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Ex-Landrat erklärte: „Rechtsgutachten hätten zu Irritationen geführt“

Sie setzten nach Zeugenaussagen alle Hebel in Bewegung, um das nicht rechtskonforme Bieterangebot der Erbacher Firma Lebensform bei der Auftragsvergabe zur Erstellung des Standortmarketing-Konzepts für den Odenwaldkreis durchzusetzen: Ex-Landrat Dietrich Kübler (rechts) und "seine rechte Hand", der auf dem Foto links platzierte Hauptabteilungsleiter Oliver Kumpf. Foto: © by –pdh-

Prozess wegen Standortmarketing-Affäre: Ehemaliger Landrat Dietrich Kübler und sein Hauptabteilungsleiter Oliver Kumpf von der Vergangenheit eingeholt + + + Hilfe für Kübler aus der Erbacher Stadtverwaltung + + + Kreisausschuss-Mitglieder fühlen sich hintergangen

ODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - „Was befähigt Sie, Ihre rechtliche Begutachtung höher einzustufen, als die des Rechtsamts? Ich frage mich, weshalb man den Kopf so weit aus dem Fenster hängt?“, setzte der Vorsitzende Richter Helmut Schmied den Aussagen des Hauptabteilungsleiters im Erbacher Landratsamt Oliver Kumpf entgegen, und brachte diesen in erhebliche Erklärungsnot.

Kumpf war im Prozess gegen Ex-Landrat Dietrich Kübler wegen des Verdachts der Untreue im Amt durch eine wettbewerbsbeschränkende Auftragsvergabe in der Standortmarketing-Affäre des Odenwaldkreises (FACT berichtete zuletzt unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews) am zweiten Verhandlungstag vor dem Schöffengericht Michelstadt als Zeuge gehört worden.

„Lebensform auszuschließen wäre nicht im Sinne des Landrats gewesen“

„Sie haben mich schon etwas sprachlos gemacht, Herr Kumpf“, brachte auch Staatsanwältin Brigitte Lehmann ihr Erstaunen über die Aussagen des als rechte Hand des früheren Landrats Dietrich Kübler tätigen Hauptabteilungsleiters deutlich zum Ausdruck.

Zuvor hatte der Zeuge mehrfach betont, das im Bieterwettbewerb um ein mit EU-Geldern gefördertes Standortmarketing-Konzept des Odenwaldkreises nicht rechtskonform abgegebene Angebot der Erbacher Firma „Lebensform auszuschließen wäre nicht im Sinne des Landrats gewesen“.

Genau dieser Ausschluss aber war wegen eines im Lebensform-Angebot nicht enthaltenen Kosten- und Zeitplans der vom kreiseigenen Rechtsamt in vier Gutachten ausdrücklich empfohlene und eindringliche Rat.

Alle Hebel in Bewegung gesetzt, dass Lebensform gewinnt

Kübler habe bei allen Gesprächen und gemeinsamen Sitzungen ebenso wie er das Lebensform-Konzept als das beste Konzept gesehen, und wollte dieses auch umgesetzt wissen, betonte der in das damalige Geschehen eng involvierte Zeuge Kumpf.

Deshalb wurden zwischen Dezember 2011 und dem eigentlichen Vergabetag des Auftrags durch den Kreisausschuss am 10. Februar 2012 von Dietrich Kübler und seinem Hauptabteilungsleiter alle Hebel in Bewegung gesetzt, die Lebensform GmbH zum Gewinner des ausgeschriebenen Bieterwettbewerbs zu küren, wie die bisherige Beweisaufnahme ergab.

Auch die Erbacher Stadtverwaltung war eingebunden

Selbst die Erbacher Stadtverwaltung, die seit Beginn der Bürgermeister-Ära Harald Buschmanns Lebensform-Stammkunde ist, wurde eingebunden, um den Landrats-Willen zu realisieren. Dort wurde von der Kreisverwaltung nachgefragt, ob denn nicht eine andere (freihändige) Vergabeordnung (VOF) statt der gängigen VOL eine nachträgliche Komplettierung der zunächst ohne Preisangaben nicht rechtskonform eingereichten Lebensform-Bewerbung möglich mache.

Die Antwort aus dem Erbacher Rathaus vom dortigen Bürgermeister und seinem Stadtbaumeister bestätigte eine solche Möglichkeit prompt. Auch eine Neuausschreibung des lukrativen Auftrags im Gesamtwert von rund 276.000 Euro wurde für die zielgerichtete Auftragsvergabe an die Lieblingsagentur des Landrats in Erwägung gezogen.

„Krampfhafte Bestrebungen das Lebensform-Angebot wieder ins Boot zu holen“

Über die Zeugenaussage eines inzwischen verstorbenen Kreisbediensteten, der als Leiter der Koordination zwischen der Wirtschaftsförderung der Kreistochter Odenwald-Regionalgesellschaft (OREG) und der Odenwälder Kreisverwaltung tätig war, berichtete der vernehmende Kriminalbeamte Rainer Crössmann.

Der Zeuge hatte bei seiner polizeilichen Vernehmung von „krampfhaften Bestrebungen“ berichtet, das ohne Preisangaben unvollständig zum Abgabetermin eingereichte „Lebensform-Angebot wieder ins Boot zu holen“. Seine in einem Aktenordner gebündelten Unterlagen zum Projekt Standortmarketing seien zum Ende seiner Tätigkeit, kurz vor Eintritt in den vorzeitigen Ruhestand, vom Hauptabteilungsleiter aus seinem Büro abgeholt worden.

Bei späteren polizeilichen Nachfragen nach diesem Ordner war dieser jedoch im Hauptamt nicht mehr aufzufinden. Die Unterlagen des ausgeschiedenen Mitarbeiters seien auf andere Ordner verteilt worden, berichtete der Hauptabteilungsleiter im Zeugenstand.

Angebliche Tischvorlage niemand bekannt

Vom Richter befragt nach den Gutachten des Kreisrechtsamts (12.12.2011, 14.12.2011 und 25.01.2012) zu den Vergabemodalitäten erklärte der Hauptabteilungsleiter, insbesondere das Gutachten vom 25.01.2012 habe dem Kreisausschuss bei dessen Sitzung vom 30.01.2012 als Tischvorlage zur Verfügung gestanden. Dieser Darstellung widersprachen später vier Mitglieder des Gremiums.

Aufgrund von externen Hinweisen auf Unregelmäßigkeiten bei der Angebotsabgabe hatte der Kreisausschuss bei dieser Sitzung, zu der sich der damalige Landrat kurzfristig krankheitsbedingt abgemeldet hatte, die Verwaltung explizit zur Prüfung der rechtlichen Situation als Entscheidungsgrundlage aufgefordert und die Vergabeentscheidung auf eine zwei Wochen später anberaumte Sondersitzung vertagt.

„Auftragsvergabe an die Firma Lebensform nicht möglich“

Dieser Aufforderung des Kreisausschusses war der Hauptabteilungsleiter auch umgehend nachgekommen und hatte das Rechtsamt erneut mit einer abschließenden Stellungnahme beauftragt.

Dieses umfangreiche Gutachten, zu dem auch noch einmal fachkundiger Rat hinsichtlich der Vergaberichtlinien sowohl von übergeordneten Behörden als auch von der die Fördermittel vergebenden Wirtschafts- und Infrastrukturbank Hessen (WI-Bank, Offenbach) eingeholt worden war, besagt eindeutig, dass eine „Auftragsvergabe an die Firma Lebensform GmbH nicht möglich“ sei, ohne die EU-Förderung zu gefährden.

Das Gutachten wurde von beiden Juristen des Rechtsamts des Odenwaldkreises unterzeichnet, „um die Eindeutigkeit der Bewertung zu dokumentieren, was absoluten Seltenheitswert hat“, wie die Leiterin des Rechtsamts, Sarina Hildmann, als Zeugin klar herausstellte.

Jede Korrespondenz musste vom Landratsbüro abgezeichnet werden

Dieses Papier wurde dem Hauptabteilungsleiter auftragsgemäß vor der entscheidenden Sitzung des Kreisausschusses am 10.02.2012 hausintern einen Tag zuvor am 9. Februar per Mail zugeleitet.

Es sei „keine Zeit“ gewesen, dieses Gutachten innerhalb eines Tages zu verarbeiten und als Entscheidungsgrundlage dem Kreisausschuss rechtzeitig zu dessen Vergabetermin vorzulegen, berichtete Oliver Kumpf. Er verwies auch auf die nach seiner Meinung durchaus rechtskonforme Lebensform-Bewerbung sowie die „formelle Prüfpflicht durch die Kreistochter OREG“.

Dieser Meinung steht die Aussage der zuständigen Bereichsleiterin der OREG, Gabriele Quanz, entgegen, die als Zeugin beim ersten Verhandlungstag darüber berichtet hatte, dass sie „ab einem gewissen Zeitpunkt jede Korrespondenz mit den bewerbenden Agenturen von Herrn Kumpf abzeichnen lassen musste“, und damit jeder Entscheidungsfreiheit entzogen war.

Hauptabteilungsleiter nochmals während der Sitzung gewarnt

Deutlich schwerer wiegt gar noch die Aussage des Rechtsamts-Juristen Bernhard Hering, mit der Richter Schmied den Hauptabteilungsleiter konfrontierte. Hering hatte zu Protokoll gegeben, dass er zur Verdeutlichung der Rechtsamts-Auffassung den Hauptabteilungsleiter sogar noch einmal aus der entscheidenden Sitzung des Kreisausschusses heraus gebeten habe, um die Brisanz der Angelegenheit erneut zu verdeutlichen.

Der von Kumpf angeführte Zeitfaktor sei „schon sehr verniedlichend ausgedrückt, wenn Sie aus der Sitzung heraus geholt und Ihnen von einem Juristen gesagt wird, es geht nicht“, hielt Staatsanwältin Lehmann dem Zeugen entgegen.

Vertrauliche Mail vom Waldhubenhof, um Lebensform im Spiel zu halten

Auch Rechtsamtsleiterin Sarina Hildmann berichtete als Zeugin von einem völlig ungewöhnlichen Vorgang im Zusammenhang mit der Prüfung der Rechtmäßigkeit der vom damaligen Kreischef gewünschten Auftragsvergabe an die Lebensform GmbH.

So habe der Landrat ihr am Wochenende „völlig außergewöhnlich und einmalig“ von seinem Wohnsitz Waldhubenhof aus eine vertrauliche Mail geschickt mit der Bewertungsbitte wie Lebensform weiter im Spiel bleiben könne. Kübler verwies dabei auch auf Tipps des Erbacher Bürgermeisters Harald Buschmann und des Kreisstadt-Stadtbaumeisters Martin La Meir.

„Lassen Sie die Finger weg“

Ihr eigener Tipp „lassen Sie die Finger weg“, sei dabei jedoch ebenso ungehört verhallt, wie die deutlichen Inhalte im Rechtsgutachten vom 09.02.2012, berichtete die Juristin. „Ich habe mir keine Gedanken darüber gemacht, dass unser Gutachten dem Kreisausschuss nicht vorgelegen haben könnte“, sagte Hildmann und bekannte auf Vorhalt des Gerichts ihre und ihres Kollegen äußerste Verwunderung über die Auftragsvergabe des Kreisausschusses an den rechtlich unzulässigen Bieter Lebensform GmbH.

Getoppt wurden die an diesem achtstündigen Verhandlungsmarathon durch Zeugen aufgezeigten Kuriositäten rund um die Standortmarketing-Affäre zum Ende mit einer Aussage der im Kreisausschuss tätigen GRÜNEN-Politikerin Christa Weyrauch.

Handschriftlich festgehalten: „Rechtsgutachten sind verwaltungsinterne Vorgänge“

„Rechtsgutachten sind verwaltungsinterne Vorgänge, deren Vorlage nur zu Irritationen beigetragen hätten“, sei die Antwort des damaligen Landrats Kübler auf ihre Frage gewesen, weshalb die Rechtsgutachten zur entscheidenden Vergabesitzung nicht vorgelegt worden wären. Diese Aussage konnte die als Zeugin fungierende Juristin sogar mit einer handschriftlichen Notiz vom 26. August 2013 untermauern.

Weyrauch, wie auch ihre Kreisausschuss-Kollegen Oliver Grobeis, Michael Vetter (beide SPD) und Wolfgang Grantel (CDU) hatten zuvor unisono bestritten, dass ihnen jemals bis zum 10. Februar 2012 ein Gutachten des Kreisrechtsamts zur Entscheidungsfindung vorgelegt worden sei.

IVO-Einwände mit „persönlichen Differenzen“ zerstreut

Mündlich sei ihnen in der Vergabesitzung durch den Landrat und seinen Hauptabteilungsleiter mitgeteilt worden, die Rechtsgrundlage zur ordnungsgemäßen Vergabe an Lebensform sei gegeben. Der damalige Landrat habe die Einwendungen der Industrievereinigung Odenwald (IVO) gegen die Beauftragung der Firma Lebensform mit angeblichen persönlichen Differenzen des IVO-Vorsitzenden mit dem Lebensform-Inhaber Johannes Kessel zerstreut.

Einzelne Mitglieder berichteten, sie hätten von den existierenden Rechtsgutachten erstmals durch FACT-Berichte ab Mitte 2013 erfahren, bzw. seien durch anonym zugestellte Kopien informiert worden. Auf folgende Einzelfragen des Vorsitzenden Richters an die Zeugen, ob sie sich hintergangen fühlen, kamen jeweils bejahende Antworten wie: „Natürlich fühle ich mich hintergangen!“