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Drei Bilder eines Kindes, das nur im Herzen lebt

Eine Erinnerung an Sternenkinder hat Künstlerin Dorothee Andrae (2. von rechts) geschaffen, hier mit Fachlehrerin Kerstin Jennrich, Fachlehrer Simon Lortz und dem ehemaligen Schulleiter Wilfried Schulz vom Rotary Club Erbach-Michelstadt (von links). Foto: Bernhard Bergmann

MICHELSTADT / ERBACH. - Drei anrührende Momente aus dem Leben eines Kindes, im wahrsten Wortsinn drei Augenblicke, wie Momentaufnahmen; keine Fotos indessen, sondern Plastiken aus Bronze: Das ist das neue Erinnerungsmal für Sternenkinder, also tot geborene oder kurz nach der Geburt gestorbene Kinder.

Im November wird es auf dem Erbacher Friedhof seinen Platz finden. Die Künstlerin, die diese einfühlsamen Porträts geschaffen hat, ist Dorothee Andrae.

Die Frankfurterin hat im vergangenen Jahr als Gesellin die Holzbildhauerfachschule in Michelstadt abgeschlossen und im Frühjahr dieses Jahres dazu noch den Bachelor in Produktgestaltung an der BGBA Hanau absolviert, wo sie parallel zu ihrer Ausbildung studiert hat.

Ein Ort für die Trauer soll es sein, vor allem aber auch für Erinnerung und für das Weiterleben mit dem Kind. Denn es bleibt ja, begleitet das Leben von Eltern, Geschwistern, Großeltern, wenn auch auf andere Weise.

Und immer wieder werden die Gedanken fragen, wie es wohl weitergegangen wäre, wie das Kind heute aussehen würde. Auch diesen Gedanken hat die Künstlerin aufgenommen und gibt eine Antwort, wohl wissend, dass die auch ganz anders aussehen könnte.

Denn sie hat außer dem Säugling, der auf einem Stern ruht, als schlafe er, auch ein Kleinkind geschaffen, das mit Sternfiguren spielt, und als drittes ein schon etwas herangewachsenes Kind. So nimmt sie die Betrachterin, den Betrachter gleichsam gedanklich an der Hand und führt sie oder ihn weiter.

Es ist ein trauriges Thema; keines, mit dem man sich gerne beschäftigt. Als Dorothee Andrae den Auftrag übernommen hatte, hat sie sich intensiv damit auseinandergesetzt. „Ich kannte Eltern, die das schon erlebt hatten, und habe viel gelesen und recherchiert“, erzählt die 25-Jährige.

Durch diese Beschäftigung und die anschließende Arbeit, die zwar mit den Händen passiert, aber letztlich vor allem auch Herz und Seele, eben den ganzen Menschen fordert, kam ihr „das alles noch sehr viel näher und wurde immer persönlicher“.

So näherte sie sich langsam an: mit Skizzen und Wörtern, schließlich konkreten Zeichnungen und ersten Entwürfen. Was sie bei der Arbeit begleitet hat und ihr Kraft gab, war ihr christlicher Glaube: „Ich habe gebetet – auch und gerade darum, dass ich das, was mich berührt, auch zum Ausdruck bringen kann.“

Der Anstoß für einen solchen Erinnerungsort kam von Maria Hockertz, der Witwe des Michelstädter Diakons Michael Hockertz. „Mein Mann stammte aus Belgien, und bei Besuchen auf Friedhöfen dort habe ich solche Trauermale gesehen und dachte: Das fehlt bei uns im Odenwald.“

In Diakon Volkmar Raabe fand sie einen Unterstützer: „Aus meiner eigenen Vorgeschichte ist mir dieses Thema nahe, und auch als Seelsorger liegt es mir sehr am Herzen.“

Die Menschen, die einen solchen schmerzhaften Einschnitt erlebt hätten, verschwänden dann in der Regel aus dem Fokus auch der Seelsorge. „Aber sie leiden. Und sie brauchen einen Platz“, sagt Raabe.

Er wandte sich an Wilfried Schulz, bis zu diesem Sommer Leiter des Beruflichen Schulzentrums Odenwaldkreis (BSO) in Michelstadt, weil dort eben traditionell auch für künstlerische Berufe ausgebildet wird. Schulz fragte in der Holzbildhauerklasse von Simon Lortz nach.

„Wir wollten dieses Projekt unbedingt realisieren“, erinnert sich der Lehrer, der selbst Holzbildhauermeister ist. Und es war klar, dass das nur eine Aufgabe für jemanden im dritten und letzten Lehrjahr sein kann.

„Dorothee Andrae war diejenige, von der wir wussten, dass sie das umsetzen kann, wir waren uns schnell einig, dass das zu ihr passt.“ Zusammen mit Lortz betreute seine Kollegin Kerstin Jennrich diese außergewöhnliche Arbeit.

Parallel fragte Wilfried Schulz, der seit vielen Jahren Mitglied im Rotary Club Erbach-Michelstadt ist, dort nach, ob sich die Freundinnen und Freunde vorstellen könnten, dieses Projekt zu finanzieren – und bekam ein sofortiges und einhelliges Ja zur Antwort.

So ging die Künstlerin an die Arbeit; Kopf- und Seelenarbeit zunächst, und schließlich nahm sie sich den Werkstoff Ton vor. Denn außer der handwerklichen Schulung als Holzbildhauerin hat sie ja auch Gestaltung studiert, und für den Außenbereich ist Bronze (und damit als Vorform Ton) nun mal das geeignetste, weil edelste und auch dauerhafteste Material.

Hergestellt wurden die Plastiken bei der Kunstgießerei Grundhöfer im unterfränkischen Niedernberg. Es braucht auch heute noch – und für dieses Thema zumal – eine Kunst, die von Herzen und aus menschlichen Händen kommt. „So etwas kann Künstliche Intelligenz nicht“, weiß Simon Lortz.

Auch werde in unserer Zeit vieles auf seinen praktischen Nutzwert reduziert, meint die Künstlerin, wobei Lehrer Lortz hier eine durchaus hintergründige und zum Nachdenken anregende Formulierung findet, wenn er beim Sternenkinder-Denkmal von einem „Gebrauchsgegenstand für die Seele“ spricht.

Künstlerin Dorothee Andrae ist derzeit, wie sie sagt, in der „Findungsphase“, wie es für sie weitergeht. An die Gesellenprüfung und ihren Studienabschluss schloss sich für sie ein dreimonatiges Praktikum im Erzgebirgsort Seiffen an, berühmt für sein künstlerisch gefertigtes Holzspielzeug.

Wenn alles klappt, wie sie es sich wünscht, wird sie von September 2025 an für zwei Jahre die Münchner Meisterschule für Holzbildhauer besuchen.

Enthüllt wird das neue Erinnerungsmal auf dem Erbacher Friedhof am Freitag, 15. November, um 15 Uhr.