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Bürgerversammlung in Erbach offenbart vermeintliche Spezial-Hierarchie

Nur knapp 70 Erbacher waren zur Bürgerversammlung der Kernstadt in die Werner-Borchers-Halle gekommen und lauschten den Ausführungen von Parlamentsvorsteher Antonio Duarte (vorne, Mitte) und Bürgermeister Dr. Peter Traub (vorne, rechts). Foto: er

Knapp 70 Besucher aus der Kernstadt dokumentierten Desinteresse an Erbacher Stadtpolitik in der Streit zwischen Bürgermeister und Parlament das Geschehen dominiert

ERBACH. - Der Erbacher Stadtverordnetenvorsteher Antonio Duarte hatte zur Bürgerversammlung in der Kernstadt eingeladen.

Nur knapp 70 Bürger aus dem Zentrum der Odenwälder Kreisstadt waren dieser Einladung gefolgt und manifestierten den bei der Bürgermeisterwahl Ende Februar mit einer Wahlbeteiligung von nur gut 40 Prozent offenbarten Trend: überwiegend Interessenlosigkeit an der Erbacher Stadtpolitik.

Parlamentsvorsteher weist Bürgermeister in die Schranken

Der Verlauf der Bürgerversammlung lieferte dann auch ausreichend Gründe für das Desinteresse der Bürgerschaft. Duarte verwies zu Beginn der Bürgerversammlung Bürgermeister Dr. Peter Traub ob dessen Parlamentsbeschimpfungen während des Bürgermeisterwahlkampfs in die Schranken.

Der Bürgermeister sei Chef der Verwaltung, der gemäß Hessischer Gemeindeordnung (HGO) die „Beschlüsse des obersten Gremiums, der Stadtverordnetenversammlung auszuführen“ habe. Lediglich als Chef der städtischen Verkehrsbehörde habe er Entscheidungsfreiheit ohne Gremienbeteiligung, sagte Duarte.

„Der Bürgermeister und der Magistrat können sehr viel mehr“

„Der Bürgermeister und der Magistrat können sehr viel mehr“ widersprach Traub dieser Darstellung Duartes. Das Stadtparlament setze nur die Rahmenbedingungen und er habe im Zusammenwirken mit dem Magistrat innerhalb dieses Rahmens ausreichend Gestaltungsspielraum, sagte Traub und ergänzte, er „könne sehr wohl etwas entscheiden“.

In Sachen Südstadtentwicklung, die in den vergangenen Wochen insbesondere durch eine öffentlich gewordene eidesstattliche Erklärung des Projektierers in die Schlagzeilen geraten ist, erläuterte Antonio Duarte, er habe den Projektierer zur Bürgerversammlung eingeladen, dieser habe sein Kommen allerdings verweigert.

Dem Projektierer empfohlen sich nicht zu rechtfertigen

Das kommentierte Bürgermeister Traub, er habe dem Projektierer empfohlen fernzubleiben, denn der Mann müsse sich nicht rechtfertigen. Hier seien „rufmordähnliche Geschichten gelaufen“, die justiziable Folgen haben könnten. Denn es gehe gar nicht, dass „ein privatrechtlicher Streit den Medien durchgesteckt“ würde.

Antonio Duarte schilderte die Historie rund um das ursprünglich ambitionierte Südstadtprojekt aus Sicht des obersten Entscheidungsgremiums wie folgt: 2020 habe man im Zuge der Verkaufsabsichten des Möbel-Schmidt-Inhabers, der das Geschäft aus Altersgründen aufgab, eine Veränderungssperre über das Areal verhängt.

Damit sollte die weitere Entwicklung dieser Fläche an der Mümling in städtischer Hand verbleiben. Nach dem Verkauf des Geländes an einen privaten Investor habe das Stadtparlament im September des selben Jahres das städtische Vorkaufsrecht aktiviert.

Grundstück zu Gesamtkosten von 1,1 Millionen Euro erworben

Die Folge waren Gesamtkosten von 1,1 Millionen Euro, weil die Stadt den ursprünglichen Kaufpreis samt aller Nebenkosten 1:1 übernehmen musste. Diese Kosten wurden fremdfinanziert.

Zwei Jahre später, im August 2022, verkaufte die Stadt gemäß einer Verwaltungsvorlage nach einem Mehrheitsbeschluss des Parlaments die Immobilie an einen Projektierer, der zuvor von der Verwaltung als Headhunter zur Grundstücksvermarktung eingesetzt worden war, zum Preis von 600.000 Euro.

Nahezu zeitgleich erwarb der Projektierer ein weiteres, an der Friedrich-Ebert-Straße in unmittelbarer Nähe zum ehemaligen Möbelhaus gelegenes Grundstück für einen ebenfalls mittleren sechsstelligen Betrag.

Aufschiebende Bedingung von Stadt Erbach erfüllt

In beiden notariell beurkundeten Kaufverträgen waren aufschiebende Bedingungen verankert. Diese bezogen sich im Falle des städtischen Grundstücks auf die Schaffung des Baurechts (sprich: der Erstellung eines Bebauungsplans) bis spätestens 31. Dezember 2023.

Im Falle des zweiten Grundstücks sind die Bedingungen (Vorlage genehmigter Baupläne) enger gefasst. Allerdings verpflichtete sich der Projektierer auch, diese Baupläne innerhalb vier Wochen nach Vorlage des Baurechts beim zuständigen Kreisbauamt einzureichen.

Der von der Stadtverordnetenversammlung im vergangenen Jahr 2023 beschlossene Bebauungsplan erlangte per 04. Juli 2023 Rechtskraft. Demnach kann auf dem Grundstück des früheren Möbelhauses ein Hotel entstehen, während das zweite Areal mit einem Ärztehaus bebaut werden soll.

Stellplatzproblem als neues Hindernis für Hotelprojekt

Im Oktober des vergangenen Jahres wurde dann ein Stellplatzproblem für das gewünschte Hotel öffentlich. Hier kam von der Stadtverwaltung unter Dr. Traubs Führung der Vorschlag das städtische Parkdeck zwischen Stadtverwaltung und Lustgarten um 100 Parkplätze zu erweitern und dafür die vorhandenen Busparkplätze zu opfern.

Dieses Bauvorhaben sollte zu Lasten des Projektierers gehen, während die Stadt das Parkdeck für 1 Euro jährlich an diesen verpachtet und im Umkehrschluss die geschaffenen neuen Parkplätze auch zur öffentlichen Nutzung freigegeben würden.

Eingereicht wurden die „drei Pakete mit konkreten Bauanträgen“, so Traub, im November vergangenen Jahres. Im Dezember 2023 bat der Bürgermeister das Stadtparlament um Zahlungsaufschub für den Projektierer bis 30.06.2024, obwohl diese Zahlung bereits seit Juli vergangenen Jahres fällig gewesen wäre.

Dem Projektierer Zahlungsaufschub bis 30. Juni 2024 gewährt

Nach heftigen Diskussionen im Stadtparlament folgte schlussendlich ein Mehrheitsbeschluss, der dem Projektierer den Zahlungsaufschub für sechs Monate unter der Bedingung gewährte, dass dieser die für die Stadt anfallenden Zinsen vom 01. Januar 2024 bis 30.06.2024 übernimmt.

Seit einer Woche liege nun die Baugenehmigung für das Ärztehaus vor und die Genehmigung für das Hotelprojekt sei vom Kreisbauamt ebenfalls zeitnah avisiert. Hier seien noch zwei Gutachten für Statik und Brandschutz erforderlich.

„Wir sollten dankbar sein, dass der Projektier trotz enorm gestiegener Zinsen immer noch an Bord ist“, sagte der Bürgermeister. Selbstverständlich führe der Projektierer unterschiedliche Gespräche mit möglichen Investoren und Hotelbetreiberzur Realisierung der beiden Projekte.

Er habe ihm geraten, sich nur mit einem Investor zu einigen, der sowohl das Ärztehaus als auch das Hotel baut, „denn ein Ärztehaus ist sicherer als ein Hotel und Ärzte brauchen wir immer“, befand Traub.

Stadtparlament sieht sich zu Unrecht vom Bürgermeister an den Pranger gestellt

Zum Kita-Fehlbedarf in Erbach von inzwischen 140 Plätzen erläuterte Antonio Duarte das seitherige Procedere, wie es sich im Stadtparlament darstelle. Auch in diesem Zusammenhang hatte der Bürgermeister das Parlament während seines Wahlkampfs als „Verhinderer“ gebrandmarkt.

Der Parlamentsvorsteher stellte klar: man habe sich bereits im Juli 2022 mit einer möglichen Standortfrage im Drachenfeld für einen Kita-Neubau beschäftigt. Von Verwaltungsseite sei im November dann „die schnelle Option Naturkindergarten in Günterfürst“ ins Spiel gekommen.

Der Verwaltungsvorstellung zufolge hätte diese Lösung bereits im August 2023 in Betrieb genommen werden sollen. Das habe sich dann jedoch als unrealistisch erwiesen, weil der Flächennutzungsplan zunächst geändert werden musste.

Folglich habe man die von der Verwaltung im Haushalt 2023 vorgesehenen Finanzmittel in Höhe von 300.000 Euro mit einem Sperrvermerk versehen, weil das Parlament keinem Blankobedarf zustimmen, sondern erst einen konzeptionellen Lösungsvorschlag sehen wollte.

Plötzlich sei dann der Fehlbedarf von zunächst 107 Plätzen aufgetaucht. Daraufhin habe man am 14. Dezember vergangenen Jahres die Aufstockung des Kindergartens Sonnenschein mit 37 Plätzen beschlossen und die zunächst gesperrten Mittel für dieses Vorhaben freigegeben. Das alles sei protokolliert und könne jederzeit nachgelesen werden, sagte Duarte.

Bürgermeister Traub rudert zurück: „Es ist müßig, zu debattieren, wo die Verantwortung liegt“

Bürgermeister Traub richtete daraufhin einen Appell an die Mandatsträger, an einer gemeinsamen Lösung für den Kita-Fehlbedarf zu arbeiten. „Es ist müßig, darüber zu debattieren, wo die Verantwortung für den Fehlbedarf liegt“, sagte Traub.

Der Naturkindergarten in Günterfürst werde nach dessen Fertigstellung 20 neue Plätze bieten, die Aufstockung der Kita Sonnenschein ermögliche 37 weiteren Kindern einen Platz. Darüber hinaus könnte, falls eine Einigung mit der katholischen Kirche erzielt werden könne, die Remise der Kirche eine weitere Gruppe von 25 Kids aufnehmen.

Insgesamt seien Sofortmaßnahmen schwierig, sagte Traub, dennoch müsse man für rasche Lösungen sorgen. Dazu werde man eventuell „nicht um Containerlösungen herumkommen“. Aber all das nehme viel Zeit in Anspruch, befand der Bürgermeister.

Schlussendlich stellte der Stadtverordnetenvorsteher noch die Eckdaten des eine Woche zuvor vom Bürgermeister im Parlament eingebrachten Haushaltsentwurfs für 2024 vor. Das Zahlenwerk wird aktuell in den Parlamentsfraktionen beraten und soll im April ggf. mit entsprechenden Änderungen verabschiedet werden.