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Mutierte das Erbacher Rathaus unter Bürgermeister Harald Buschmann zur Fälscherwerkstatt?

Hat sich Harald Buschmann, der Bürgermeister der Odenwälder Kreisstadt Erbach, als Mitglied der sogenannten Lebensform-Connection, ebenfalls der Untreuehandlungen schuldig gemacht?

Im Erbacher Rathaus wurden nachweislich Dokumente gefälscht. Archivbilder: © by -pdh-

Jetzt wird auch die Stadtverwaltung Erbach auf eine „Lebensform-Connection“ hin unter die Lupe genommen: Kreisstadt-Bürgermeister offenbar noch deutlich intensiver verflochten mit der Agentur als der kürzlich verurteilte frühere Odenwälder Landrat Dietrich Kübler

ERBACH. - Wie sich die Bilder gleichen: Knapp drei Wochen sind vergangen, seit das Schöffengericht Michelstadt Dietrich Kübler, den früheren Landrat des Odenwaldkreises, wegen erwiesener Untreue bei der sogenannten Standortmarketingaffäre im Zusammenhang mit der unrechtmäßigen Auftragsvergabe an seine Lieblingsagentur Lebensform GmbH in Erbach verurteilt hat (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews).

Ebenfalls knapp drei Wochen ist es her, dass der Erbacher Bürgermeister Harald Buschmann eine gemeinsame Anfrage der beiden Parlamentsfraktionen SPD und ÜWG zur Zusammenarbeit der Kreisstadt mit exakt der gleichen Werbeagentur beantwortet hat.

Und auch die Protagonisten sind nahezu identisch, denn schon steht die in beiden Fällen protegierte Erbacher Agentur Lebensform GmbH erneut im Mittelpunkt einer neuen, nach FACT vorliegenden Beweisen noch deutlich größeren Affäre mit und um Bürgermeister Harald Buschmann in der Odenwälder Kreisstadt Erbach.

Déjà-vu-Erlebnisse mit gefälschten Dokumenten

Dass dem Kreisstadt-Bürgermeister, der sich bei allen seinen Wahlkämpfen analog Kübler stets dieser Agentur bedient hat, dabei offenbar nahezu jedes Mittel bis hin zu Fälschungen von Dokumenten recht ist, belegen umfangreiche FACT-Recherchen, die exakt diese vermutete Straftat zementieren.

Der Vorsitzende Richter der Strafkammer am Amtsgericht Michelstadt hatte ein feines Gespür. Vor wenigen Monaten arbeitete er akribisch im Kübler-Prozess heraus, dass in den Gremien des Landkreises Sitzungsakten nachträglich verfälscht oder sogar erstellt und damit frei „erfunden“ worden waren.

Es ging damals um ein im Odenwaldkreis neu zu etablierendes „Standortmarketing“, dessen Einführung gründlich in die Hose ging. Der Fall endete wie bekannt mit einer Haftstrafe von sieben Monaten auf Bewährung und einer Geldstrafe in Höhe von 25.000 Euro für den damals amtierenden Landrat Dietrich Kübler (ÜWG). Sowohl Staatsanwaltschaft als auch Verteidigung gingen mittlerweile in Berufung gegen das Urteil.

Im Erbacher Stadtparlament hat man derzeit Déjà-vu-Erlebnisse. Hatte Richter Helmut Schmied während seiner Vernehmungen nachträglich eingefügte Dokumente durch dilettantisch fehlerhaft vergebene Dokumentennummern entdeckt und als Fälschungen entlarvt, so wiederholen sich diese Erfahrungen derzeit auf Ebene der Kreisstadt Erbach. Nur noch deutlich dilettantischer als damals in der Odenwälder Kreisverwaltung in Verbindung mit vermuteten weiteren Untreuehandlungen.

„Lebensform-Connection“: Zwei Bürgermeister mischen kräftig mit

Nach jahrelangen Disputen und Heimlichkeiten aufseiten des Bürgermeisters Harald Buschmann (CDU) hatten aktuell ÜWG und SPD im Stadtrat aufgrund der Erkenntnisse aus dem Kübler-Prozess die Geduld mit dem Bürgermeister verloren, der ihnen stets ausweichende und nebulöse Angaben darüber auftischte, welche Umsätze er im Namen der Stadt Erbach mit der Erbacher Werbeagentur in den letzten 15 Jahren getätigt hatte.

Diese Agentur stand auch im Fokus der Ermittlungen gegen den früheren Landrat. Richter Helmut Schmied hatte herausgefunden, dass eine so genannte „Lebensform-Connection“, bestehend aus dem damaligen Landrat, dem Erbacher Bürgermeister Buschmann und dem Reichelsheimer Bürgermeister Lopinsky existierte und zum Teil noch aktiv besteht.

Für alle drei Politiker hatte die Werbeagentur die persönlichen Wahlkämpfe gemanagt und fortan erhielt die Agentur die Marketing-Aufträge aus Erbach und Reichelsheim sowie des Odenwaldkreises.

Johannes Kessel: „In Erbach klappt das hervorragend“

Wie es zurzeit aussieht, jeweils ohne Einholung von Konkurrenzangeboten oder gar Ausschreibungen, höchstwahrscheinlich sogar ohne konkrete Verträge und schriftliche Unterlagen, Auftragsvergabe sozusagen auf Zuruf, im Fall des Ex-Landrats tatsächlich bewiesenermaßen telefonisch ohne jede schriftliche Fixierung.

Als „System Kessel“ bezeichneten passionierte Prozessbeobachter die Vorgänge, denn der Agenturchef Johannes Kessel hatte dem Richter im Kübler-Prozess treuherzig erklärt: „So arbeite ich seit 20 Jahren, und in Erbach klappt das hervorragend“, soll heißen ohne ihn bindende Verträge und Vereinbarungen, für Außenstehende chaotisch und im extremen Graubereich (Siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews).

Denn wer keine Verträge schließt, kann auch nicht für Vertragsverletzungen herangezogen werden. Seit nunmehr fünf Jahren fragen sich die Vorgänge beobachtende Fachleute aus der Branche, warum die drei Politiker sich und ihre Gemeinden oder Kreisfirmen dieser unüberschaubaren Gefahr aussetzen und sich einer sehr umstrittenen Werbeagentur total ausliefern.

Dubiose Vorgänge kritisch hinterfragt

Und jetzt offenbar sogar zum Eigenschutz nachträglich rückdatierte Fake-Vereinbarungen „basteln“. Dieser Verdacht könnte der Darmstädter Staatsanwaltschaft erneut umfangreiche Arbeit bescheren. Sie kennt sich im Odenwaldkreis und mit diesen Themen bereits gut aus.

Genau darüber und weitere Ungereimtheiten im dubiosen Zusammenspiel zwischen der Stadtverwaltung und der streitbaren Agentur wollten sich jetzt Erbacher SPD- und ÜWG-Politiker Klarheit verschaffen und hinterfragten die entsprechenden Vorgänge kritisch.

Sie forderten Bürgermeister Buschmann am 14. Dezember vergangenen Jahres auf, Details der Zusammenarbeit mit Lebensform bis 12. Januar dieses Jahres offen zu legen. Dieser Aufforderung kam der Erbacher Rathauschef sogar noch im alten Jahr nach.

182 Seiten „under cover“-Antwort

Samt Anlagen insgesamt 182 Seiten stark ist das Pamphlet, das der Erbacher Rathauschef jedem Gremiumsmitglied aus Magistrat und Stadtverordnetenversammlung seit dem 21. Dezember 2017 über mehrere Tage verteilt, sozusagen als „Weihnachtspäckchen“ zustellen ließ.

Auf sieben einleitenden Seiten versucht der Bürgermeister geschickt und wortreich die in der Anfrage der Fraktionen erbetenen Details dieser Zusammenarbeit seit Beginn seiner Amtszeit im Jahr 2000 mit eben diesem Erbacher Werbeunternehmen zu rechtfertigen, indem er sie verschleiert.

Dabei bedient sich Harald Buschmann zunächst einmal mehr des umfangreichen Hinweises auf Datenschutz und „auf die Verschwiegenheitspflicht nach §24 der Hessischen Gemeindeordnung“ (HGO). „Bei der Weitergabe von persönlichen Daten sind vor allem die Persönlichkeitsrechte der betroffenen Personen oder des Unternehmens zu beachten“, versucht der Bürgermeister erneut die Angelegenheit „under Cover“ abzuwickeln.

Selbst auferlegte „Verschwiegenheitspflicht“ gebrochen

Schon einmal, am 14. November 2013, hatte er eine damalige Anfrage der Fraktion Bündnis90/Die Grünen im Erbacher Stadtparlament zum selben Thema beantwortet und unter diese „Verschwiegenheitspflicht“ gestellt.

Besonders beachtenswert dabei ist, dass er selbst zum vergangenen Wochenende diese von ihm auferlegte „Verschwiegenheitspflicht“ konterkarierte, indem er den Weg in die Öffentlichkeit suchte. Details aus seinem Antwortschreiben offenbarte er in einer Tagesgazette und nannte dabei „Ross und Reiter“, ohne eben diese angeblichen „Persönlichkeitsrechte“ von Personen und des betreffenden Unternehmens zu wahren.

Aufträge für 510.604,80 Euro soll die Stadt Erbach demnach in den Jahren 2002 bis 2017 an die Lebensform GmbH vergeben haben. Unerwähnt bleiben dabei allerdings horrende Summen im siebenstelligen Bereich, die zwar größtenteils nicht direkt mit der Lebensform GmbH umgesetzt wurden, jedoch zumindest in dieser enormen Größenordnung ausschließlich dieser Agentur zuzuordnen und vom Bürgermeister zu verantworten sind.

400.000 Euro Mehrkosten allein bei der Sanierung des Elfenbeinmuseums

So verteuerte sich beispielsweise allein die Sanierung und Modernisierung des Deutschen Elfenbeinmuseums am alten Standort Werner-Borchers-Halle im Jahr 2006 von ursprünglich veranschlagten und genehmigten Haushaltsmitteln in Höhe von 400.000 Euro unter der Gesamtleitung des Agenturinhabers Johannes Kessel um gut den doppelten Betrag.

Schon damals war es ob der Eigenmächtigkeit des Bürgermeisters, der ohne die zuständigen Gremien zu informieren, den „Künstler“ uneingeschränkt nach dessen Gusto gewähren ließ, und die Verdoppelung der Kosten um 400.000 Euro erst zum Jahresende im Nachtragshaushalt offenbarte, zu erheblichen Verwerfungen mit dem Stadtparlament gekommen.

Die Verfehlungen des Bürgermeisters führten damals dazu, dass der Nachtragshaushalt zunächst von der Stadtverordnetenversammlung abgelehnt worden war. Erst nach einer Entschuldigung von Harald Buschmann, eindringlichen Appellen und seinem ausdrücklichen Versprechen, dieses Ereignis werde sich nicht wiederholen, genehmigten die Stadtverordneten in einer eilig einberufenen Sondersitzung den Nachtragsetat mit den erheblichen Mehrkosten.

Insgesamt mehr als 2 Millionen Euro an Umsätzen mit und über Lebensform-GmbH

Weitere solcher Kosten entstanden bei insgesamt sechs Sonderveranstaltungen im Deutschen Elfenbeinmuseum. Auch die Umbaukosten im Touristikcenter im Alten Rathaus am Marktplatz zählen dazu. Dort habe sich der „Künstler“ ebenfalls nach eigenem Gutdünken „austoben“ dürfen, berichtet ein mit Insider-Wissen ausgestatteter Zeitzeuge.

Dabei gilt es anzumerken, dass die ersten Sonderausstellungen im Elfenbeinmuseum wie etwa „Die Grabkammer des Tutanchamun“ zu öffentlichkeitswirksamen Erfolgen gereichten, während mindestens die Hälfte dieser Veranstaltungen eher von mäßigem Erfolg beschieden waren und insbesondere die letzte Sonderausstellung „Die Römer im Odenwald“ zu einem finanziellen Desaster für die Stadt Erbach führte und seither solche Ausstellungen auch nicht mehr fortgeführt wurden.

Insgesamt belaufen sich die mit der und über die Lebensform-GmbH entstandenen Kosten für die unter dem Schutzschirm des Landes Hessen stehende Odenwälder Kreisstadt Erbach nach Insider-Kenntnissen auf ein Gesamtvolumen von mehr als 2 Millionen Euro.

Gespickt mit Fälschungen, Halb- und Unwahrheiten

Ungeachtet diverser Halb- bzw. Unwahrheiten in der jeweiligen, teilweise divergierenden, Darstellung enthüllen Buschmanns Antworten zu den Anfragen damals wie heute schier Unglaubliches was die Geschäftsbeziehung der Stadt Erbach zur Werbeagentur Lebensform GmbH bzw. deren Inhaber und Geschäftsführer Johannes Kessel betrifft.

Sind in Buschmanns Antwortschreiben vom 14. November 2013 mehrere unzulässig gestückelte Rechnungen im Gesamtwert von mehr als 50.000 Euro und der darin enthaltenen dubiosen Leistungsbeschreibungen „diverse Arbeiten für den Erbacher Wiesenmarkt 2002“ enthalten, werden in der aktuellen Offenlegung zumindest Arbeitsleistungen in den Rechnungen der Wirtschaftsjahre 2016 und 2017 detailliert aufgelistet.

Dagegen erlangen die jetzt vorgelegten Unterlagen eine neue, höchst brisante Negativqualität. Nach FACT vorliegenden zweifelsfreien Beweisen, wurden zumindest mehrere Auftrags-/Bestellscheine für Leistungen zum Erbacher Wiesenmarkt 2017 rückdatiert und damit die städtischen Gremien mit gefälschten Dokumenten versorgt.

Einzelaufträge im Gesamtvolumen von mehr als 51.000 Euro nachträglich erteilt

Ausweislich der vorgelegten Unterlagen sollen diverse Aufträge an die Lebensform GmbH für das Projekt Wiesenmarkt 2017 mit einem Gesamtvolumen von mehr als 51.000 Euro, erneut gestückelt, in der Zeit zwischen dem 21. April 2017 und dem 30. Juni 2017 erteilt worden sein.

Die ausschließlich von Bürgermeister Harald Buschmann und seinem Stadtbaumeister Martin LaMeir wechselseitig unterzeichneten und mit fortlaufenden Nummern versehenen Bestellungen an die Lebensform GmbH können jedoch aufgrund der FACT vorliegenden Beweise frühestens Mitte September 2017 erfolgt sein.

Zu dieser Zeit war der Erbacher Wiesenmarkt 2017 allerdings schon zwei Monate zuvor in die Annalen des traditionsreichen Odenwälder Volksfestes eingegangen, soll heißen seit sieben Wochen vorüber.

Wochenend-Überstunden für Auftragserteilung an Lebensform?

Auch korrespondieren die fortlaufenden Bestellscheinnummern keineswegs mit den in den Einzelaufträgen vermerkten aufsteigenden Daten vom 21. April bis einschließlich Ende Juni des Jahres 2017. In einem Fall wurden angeblich sogar für eine Auftragserteilung in der Verwaltung der Kreisstadt am Wochenende Überstunden „geschoben“.

Der Auftrag mit der Bestellnummer 158/2017 an die Lebensform GmbH war offenbar so dringlich, dass er am Samstag, 6. Mai 2017, und damit außerhalb der Geschäftszeiten in der Erbacher Stadtverwaltung erteilt werden musste. Oder sollte sich da etwa jemand bei der Rückdatierung im September beim Wochentag im Mai vergriffen haben?

Weitere Recherchen ergaben, dass die Auftragsnummern der offensichtlich rückdatierten Schreiben auch keineswegs mit den Vergabedaten der nummerierten Bestellscheine an andere Auftragnehmer der Stadt Erbach übereinstimmen.

Spiegelung eines pikanten Faktums aus dem Kübler-Prozess

Ob es sich bei den entsprechenden Angeboten der Lebensform GmbH, auf die in den gefakten Auftragserteilungen Bezug genommen wurde, ebenfalls um rückdatierte Schreiben handelt, wird möglicherweise auch Ermittlungsgegenstand der Strafverfolgungsbehörden sein.

Identische Erkenntnisse aus dem erwähnten Kübler-Prozess mit den jetzt offenbarten Ereignissen in Erbach sind keineswegs zufällig: Als pikantes Faktum wurde vor Gericht registriert, dass unter dem Datum 28.10.2013 drei Rechnungen der Agentur Lebensform im Gesamtvolumen von zusammen mehr als 101.000 Euro unter dem Angebotsbezug 12.12.2012 der damals mit den administrativen Aufgaben beauftragten Kreistochter OREG vorgelegt wurden, ohne dass es unter dem Datum 12.12.2012 auch nur ein einziges Angebot gab.

Sollte sich also jetzt herausstellen, dass auch die den im Erbacher Rathaus gefakten Auftragsbestellungen zugrunde liegenden Lebensform-Angebote nachträglich erstellt worden sind, dürfte das Lebensform-Geschäftsgebaren sehr wohl ebenfalls justiziabel sein.