Pflegestiftung zeigt wie's geht: Grundstein für hausärztliche Gemeinschaftspraxis gelegt
„Dokumentiert seit dem Jahr 2010, vielleicht auch noch länger, haben wir Jahre darauf gewartet, dass etwas passiert, doch es gab keinerlei konkrete Entscheidungen“, beklagt Michael Vetter die Untätigkeit zur Sicherstellung der hausärztlichen Versorgung in der OberzentBEERFELDEN. - Was die politisch Verantwortlichen in Beerfelden und der gesamten Oberzent im vergangenen Jahrzehnt, zuletzt auch mit der 2015 eigens gegründeten „Gesundheits-Versorgungs-Kooperation Oberzent e.V.“ (GVK) im Verbund, nicht schafften, das vollzog die Pflegestiftung Odenwald am Sonntag, 4. November, mit der Grundsteinlegung für eine allgemein zugängliche hausärztliche Gemeinschaftspraxis.
„In einem Spitzengespräch beim damaligen Landrat Dietrich Kübler mit dem Hessischen Sozialministerium und Akteuren aus dem Gesundheitswesen im Odenwaldkreis zum Ärztemangel in der Oberzent hat man uns gesagt, Räumlichkeiten werden nicht unbedingt benötigt, Ärzte könnten auch virtuell zusammenarbeiten.“
So schildert Michael Vetter, Geschäftsführer der Pflegestiftung Odenwald, die Fehleinschätzung und die mit ihr untrennbar verbundene Fehlentwicklung bei der hausärztlichen Versorgung in der Oberzent.
„Dokumentiert seit dem Jahr 2010, vielleicht auch noch länger, haben wir Jahre darauf gewartet, dass etwas passiert, doch es gab keinerlei konkrete Entscheidungen.“
Zukunftsängste wegen fehlender hausärztlichen Versorgung
Vor diesem Hintergrund habe man auf lange Sicht gesehen bereits Zukunftsängste wegen der fehlenden hausärztlichen Versorgung um die 2013 eröffnete stationäre Pflegeeinrichtung in der Seniorenresidenz Hedwig Henneböhl gehabt, deren 106 Pflegeplätze komplett belegt sind.
„Wir haben nämlich gegenüber der Heimaufsicht, dem Amt für Versorgung und Soziales die hausärztliche Versorgung für unsere Bewohner in der stationären Pflegeeinrichtung sicherzustellen.
Wer dies nicht kann, muss mit der Schließung seiner Einrichtung rechnen“, habe die Heimaufsicht auch aktuell noch einmal bei der Pflegekonferenz des Odenwaldkreises am 17. Oktober dieses Jahres verdeutlicht.
Bereits 2012 eigene Aktivitäten angekündigt, „falls nichts passiert“
In einem Gespräch mit Vertretern der Stadt Beerfelden habe man am 17. Juli 2012 „unsere Entscheidung gegenüber einem Investor für ein Ärztehaus in Beerfelden mitgeteilt, sollte bis zum 1. September 2013 nichts passiert sein, werden wir selbst eine allgemein zugängliche Hausärztliche Gemeinschaftspraxis in der Seniorenresidenz Hedwig Henneböhl errichten“.
Die ärztliche Versorgung habe sich zwar seither etwas stabilisiert, nachdem mit Frau Dr. Mubarak und aktuell seit Juli dieses Jahres mit Dr. Wagner und Dr. Wohland weitere vakante Arztsitze in der Oberzent besetzt werden konnten.
„Darüber sind wir sehr froh. Mit allen Ärzten und auch der Brunnen-Apotheke arbeiten wir sehr gut zusammen“, sagte Vetter.
In der Ärzteschaft werde übereinstimmend darüber gesprochen, dass eine hausärztliche Einzelpraxis keine Zukunft habe.
Medizin werde überwiegend von Frauen studiert. Elternzeit, Wunsch auf Teilzeitbeschäftigung bei Frauen und Männern seien zunehmend ausgeprägter. Räumlichkeiten dafür gebe es allerdings in der Oberzent nicht.
Selbständige Einheit mit zahlreichen Standortvorteilen
„Deshalb bauen wir eine allgemein zugängliche hausärztliche Gemeinschaftspraxis. Auch wenn noch keine konkrete Entscheidung über die Vermietung an Ärzte für unsere Gemeinschaftspraxis getroffen wurde, sind wir sicher, dass unser Standort mit der vorhandenen Infrastruktur der Beste in der Oberzent ist“, betonte der Geschäftsführer der Pflegestiftung Odenwald.
Die selbständige Einheit sei kein medizinisches Versorgungszentrum, aber ausgestattet mit einem eigenen großzügigen Eingangsbereich und barrierefreien Räumlichkeiten.
Mit vier Arztzimmern und vier Behandlungsräumen mit optimaler Infrastruktur habe die Planung die Zustimmung des Gesundheitsamtes gefunden.
Mehr als 3.000 Patienten können hier versorgt werden
In diesen Praxisräumen mit bester IT-Infrastrukturnutzung könnten mehr als 3.000 Patienten versorgt werden.
Eine optimale Parkplatzversorgung mit direkter Anfahrtsmöglichkeit seien weitere Positivmerkmale des Praxisstandortes.
Darüber hinaus könne man mit einer stationären und ambulanten Pflegeeinrichtung (Hauswirtschaft, Betreuung und Mahlzeitendienst „Essen auf Rädern“ im Hause) ebenso aufwarten, wie mit Beratungsangeboten nach SGB V und SGB XI im Gebäude.
Ein bereits als Treffpunkt anerkanntes öffentlich zugängliches Restaurant, und eine Kleinkunstbühne mit Bistro ergänzen das Gesamtarrangement.
Schwierig Fachärzte mit eigenständiger Praxis für die Oberzent zu gewinnen
Es habe sich andererseits über Jahre gezeigt, dass es schwierig sei Fachärzte mit einer eigenständigen Praxis trotz aktiver Bewerbung für die Oberzent zu gewinnen.
„Warum sollen wir deshalb für Fachärzte Praxen bauen, die gar nicht kommen? Niemand kann ins Leere investieren. Auch wir können für solch eine Entscheidung kein Risiko und auch keine Haftung übernehmen. Wird es eine konkrete Nachfrage geben, werden wir darüber nachdenken“, positioniert sich Michael Vetter klar.
Zwei Jahre mietfreies Vermieterangebot
Interressierten Hausärzten macht die Pflegestifung Odenwald das Angebot, die Praxen zwei Jahre mietfrei zu nutzen. Danach werden fünf Euro je Quadratmeter erhoben. „Wir können konkret mehr als nur Praxisräume anbieten. Deshalb kann auch diese Praxis ein Leuchtturm in der Region werden. Wir werden alles dafür tun“, verspricht Vetter.
Für die Seniorenresidenz Hedwig Henneböhl habe man eine Vision. Diese Vision werde bereits in einer Konzeption konkretisiert. „Um diese Vision umzusetzen brauchen wir eine stabile hausärztliche Versorgung.“
Mehr als 10 Millionen investiert
Am Standort der Seniorenresidenz Hedwig Henneböhl in Beerfelden wurden durch die Seniorenstiftung Odenwald bis dato bereits zehn Millionen Euro investiert. Dazu seien keinerlei öffentliche Mittel verwendet worden, jedes Jahr kämen weitere 500.000 Euro dazu.
100 Arbeitsplätze sind in der ambulanten und stationären Pflegeeinrichtung entstanden. Weitere hochqualifizierte Arbeitsplätze kämen an diesem Standort noch hinzu.
„Wir investieren hier, und wir glauben an diese Investitionen. Wir tun uns einfacher bei diesem Engagement, wenn man eine öffentliche Unterstützung auch fühlen kann. Hier geht es nicht um Geld!“, verdeutlichte der Geschäftsführer.
Annegret Hoffmann skizzierte Abläufe
Eingangs hatte Annegret Hoffmann, Vorsitzende des Stiftungsvorstands der Pflegestiftung Odenwald, in ihrem Grußwort die Aktivitäten in der Seniorenresidenz Hedwig Henneböhl skizziert und das harmonische Zusammenwirken der Bevölkerung in der Oberzent mit den Bewohnern des Hauses besonders in den Fokus gerückt.
Mit der Grundsteinlegung zur allgemein zugänglichen hausärztlichen Gemeinschaftspraxis „wird das bestehende Konzept der Seniorenresidenz weiter konkret umgesetzt“, betonte Annegret Hoffmann.
Angela Scheil berichtet aus dem Pflegealltag
Die ärztliche Versorgung aus Sicht der Pflege verdeutlichte Pflegedienstleiterin Angela Scheil. Sie erinnerte an „die guten alten Zeiten“, als die Gesundheitsversorgung in Beerfelden noch durch vier hausärztliche Praxen gut abgedeckt war.
Zu dieser Zeit habe es keinerlei Sorgen bedurft, dass im Notfall kein Hausarzt verfügbar gewesen wäre. Diese Situation habe sich in den vergangenen Jahren massiv verändert, weil aus altersbedingten Gründen Praxen aufgegeben und nicht mehr nachbesetzt wurden.
Zu einer guten Versorgung der Bevölkerung und insbesondere der Senioren gehöre untrennbar dazu, „dass ausreichend Ärzte und Pflegepersonal vorhanden ist“. Dies umso mehr, als die Versorgungszeiten in den Krankenhäusern immer kürzer würden.
So obliege entweder der ambulanten oder der stationären Pflege häufig „die Nachbehandlung, die eigentlich noch im Krankenhaus gemacht werden müsste“. Dies wiederum setze unabdingbar eine funktionierende Zusammenarbeit mit vor Ort verfügbaren Ärzten voraus.
Zeitkapsel mit interessanten Inhalten unter dem Grundstein versenkt
Unter dem Grundstein versenkten die Geschäftsführer Michael Vetter und Philipp Vetter eine Zeitkapsel, in der die Urkunde zur Grundsteinlegung der allgemein zugänglichen ärztlichen Gemeinschaftspraxis der Seniorenresidenz Hedwig Henneböhl nebst aktuellen Printmedien verstaut wurden.
INFOS zur allgemein zugänglichen hausärztlichen Gemeinschaftspraxis
Im Januar 2019 werden nach aufwendigen Umbau- und Sanierungsmaßnahmen für die Hausleitung der Seniorenresidenz Hedwig Henneböhl acht neue Büroräume im Untergeschoss der bestehenden Gebäude ihrer Bestimmung übergeben.
Auch das Restaurant soll im ersten Quartal 2019 um weitere 15 Plätze erweitert werden. Bei guter Witterung sollen die Bauarbeiten für die neuen Räume der hausärztliche Gemeinschaftspraxis bis Ende 2020 abgeschlossen sein. „Wir wollen aber möglichst schneller sein“, gibt Michael Vetter eine anspruchsvolle Zeitschiene vor.
„Arbeiten hier aus freien Stücken“
Die Pflegestiftung Odenwald wurde 2007 durch die Pflegezentrum Odenwald GmbH gegründet, um aus eigener Kraft aufgebautes Vermögen für die Menschen im Odenwaldkreis zukunftsorientiert zu sichern. „Machbare und gesteckte Ziele werden nach unseren Möglichkeiten mit Nachdruck umgesetzt“, erläuterte der Geschäftsführer.
Aus Überzeugung habe man zuvor bereits im Jahr 1998 die Seniorenwohnanlage in Beerfelden gekauft. Keine Kommune, auch nicht die Stadt Beerfelden, kein Wohlfahrtsverband oder privater Investor habe damals die ausgeschriebene Immobilie vom Odenwaldkreis übernehmen wollen.
„Uns hat niemand beauftragt, uns kann auch niemand zu etwas zwingen. Wir wollen etwas für die Menschen in der Region tun. Für unsere Entscheidungen übernimmt niemand anderes Risiko oder Haftung. Für unsere Motivation ist die öffentliche Unterstützung wichtig“, wirbt Michael Vetter abschließend um Anerkennung.