KVH sieht Landrat Frank Matiaske auf den Spuren von Donald Trump
Vorstände der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen bezichtigen den Odenwälder Landrat der wiederholten Verbreitung von Unwahrheiten im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und den im Odenwald dabei 63 Verstorbenen + + + Matiaske tritt Vorwürfen entgegenFRANKFURT / ERBACH. - Die beiden Vorstandsvorsitzenden der Kassenärztlichen Vereinigung Hessen (KVH) fahren schweres Geschütz auf gegen den Odenwälder Landrat.
„Auch Wiederholungen machen Unwahrheiten nicht wahrer“, sagen Frank Dastych und Dr. Eckhard Starke und vergleichen Frank Matiaske mit Donald Trump und den von diesem häufig verbreiteten Unwahrheiten.
Anlass für die herbe Kritik am Chef der Odenwälder Kreisverwaltung sind die wiederholten Vorwürfe Matiaskes am fehlenden Corona-Testcenter im Odenwaldkreis, das die KV dem kleinsten Landkreis Hessens verweigert hatte.
Der Vorstand der KVH trat jetzt den Vorwürfen aus dem Odenwaldkreis entschieden entgegen, die hohe Todeszahl in der Corona-Pandemie hänge mit dem fehlenden Testcenter zusammen und die KVH sei dafür verantwortlich.
„Falschbehauptungen oder Narrative werden auch im Odenwaldkreis in die Welt gesetzt“
„Wir leben bedauerlicherweise in Zeiten, in denen sich Gesellschaft und Medien immer mehr von Fakten entfernen. Und leider gilt dies, wie wir nun zum wiederholten Mal feststellen, auch für den einen oder anderen hessischen Landrat und seine Verwaltungsmitarbeitenden.
Denn Falschbehauptungen oder Narrative, wie man sie heute neudeutsch nennt, werden nicht nur im fernen Washington unabhängig vom Wahrheitsgehalt in die Welt gesetzt, sondern unter anderem auch im Odenwaldkreis.
Auch dort scheint man nach dem Motto zu verfahren: ,Wiederhole Dinge einfach so oft, dass sie irgendwann als wahr gelten, denn Dinge, die man immer wieder hört, müssen ja wahr sein’.
Katastrophale Bilanz im Odenwalkreis
Und so hat sich schleichend aber konsequent in den letzten Monaten aus und im Odenwaldkreis das Narrativ etabliert, die ĂĽberdurchschnittlich hohe Todeszahl dort liege daran, dass die KVH im Landkreis kein Testcenter eingerichtet habe.
Nun ist das Schöne an Fakten, dass man sie überprüfen kann. Die Bilanz im Odenwaldkreis ist, nicht nur im hessischen sondern bundesweiten Vergleich, mit 15,11 Prozent Toten in Bezug auf die Zahl der Infizierten katastrophal.
Odenwaldkreis einsam an der Spitze
Mit 431 Infizierten pro 100.000 Einwohner liegt der Odenwaldkreis ebenfalls einsam an der Spitze in Hessen. Zusammen mit dem Schwalm-Eder-Kreis ist der Odenwaldkreis damit verantwortlich fĂĽr 20 Prozent der 514 Covid-19-Toten in Hessen. Und das, wo gerade einmal 4,5 Prozent der Einwohner Hessens in diesen beiden Landkreisen leben.
Und jetzt soll alles an dem fehlenden Testcenter gelegen haben? Jenseits dieser Pandemie würden wir das eher als schlechten Scherz und eine wodurch auch immer ausgelöste Wahrnehmungsstörung bezeichnen und uns dazu nicht weiter äußern.
63 Menschen, die, für welche Versäumnisse auch immer, mit ihrem Leben bezahlt haben
Hier geht es aber um 63, vielfach ältere Menschen, die für welche Versäumnisse auch immer mit ihrem Leben bezahlt haben. Und das macht das Ganze zu einer todernsten Sache.
In Hessen gab es zudem elf Landkreise ohne Testcenter. Darunter die Wetterau, der Hochtaunuskreis, der Rheingau-Taunus-Kreis oder Darmstadt-Dieburg. Und wie sehen die Zahlen dort aus? 120 bis 150 Fälle/100.000 Einwohner und 1,69 bis 4,54 Prozent Letalität.
Das sind selbst in Hessen, das bundesweit eine an sich schon sehr gute Bilanz aufweist, gute, beziehungsweise sogar Spitzenwerte.
In Frankfurt mit siebeneinhalb-facher Einwohnerzahl genauso viele Menschen verstorben
Eine solche Bilanz hätte im Odenwald fast 300 Infektionen weniger und über 50 Tote, hauptsächlich ältere Menschen, hauptsächlich HeimbewohnerInnen, weniger zur Folge gehabt.
Diese Zahlen sind auch umso dramatischer, da in der größten Stadt Hessens, Frankfurt am Main, mit siebeneinhalb mal mehr Einwohnern, genauso viele Menschen an Covid-19 verstorben sind, wie im Odenwaldkreis.
Insgesamt lebten zudem rund 200 der an Covid-19 in Hessen Verstorbenen in Seniorenheimen. Das sind etwas mehr als 40 Prozent. Von den im Odenwald verstorbenen Menschen lebten dagegen ĂĽber 70 Prozent in solchen Einrichtungen.
Odenwaldkreis hessen- und deutschlandweit bei Todesrate ganz unten
Noch immer ist das fehlende Testcenter schuld? Ein Blick auf die Hessen-Zahlen hilft erneut: Ganz unten in Hessen und Deutschland steht da, was die Todesrate angeht, nur der Odenwald.
Aber ein Platz davor steht besagter Schwalm-Eder-Kreis. Was finden wir hier? 311 Fälle/100.000 Einwohner, 37 Tote, eine Letalität von 6,6 Prozent und ein Testcenter in Homberg/Efze.
Zudem stand für den Odenwald bei den eher ungünstigen geografischen Gegebenheiten und einer der niedrigsten Bevölkerungsdichten in Hessen mit 155 Ew/km2 alternativ ein Fahrdienst der KV Hessen zur Verfügung, der aber auf genau 0 (null) Einsätze gekommen ist.
Er wurde also 0 (null) mal vom Gesundheitsamt oder vom Landkreis angefordert. Dieser Fahrdienst beinhaltete das gleiche Versorgungs- und Testangebot wie unsere Covid-19-Koordinierungscenter, somit unsere sogenannten Testcenter.
Übrigens behaupteten die Funktionsträger des Odenwaldkreises zeitweise auch, die zahlreichen Altenheime im Gebiet seien von Beginn an konsequent auf Corona getestet worden und jeder darauffolgende Todesfall sei seither im Falle der Infektion der meist hochbetagten Bewohner als Corona-Todesfall gezählt worden, auch wenn die eigentliche Sterbeursache oftmals eine ganz andere gewesen sei. So konnte man es wenigstens auf FACT nachlesen.
„Nähe zu Bayern soll es ja auch mal eine Zeit gewesen sein“
Und ganz am Anfang lagen die Todeszahlen und Infektionen noch an der Beliebtheit österreichischer Skigebiete im Odenwald und den angeblich intensiven Geschäftsbeziehungen zu italienischen Firmen und einem angeblich so guten Covid-19-Detektionskonzept mit angeblich aktiver Fallnachverfolgungsarbeit des Gesundheitsamtes.
So las man es dann jedenfalls in der Lagedarstellung des hessischen Innenministeriums am 27. April 2020. Die Nähe zu Bayern soll es ja auch mal eine Zeit gewesen sein.
Dabei weisen alle angrenzenden Landkreise in Hessen, Baden-WĂĽrttemberg und Bayern, insbesondere die BergstraĂźe in Hessen, deutlich bessere Bilanzen auf.
„Ursprüngliche Pläne der KV waren leider nicht sinnvoll“
Hoffen wir nun, dass der Versuch, diese drängenden Fragen mit dem tumben Vorwurf des fehlenden Testcenters zu beantworten, beendet ist und endlich die Aufklärung anfängt, warum es zu dieser Todeszone in Hessen gekommen ist.
Ein kleines Schmankerl zum Schluss: Die ursprünglichen Pläne der KV, am Standort des Ärztlichen Bereitchaftsdienstes (ÄBD) in Erbach/Odenwald ein Testcenter zu errichten, waren aufgrund der bestehenden Infektionslage im dortigen Krankenhaus leider nicht sinnvoll“, schließen Frank Dastych und Dr. Eckhard Starke.
„Inakzeptable Reaktion, sowohl inhaltlich als auch vom Stil her“
Frank Matiaske tritt diesen Vorwürfen entgegen: „Ja, ich habe von Anfang an moniert, dass die KV kein Testzentrum bei uns eingerichtet hat, aber nie gesagt, dass deswegen mehr Menschen an oder mit dem Virus gestorben sind als andernorts. Wenn jemand meine Kritik so aufgefasst hat, dann ist das eine persönliche Interpretation des Betreffenden.“
Mit dem heftigen Angriff gegen den Kreis und gegen ihn persönlich setze die Geschäftsführung der KV einen „unterirdischen Kommunikationsstil“ gegenüber den Kommunen fort, die sich kritisch gegenüber der Vereinigung geäußert hätten, so Matiaske. „Hilfreich wäre es, gemeinsam Lösungen zu finden.“
„Es ging alleine um wohnortnahe Corona-Testmöglichkeit“
Es sei ihm allein darum gegangen, dass auch die Odenwälderinnen und Odenwälder eine wohnortnahe Möglichkeit für einen Corona-Test hätten haben müssen.
Der Odenwaldkreis habe von Anfang seine Mitwirkung an einer solchen Einrichtung signalisiert und gemeinsam mit der Stadt Erbach Örtlichkeiten und Equipment angeboten. „Das aber wollte die KV nicht.“
FĂĽr Mehrheit der Odenwaldbewohner standen Fahrzeiten von mehr als einer Stunde an
Die Auffassung der KV, dass fast jeder Bürger Hessens innerhalb eines Radius von 30 km ein Testcenter erreichen könne, stimme für den Odenwaldkreis nun einmal nur sehr eingeschränkt, konstatiert Matiaske.
Lediglich die BĂĽrgerinnen und BĂĽrger des Gersprenztals mĂĽssten weniger als 30 Kilometer nach Darmstadt beziehungsweise Heppenheim fahren.
„Der Rest der Bevölkerung, die Mehrheit im Kreis, hat es weiter, viele mit Fahrzeiten, die deutlich über einer Stunde mit dem eigenen Fahrzeug liegen.“ Das sei der Kern seiner Kritik gewesen und für ihn nach wie vor ein unhaltbarer Zustand.
„Wenig zielführend und alle Fakten ignorierend“
Die von der KV in ihrer Mitteilung angestellten Vergleiche mit anderen Landkreisen nannte Matiaske „wenig zielführend und alle Fakten ignorierend“, denn es gebe in ganz Deutschland und darüber hinaus besonders betroffene Regionen und andere, die es nicht seien.
Dafür hätten Mediziner weltweit keine Erklärung. „Dies sollte eigentlich auch der KV bekannt sein.“ Wie deutlich die Vergleiche hinken, werde für Matiaske schon daran deutlich, dass die KV darauf verweist, dass auch der Landkreis Darmstadt-Dieburg kein Testzentrum habe.
Ein Blick auf die Landkarte reiche aus, um zu erkennen, dass die kreisfreie Stadt Darmstadt mitten in dem sie umgebenden Landkreis Darmstadt-Dieburg liege, groĂźe Teile der Kreisverwaltung seien sogar auf dem Gebiet der Stadt Darmstadt angesiedelt.
Fahrdienst erst Mitte Mai angeboten
Auf den Verweis der KV, dass der Odenwaldkreis einen Fahrdienst nicht genutzt habe, der das gleiche Versorgungs- und Testangebot beinhaltet habe wie die Testzentren, entgegnete Matiaske: „Hier hätte früher Klarheit herrschen müssen.“
Mitte April habe das Gesundheitsamt vom Testzentrum in Heppenheim die Auskunft bekommen, dass dieser Dienst lediglich den Vorderen Odenwald abdecke. Erst Mitte Mai hieß es dann, dass das Angebot auch für den Odenwaldkreis zur Verfügung stehe. „Da war die erste heftige Welle der Pandemie längst durch.“
„Todeszone“ eine falsche Wortwahl
Verwundert zeigt sich der Landrat über die Wortwahl der KV, die vom Odenwaldkreis als „Todeszone“ spricht.
„Wer als Mediziner so zynisch redet, zeigt leider nur wenig Empathie – weder mit den Verstorbenen und ihren Angehörigen, noch gegenüber den Pflegekräften in Altenheimen, den Mitarbeitern im Krankenhaus und Gesundheitsamt und gegenüber den niedergelassenen Ärzten, mit denen der Odenwaldkreis in engem Kontakt steht.“