Gefahr im Verzug für streng geschützte Vogelart: „RP Darmstadt untätig“
Bürgerinitiativen Siedelsbrunn und Ulfenbachtal fordern sofortigen Betriebsstopp für die fünf Windräder auf dem Stillfüssel und äußern sich zu den laufenden juristischen VerfahrenWALD-MICHELBACH. - Mit Ernüchterung wurde seitens der Bürgerinitiativen Siedelsbrunn und Ulfenbachtal die Entscheidung der 6. Kammer des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 29. März diesen Jahres aufgenommen.
Das Gericht hatte zu diesem Zeitpunkt den Eilantrag eines Umweltverbands abgelehnt, der den Bau und Betrieb der fünf Windräder auf dem Stillfüssel bei Wald-Michelbach stoppen sollte.
Das Gericht sah keine Versäumnisse des Regierungspräsidiums Darmstadt (RP DA) in der Vorprüfung der Umweltverträglichkeit und keine Verletzung artenschutzrechtlicher Vorschriften hinsichtlich streng geschützter Vogelarten.
Vor allem beim Schwarzstorch und Rotmilan hatte die Kammer „kein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko“ erkannt. Aktuelle Fotodokumentationen beweisen jedoch nach Ansicht der Bürgerinitiativen gerade das Gegenteil.
Es liegt umfangreiches Foto- und Filmmaterial von Schwarzstorch-Sichtungen in unmittelbarer Nähe zu den Rotoren der Windräder auf dem Stillfüssel vor. Deutlich ist darauf der Schriftzug des Betreibers Entega zu erkennen.
Mit Unterstützung eines bundesweit anerkannten Umweltverbands wurden alle im April 2018 dokumentierten 14 Beobachtungen des Schwarzstorches in unmittelbarer Umgebung zu den fünf Windrädern auf dem Stillfüssel ausgewertet.
Besonders drastisch: in zwei Fällen betrug der Abstand zwischen Schwarzstorch und den Rotoren weniger als 70 Meter. Die akute Gefährdung wurde der oberen Behördenleitung des RP DA, Regieerungspräsidentin Brigitte Lindscheid, am 27. April 2018 angezeigt.
Der Umweltverband stellte zeitgleich den Antrag auf Betriebsstopp der Anlagen für die Brut- und Aufzuchtzeit und die Einleitung von Maßnahmen für eine erneute Untersuchung und Bewertung des Windpark-Standortes.
Das RP DA hat den Antrag mit Schreiben vom 14. Mai 2018 zurückgewiesen und sieht in den vorgelegten Beobachtungsdaten keine Grundlage für ein behördliches Handeln.
BI-Sprecherin Vera Krug: „Die Fotoaufnahmen belegen eindeutig ein signifikant erhöhtes Tötungsrisiko und die Gefahr einer erheblichen Störung der Lokalpopulation des Schwarzstorches durch die Windräder am Stillfüssel.
Nach §44 BNatSchG Abs. 1 sind dies Verbotstatbestände. Verantwortlich sind der Windparkbetreiber Entega, deren Gutachter und die verantwortlichen Personen im Regierungspräsidium Darmstadt. Hier ist eindeutig Gefahr im Verzug“.
Das RP DA verkenne zum wiederholten Male die hohe Dringlichkeit für die Ergreifung wirkungsvoller Maßnahmen zum Schutz des Schwarzstorches. Dabei sei die Sachlage nicht neu.
Bereits vor Genehmigung der fünf Windräder am letzten Arbeitstag des Jahres 2016 seien dem RP DA rund 60 Beobachtungen des Schwarzstorches mit weit über 100 Fotobeweisen vorgelegt worden. Im Jahr 2017 gelangen in fast identischer Anzahl weitere Foto-dokumentierte Sichtungen des Schwarzstorches.
Der Hinweis des Gerichts, es habe außerdem nicht nachgewiesen werden können, dass es in der Nähe der Baustelle tatsächlich einen Schwarzstorchhorst gab, löst bei der BI Verwunderung aus.
Schließlich habe die Staatliche Vogelschutzwarte in Frankfurt den im September 2016 entdeckten Horst eindeutig als Schwarzstorchhorst innerhalb des 3-km-Tabubereichs bewertet. Gleichbedeutend mit dem Aus für alle, ursprünglich sechs beantragten Windräder auf dem Stillfüssel.
Was folgte, und in den Verwaltungsakten des RP DA auch akribisch festgehalten wurde, ist die Erarbeitung eines gemeinsamen Lösungsvorschlags zwischen Oberer Naturschutzbehörde und dem Betreiber Entega.
Im Zuge dessen wurde der Antrag für ein Windrad von Entega zurückgenommen, die Tabuzone um die Brutstätte von 3-km auf 1-km reduziert und dem Betreiber ein Schwarzstorch-Monitoring auferlegt, welches ausgerechnet während der Bau- und Rodungsphase in 2017 durchzuführen war.
Nur so konnte am letzten Arbeitstag des Jahres 2016 die Genehmigung erfolgen. „Offensichtlich war die Erteilung der Genehmigung bis zum 31.12.2016 von großer Bedeutung für den Energiekonzern Entega. Ein wirtschaftlicher Betrieb der Anlagen wäre für Entega nicht möglich gewesen, wenn die Genehmigung erst im Jahr 2017 erfolgt wäre“, sind sich die Mitstreiter der BI sicher.
Hintergrund sei das Inkrafttreten des EEG 2017, das deutlich geringere Subventionen enthalte, als auf Basis des EEG 2014.
Für die Bürgerinitiativen sei es unverständlich, warum die vielen Sichtungen des Schwarzstorches und weiterer relevanter Vogelarten bisher keine Beachtung durch das Gericht erfahren.
Es bestehe eine augenfällige Diskrepanz zwischen den signifikant häufigeren Augenzeugen-Sichtungen und Fotodokumentationen von relevanten Brutvögeln und Brutstätten und den andererseits sehr geringen Dokumentationen durch Gutachter im Auftrage der Entega.
Vera Krug: „Nur weil der von Entega beauftragte Gutachter keine relevanten Flugbewegungen feststellen konnte, darf daraus nicht die Annahme vom Gericht abgeleitet werden, dass es keine Brutvorkommen gibt.
Es besteht vielmehr die Verpflichtung von Behörden und Gerichten, Beobachtungen und Dokumentationen, auch von ornithologischen Laien, zu berücksichtigen“.
Der eigentliche Skandal bestehe nach Ansicht der BI darin, dass die Beweislast des Gerichts auf die Bürger umgelegt werde. Diese sollten nun fehlende Brutstätten nachweisen, weil darüber in den eingereichten Gutachten von Entega nichts zu finden sei.
Auf eine vertiefende Auseinandersetzung und zweifelsfreie Klärung der Frage, ob der Schwarzstorch ein Hindernis für die Genehmigung darstelle, sei seitens des RP DA offenbar komplett verzichtet worden.
„Wir sind davon überzeugt, dass die politische Einflussnahme und der gewaltige Zeitdruck dazu geführt haben, dass das RP DA eklatante Ermittlungsdefizite und damit eine fehlerhafte Umweltverträglichkeits-Vorprüfung bewusst in Kauf genommen hat, damit die Genehmigung noch in 2016 erfolgen konnte“, so Krug weiter.
Gegen das Urteil des VG Darmstadt wurde Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof in Kassel eingereicht. Die Klagen werden bis in die höchste richterliche Instanz fortgesetzt. Ziel sei es, die Barrierefreiheit auf dem Stillfüssel wieder herzustellen und die Natur im Odenwald durch Abwehr weiterer Windindustrieanlagen zu erhalten.
INFO: Die Bürgerinitiativen Gegenwind Siedelsbrunn und Ulfenbachtal haben sich im März 2016 zusammengeschlossen. Zudem besteht eine sehr enge Zusammenarbeit mit der BI Kahlberg und Greiner-Eck.
Die Anzahl Mitstreiter wird auf rund 1.000 beziffert. Diese wächst infolge der zunehmenden Lärmbelästigung und optischen Bedrängung der Bevölkerung durch Windindustrieanlagen im Überwald stetig an.
Jeden Donnerstag ab 18 Uhr wird in Wald-Michelbach für den Erhalt der Natur im Odenwald demonstriert.
Für Gutachten, juristischen Rat sowie Öffentlichkeitsarbeit wurden bereits mehr als 120.000 Euro aufgewendet. Spenden für juristische Verfahren werden dringend benötigt, um die Ziele erreichen zu können.
Spendenhinweise und weitere Informationen unter: www.bi-gegenwind-siedelsbrunn.de und www.gegenwind-ulfenbachtal.de