NEWS

Haushaltschaos in Erbach: Bürgermeister widerspricht Parlamentsbeschluss

Ein SPD-Antrag zum Verzicht auf Grundsteuererhöhung und damit einhergehenden Mindereinnahmen von 454.000 Euro im Etat 2020 erhält mit 13:12 Stimmen eine knappe Zustimmung, und „führt zu einem nicht genehmigungsfähigen Haushalt“, wie Rathauschef Dr. Peter Traub befindet

ERBACH. - Auch eine von CDU-Fraktionschef Erich Petersick beantragte Sitzungsunterbrechung konnte das Chaos im Erbacher Stadtparlament bei dessen jüngster Sitzung nicht verhindern. Eine knapp halbstündige Pause zur interfraktionellen Beratung führte letztlich zu keinem Konsens.

Auslöser der höchst ungewöhnlichen Situation in der Stadtverordnetenversammlung der Odenwälder Kreisstadt war eine sehr kurzfristig von der SPD beantragte Änderung zum Haushaltsplan 2020.

Was die Genossen während der Ausschuss-Beratungen nur andeutungsweise durchblicken ließen, ihr Veto nämlich zur für die Haushaltssicherung unerlässlichen Erhöhung der Grundsteuer A und B um jeweils 100 Punkte (siehe dazu FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews), wurde erst zu Sitzungsbeginn am Donnerstagabend, 5. März, mit einer Tischvorlage klar.

SPD will Ausgabenreduktion statt Grundsteuererhöhung

Die Verzichtsforderung der SPD auf die Erhöhung der Grundsteuer hat im Haushaltsansatz Mindereinnahmen in Höhe von 454.000 Euro zur Folge.

Diese sollen nach Vorstellung der Sozialdemokraten durch Kostenminderung im Personalbereich in Höhe von 125.000 Euro und Ausgabenreduktion im Bereich von Sach- und Dienstleistungskosten in Höhe von 380.000 Euro, somit in der Summe mit 505.000 Euro kompensiert werden, wie Fraktionschef Gernot Schwinn aufzeigte.

Insbesondere im Personalbereich dürften aktuell mit Ausnahme der Kitas keine zusätzlichen Stellen besetzt werden, solange die Organisationsuntersuchungen noch nicht abgeschlossen seien, begründete Schwinn die SPD-Positionierung.

Bürgermeister sieht Vorschlag „nicht verantwortbar“

Dieser Darstellung widersprach der Bürgermeister. Im Personalbereich könnten die Kosten bestenfalls um 50.000 Euro gesenkt werden, was jedoch sowohl zu einer nicht gesicherten Verwaltungsleistung führe als auch einer nicht unerheblichen Serviceminderung in der Stadtgesellschaft gleichkomme, sagte Dr. Peter Traub.

Der Bürgermeister ergänzte: „Selbst wenn wir die hier aufgezeigten 505.000 Euro rausschwitzen könnten, was nicht realisierbar ist, hätte unser Haushalt keine Chance auf Genehmigung. Ich halte es für legitim, einen solchen Änderungsantrag zu stellen, aber ich halte den Vorschlag für nicht verantwortbar.“

Traub verwies auf die rechtliche Situation, die Steuererhöhungen vorschreibe, wie er sich sowohl beim Regierungspräsidium (RP) als auch beim Hessischen Städte-und Gemeindebund (HSGB) noch einmal versichert habe.

„Wir verlangen etwas von den Bürgern etwas, sie erhalten aber eine Gegenleistung“

Wie schon bei der Einbringung des Haushalts vor Monatsfrist aufgezeigt, belaste die Erhöhung der Grundsteuer B die Besitzer eines durchschnittlichen Grundstücks mit jährlichen Mehrkosten zwischen 50 und 100 Euro.

Dies entspreche einer monatlichen Mehrbelastung zwischen 4 und 8 Euro, erläuterte der Rathauschef erneut. „Die Erhöhung unserer Grundsteuer B von 430 auf 530 Punkte ist eine relativ milde Anpassung, wurde mir vom HSGB bestätigt.“

„Ja, wir verlangen von den Bürgern etwas, aber sie erhalten auch eine Gegenleistung im Sinne einer zukunftsfähigen Stadt dafür“, betonte er.

„Zwingende Steueranpassung zur weiteren Handlungsfähigkeit der Stadt“

Ein Lob zollte ÜWG-Fraktionsvorsitzender Michael Gänssle der SPD-Fraktion für ihre Überlegungen zur Haushaltskonsolidierung ohne Steuererhöhung, mahnte aber gleichzeitig die Notwendigkeiten der mit Kosten verbundenen Aufgaben der Verwaltung an.

Diese beinhalteten zwingend eine Steueranpassung zur weiteren Handlungsfähigkeit der Stadt. „Auch wenn niemand gerne den Bürgern in die Taschen greift“, sei er überzeugt, „dass wir das so abstimmen können“.

„Keiner macht gerne Steuererhöhungen“

Der Bürgermeister habe bei der Haushaltseinbringung bereits berichtet und den Prozess sehr detailliert beschrieben, wie das vorliegende Zahlenwerk zustande gekommen sei, sagte CDU-Sprecher Jürgen Reiter.

In den Ausschussberatungen seien außerdem entsprechende Kompromisse in Form von Sperrvermerken für aktuell bereits eingearbeitete Änderungen im Haushalt zustande gekommen.

„Ganz klar, keiner macht gerne Steuererhöhungen, aber selbst wenn wir dem SPD-Antrag jetzt zustimmen würden, wäre das ein einmaliger Effekt, der sich im nächsten Jahr an gleicher Stelle nicht wiederholen ließe.“

„Sie wollten einen neuen Bürgermeister und lassen ihn jetzt im Regen stehen“

Das würde dann situativ die gleichen, wahrscheinlich sogar noch größere Probleme aufwerfen“, sagte Reiter. „Deshalb sollten wir diesem vom Bürgermeister vorgelegten Haushalt zum Wohle unserer Stadt zustimmen.“

Der CDU-Sprecher erinnerte die SPD daran, dass sie in der Vergangenheit „alles besser und transparenter“ dargestellt haben wollte. „Ihr Antrag ist ein Misstrauensvotum gegenüber dem Bürgermeister. Sie wollten einen neuen Bürgermeister und jetzt lassen Sie ihn im Regen stehen!“

„Änderungsantrag ist der Sache geschuldet nicht einer Person“

„Unser Änderungsantrag ist der Sache geschuldet und nicht einer Person“, entgegnete Gernot Schwinn diesem „unverschämten Vorwurf“. Es gebe weder ein Misstrauen gegen eine Person, noch blinden Gehorsam, sagte Schwinn. Der Entwurf des Haushaltsplans sei letztendlich ein vom Magistrat gemeinschaftlich vorgelegtes Zahlenwerk.

Zuvor hatte Gernot Schwinn in seiner Funktion als Vorsitzender des Haupt- und Finanzausschusses Beratungsergebnisse und Beschlussempfehlungen aus diesem Gremium erläutert. Hier gab es meist mehrheitlich getragene Empfehlungen zu den einzelnen Tagesordnungspunkten.

Insbesondere sollen einige Investitionsmaßnahmen mit Sperrvermerken versehen werden. Diese fanden in den von der Verwaltung vorgelegten geänderten Ansätzen bereits Berücksichtigung.

Einzelinvestitionen mit Sperrvermerken versehen

Die entsprechenden Maßnahmen, so der Umbau des früheren Museumsbereichs in der Werner-Borchers-Halle (145.000 Euro) zu einem weiteren Veranstaltungssaal im Gesamtgebäudekomplex als eine der größeren Investitionen, müssen im Einzelfall dann vom Stadtparlament freigegeben werden.

Dem SPD-Antrag stimmten schlussendlich 13 Parlamentarier aus SPD, GRÜNEN und FDP zu, während CDU und ÜWG dagegen und damit für die Verwaltungsvorlage votierten.

Bei der sich daran anschließenden Abstimmung über den Gesamthaushalt ergab sich ein irritierend uneinheitliches Abstimungsverhalten sowohl in der GRÜNEN-Fraktion als auch bei den Vertretern der Liberalen.

Durch jeweils uneinheitliche Abstimmungsverhalten durch Enthaltungen wie durch Gegenstimmen wurden einige Teilbereiche des Gesamthaushalts, so bei der mittelfristigen Finanzierungsplanung und dem Haushalts-Sicherungskonzept, abgelehnt.

Bürgermeister widerspricht dem Parlamentsbeschluss

Kurioserweise erhielt die Haushaltssatzung wiederum durch Voten von SPD, FDP und GRÜNEN eine mehrheitlich Zustimmung. Somit hat die Stadt Erbach derzeit noch keinen rechtsgültigen Gesamthaushalt für 2020. Die Verwaltung darf daher aktuell nur Pflichtaufgaben erfüllen.

Vor diesem Hintergrund setzte Dr. Peter Traub dem aktuellen 2020-er Haushalts-Chaos in der Odenwälder Kreisstadt sein Veto entgegen. Paragraf 63 der Hessischen Gemeindeordnung (HGO) verpflichtet den Bürgermeister, einem Parlamentsbeschluss zu widersprechen, der das Recht verletzt.

Wenn ein Beschluss das Wohl der Gemeinde gefährdet ist der Bürgermeister außerdem ermächtigt, einem solchen Beschluss ebenfalls zu widersprechen.

Das fast schon zur Nebensache mutierte, vorläufig beschlossene Zahlenwerk weist im Ergebnishaushalt ein Volumen von 34,185 Millionen Euro bei einem Überschuss von 351.200 Euro aus.

INFO: Der Stadtverordnetenvorsteher muss nun eine neue Sitzung der Stadtverordneten einberufen und nochmals über den strittigen Beschluss befinden lassen. Der Widerspruch des Bürgermeisters hat aufschiebende Wirkung.

Verletzt auch der neue Beschluss das Recht, muss der Bürgermeister ihn unverzüglich, spätestens jedoch innerhalb einer Woche nach der Beschlussfassung gegenüber dem Vorsitzenden der Gemeindevertretung beanstanden.

Die Beanstandung ist schriftlich zu begründen. Sie hat aufschiebende Wirkung. Für das weitere Verfahren gelten die Vorschriften der Verwaltungsgerichtsordnung mit der Maßgabe, dass ein Vorverfahren nicht stattfindet.

Im verwaltungsgerichtlichen Verfahren haben die Gemeindevertretung und der Bürgermeister die Stellung von Verfahrensbeteiligten. Die aufschiebende Wirkung der Beanstandung bleibt bestehen.