Euro mehr als 2019.
„Allein wegen diesen Planansätzen ist die vorgesehene Steuererhöhung erforderlich, um das Defizit in einer genehmigungsfähigen Höhe zu halten“, erläuterte Schwinn die Sicht seiner Sozialdemokraten.
Personalausgabensteigerung von mindestens 250.000 Euro jährlich nicht berücksichtigt
Die Anhebung der Grundsteuer-Hebesätze lehne die SPD „in Zeiten der Pandemie, der allgemeinen Teuerung und unsicherer Wirtschaftslage ab, weil diese Anhebung jeden Bürger der Stadt trifft“.
Noch gar nicht berücksichtigt dabei sei, dass die vorliegende Planung im Falle eines entsprechenden Beschlusses automatisch im Bereich der Personalkosten durch die Bewilligung zusätzlicher Stellen Ausgabensteigerungen in Höhe von mindestens 250.000 Euro beinhalte, „die zwangsläufig zu weiteren Steuererhöhungen ab 2023 führt, wenn diese Bewilligungen in voller Höhe finanzwirksam werden“.
Kein Wille zu nachhaltiger Haushaltswirtschaft erkennbar
Von einer nachhaltigen Haushaltswirtschaft könne dabei keine Rede mehr sein. Diese Entwicklung könne nur verhindert werden, wenn die Ausgabenentwicklung nachhaltig gebremst werde, „insbesondere im Bereich Personalkosten, da hier Entscheidungen mit Dauerwirkung beschlossen werden, die sich im Nachhinein nur schwer korrigieren lassen.
Hierzu ist aber kein Wille erkennbar. Weder von Seiten des Bürgermeisters, noch von Seiten der Mehrheitsfraktionen“, gab sich Gernot Schwinn enttäuscht, auch wenn er die Arbeit des neuen Kämmerers Ulrich Horn für die übersichtliche Gestaltung ausdrücklich lobte.
„Unsoziale Maßnahme, die tatsächlich vermeidbar ist“
Ähnlich argumentierte GRÜNEN-Sprecher Jürgen Müller, der die geplante Grundsteuererhöhung als „unsoziale Maßnahme, die tatsächlich vermeidbar ist“ darstellte.
„Junge Familien, die hier eigentlich als Zielgruppe für die neuen Baugebiete auserkoren wurden, werden sich bedanken. Kaum fertig mit dem Bau, mit erheblichen Kostensteigerungen und dann kommt auch noch die Stadt mit deutlichen Erhöhungen der Grundsteuer“, kritisierte Müller die geplanten Maßnahmen.
„Neue Stellen größtenteils ohne konkrete Stellenbeschreibung versehen“
Insbesondere die „Mehrbelastung durch 19 neue Stellen, die größtenteils ohne konkrete Stellenbeschreibung versehen sind“, seien seiner Fraktion ein Dorn im Auge.
„In der Zukunft wird dies die Stadt mit enormen Folgekosten belasten, die bis auf eine Ausnahme, nämlich die des Umweltbeauftragten, keinerlei Einsparungen erwirtschaften können bzw. werden. Diese neuen Personalkosten fließen dauerhaft und jährlich ansteigend in den Haushalt ein“, konkretisierte Müller die ablehnende Haltung der GRÜNEN dazu.
Einsparungshinweise im Personalbereich vom RP in früheren Genehmigungen verankert
Dies geschehe, obwohl bereits in der Vergangenheit das Regierungspräsidium (RP) als Aufsichtsbehörde, gerade im Personalbereich entsprechende Einsparungshinweise in den jeweiligen Genehmigungen verankert habe. Daher wäre davon auszugehen, dass auch in diesem Jahr eine Genehmigung des RP in Frage gestellt sei.
Müller kritisierte weiter, zu der im vergangenen Jahr vorgenommenen externen Stellenbewertung liege bis dato keinerlei Unterlage, wie etwa ein angeblich erstellter Abschlussbericht vor.
„Haushaltsrelevante Umstände sind der Stadtverordnetenversammlung vorzulegen“
„Aus unserer Sicht sind Umstände, die haushaltsrelevant sind, der Stadtverordnetenversammlung vorzulegen. Wer hat eventuelle Umgruppierungen beschlossen?“, lautete seine Frage, die unbeantwortet blieb.
Grundstücke, die von der Stadt angekauft würden, seien aus GRÜNEN-Sicht zu deutlich erhöhten Preisen erworben worden, sagte Müller und nannte beispielhaft ein Grundstück im Stadtteil Schönnen, das für ein gemeinschaftlich geplantes Feuerwehrgerätehaus der Stadtteilwehren Schönnen und Ebersberg dienen soll. „Hier könnten einige Tausend Euro eingespart, oder anders verwendet werden.“
Andererseits sei ein einstimmiger Beschluss der Stadtverordnetenversammlung zum Klimaschutzkonzept aus dem Jahr 2020 im Haushalt 2022 erneut nicht berücksichtigt, verwies Müller auf den entsprechenden „Stellenwert den Umwelt- und Klimaschutz in der Kreisstadt Erbach genießt“. Ebenso werde weiterhin der bereits vor Jahren gefasste Beschluss zum Bürgerhaushalt missachtet.
„Verspätete Einbringung des Haushalts ein Verstoß gegen Hessische Gemeindeordnung“
Auch sei schon der Termin zur Einbringung des Haushalts (Anm.: der Red.: am 09. Dezember 2021) ein Verstoß gegen die Hessische Gemeindeordnung gewesen. „Hier ist klar geregelt, dass der Haushalt im Vorjahr einzubringen, zu beraten und zu verabschieden ist.“
Durch die hier bereits mehrfach verzögerte Haushaltseinbringung ergebe sich automatisch eine längere Zeit, in der nur eine vorläufige Haushaltsführung (Anm. d. Red.: ausschließlich Pflichtaufgaben dürfen erfüllt werden) machbar sei, konstatierte Jürgen Müller abschließend.
Diametral entgegen dieser Bewertungen fand sich das Statement des CDU-Sprechers André Weyrauch, der erklärte, der ausgewiesene Haushalts-Fehlbetrag mache seine Fraktion freilich ebenso wenig glücklich.
„Vorliegender Haushalt veranlasst nicht zu Freudensprüngen, ist aber alternativlos“
„Der vorliegende Haushalt veranlasst uns nicht zu Freudensprüngen, aber er ist alternativlos“, sagte Weyrauch. Es führe auch kein Weg an Steuererhöhungen vorbei, „denn wir müssen handlungsfähig bleiben“, signalisierte er die Zustimmung seiner Fraktion.
Die Stadt müsse noch gewerbefreundlicher gemacht werden, „denn wir sind keine Pendlerstadt, auch keine Schlafstadt“. Weyrauch verwies weiter auf die in den nächsten Jahren anstehenden hohen Kosten. Weitsicht sei gefragt, deshalb müsse man „wenn es sein muss mit einem spießigen Haushalt abschließen“.
Sanierungsaufschub verlagert Maßnahmen „und kann uns zwei- bis vierfach einholen“
Michael Gänssle erläuterte für die Fraktion der Überparteilichen Wählergemeinschaft (ÜWG), von den 36,6 Millionen Gesamtaufwendungen im Haushalt entfielen drei bis vier Millionen, und damit rund 10 Prozent des gesamten Haushaltsvolumens, auf freiwillige Leistungen.
Die aufgeführten freiwilligen Leistungen seien parteiübergreifend nicht strittig, „denn wir wären eine Nachtwächterstadt, wenn alle freiwilligen Leistungen gestrichen würden“, zeigte Gänssle ein düsteres Szenario auf.
Und wenn man Sanierungsmaßnahmen aufschieben würde, „bleiben die Maßnahmen dennoch erhalten und werden uns eventuell zwei- bis vierfach einholen“, warnte der ÜWG- Fraktionschef davor die erforderlichen Sanierungen in die Zukunft zu verlagern.
„Wenn uns die Pandemie in Ruhe lässt, müssten wir dann die Möglichkeit haben, gewappnet zu sein“, lenkte Gänssle trotz der aktuell prekären Lage einen hoffnungsvollen Blick in die Zukunft.
„Verbesserungsvorschläge fehlen“ - „Stellenbeschreibungen nicht ausgewogen“
Für die FDP forderte Karl Krings von den Fraktionen der SPD und der GRÜNEN neben der Kritik am vorliegenden Haushaltsentwurf auch eigene Verbesserungsvorschläge ein.
Gudrun Gebhardt monierte bei dreimal 40-Stunden-Stellen fehlende konkrete Stellenbeschreibungen. Dieser Bereich sei „nicht ausgewogen“, sagte die GRÜNEN-Stadtverordnete.
„Bürgermeister hat sich keine persönliche Pressesprecherin gegönnt“
Bürgermeister Dr. Peter Traub wollte die gegen ihn gerichteten Vorwürfe im Wesentlichen unkommentiert lassen, wehrte sich jedoch vor allem gegen den Vorwurf von Parlamentsvorsteher Antonio Duarte.
„Der Bürgermeister hat sich keine persönliche Pressesprecherin gegönnt“, betonte der Verwaltungschef. Das sei eine Beleidigung der Pressesprecherin, die innerhalb eines komplexen Aufgabengebiets keineswegs nur als Pressesprecherin sondern für die gesamte Medien- und Öffentlichkeitsarbeit der Stadt zuständig sei, sagte Traub.
Den Kritikern aus SPD und GRÜNEN hielt der Bürgermeister entgegen, ohne Grundsteuererhöhung wäre die Stadt nicht mehr zukunftsfähig. Dieses Argument fixierte er auch am geplanten teueren Ausbau des Gigabitnetzes.
„Gigabitausbau erfordert ab 2023 für acht Jahre jährlich 350.000 Euro“
Dieser erfordere ab 2023 über acht Jahre eine jährliche Haushaltsbelastung von 350.000 Euro. Auch erwarte er eine zusätzliche Belastung des städtischen Etats durch eine zu erwartende Erhöhung der Kreisumlage.
Den GRÜNEN entgegnete er, sie würden grundsätzlich alles ablehnen, ohne sich mit eigenen Änderungsvorschlägen einzubringen. Explizit nannte er die von Jürgen Müller bezifferten 19 neue Stellen eine Falschaussage. Die aktuelle Planung sehe tatsächlich 7,87 anstelle der genannten 19 neuen Stellen vor. Diese verteilten sich häufig auf mehrere Teilzeitstellen oder deren stundenweise Aufstockung.
„Wir investieren in die Attraktivität unserer Stadt“
Ohne Grundsteuererhöhung seien all diese Erfordernisse nicht zu stemmen. „Wir investieren in die Attraktivität unserer Stadt. Die Bürger kriegen etwas dafür, bei Ihnen kriegen sie nichts, ich halte Ihren Vorschlag für verantwortungslos“, attakierte Traub seine Kritiker.
„Es bleibt das Prinzip Hoffnung, dass von Bund und Land noch etwas kommt“, hielt der Bürgermeister einen kleinen Docht am dunklen Erbacher Finanzhorizont am Glimmen.
In einer unmittelbar an die Sitzung anschließenden nichtöffentlichen Präsidiumssitzung verständigte man sich nach FACT-Recherchen darauf, den Haushaltsplanentwurf noch einmal auf den Prüfstand zu stellen und dann in der nächstfolgenden turnusmäßigen Parlamentssitzung am Donnerstag, 03. März, abschließend zu beraten und zu beschließen.