Erbacher Südstadt steht vor risikobehaftetem, großem Umbruch
Einigkeit im Stadtparlament zu vorhandenem Risiko bei äußerst differenzierter Bewertung des städtischen Verlusts in Höhe von 500.000 EuroERBACH. - Einig waren sich die Sprecher aller Fraktionen im Erbacher Stadtparlament über das vorhandene Risiko bei der von Bürgermeister Dr. Peter Traub und der Magistratsmehrheit präferierten sogenannten Südstadtentwicklung.
Diese sieht im ersten Schritt den Wiederverkauf des 2020 von der Stadt im Gesamtbetrag von 1,1 Millionen Euro erworbenen Geländes samt Gebäuden des früheren Möbelhauses Schmidt an einen Investor zum Preis von 600.000 Euro vor.
Gegenwind von GRÃœNEN und SPD
Damit erschöpfte sich freilich auch schon die Einmütigkeit der Stadtverordneten. Während eine Mehrheit aus ÜWG, CDU, FDP und der Fraktion für Stadtentwicklung dem Beschlussvorschlag der Stadtverwaltung inklusive des im Entwurf vorliegenden Notarvertrags zustimmte, waren es insbesondere GRÜNEN-Fraktionssprecherin Christa Weyrauch und SPD-Fraktionschef Gernot Schwinn, die sich vehement gegen den mit 500.000 Euro Verlust einhergehenden Wiederverkauf stemmten (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews).
Den städtischen Verlust in Höhe einer halben Million Euro sieht Peter Traub indes als „städtische Investition in die Zukunft“. Diesen könne man langfristig über Gewerbe- und Einkommensteuer amortisieren.
Details dazu waren zuvor bereits in der Sitzung des Haupt- und Finanzausschusses ausführlich beraten worden. Der Ausschuss hatte die Annahme der entsprechenden Verwaltungsvorlage mit 4 gegen eine Stimme bei zwei Enthaltungen empfohlen (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews).
Große Pläne mit ambitionierten Projekten
In der weiteren Folge sollen auf Nachbargrundstücken des jetzt verkauften Areals entlang der Friedrich-Ebert-Straße bis zur Illigstraße ein Boardinghaus, drei jeweils fünfgeschossige Ärztehäuser für 12 bis 15 Praxen sowie ein Parkhaus mit 164 Stellplätzen entstehen.
Dazu müssen die entsprechenden Grundstücke im Besitz eines früheren Erbacher Getränkehändlers sowie einer Berliner Investorengruppe noch vom Investor erworben werden. Dies soll ebenfalls zeitnah erfolgen.
In der jüngsten Sitzung des Stadtparlaments hielt ÜWG-Fraktionschef Michael Gänssle, in Personalunion auch Vorsitzender des städtischen Haupt- und Finanzausschusses, eine flammende Rede pro Verkauf des Geländes zu den angebotenen Bedingungen an den bayerischen Investor.
„Ankauf, weil wir kein gemischt genutztes Wohn- und Geschäftshaus haben wollten“
Gänssle bemühte dazu zunächst die Historie, die zum Ankauf des Areals geführt hatte. Der ÜWG-Fraktionschef erinnerte daran, dass man beim Ankauf des Schmidt-Grundstücks deshalb das städtische Vorkaufsrecht beansprucht habe, „weil wir an dieser Stelle kein gemischt genutztes Wohn- und Geschäftshaus haben wollten“.
Der diesen Beschluss damals mittragenden Mehrheit der Stadtverordneten „ging es darum“, was man jetzt aus dem benachbarten Güttersbach höre. Dort wurde mit dem Hotel-Restaurant Schönblick eine Immobilie verkauft, von der man nicht wisse, wie es dort weitergehe.
„Die Bevölkerung befürchtet Veränderungen, die sich in irgendwelche anderen Richtungen entwickeln werden“, erläuterte Michael Gänssle ein Szenario, das man in Erbach mit dem Grundstückskauf 2020 verhindert habe.
„Unsere Sorge war damals auch, einem sehr ertragreichen Gewerbebetrieb, der nach Mieträumen gesucht hat, um diese zu exorbitant hohen Preisen als Gewerbeobjekte zu vermieten, eine mögliche Plattform zu bieten.“
„Grundsteuer haben wir anschließend erhöht, das hat zunächst nichts damit zu tun“
Die Nutzung des Geländes in solch einer Form sei „nicht zusätzlich“ in Erbach gewünscht. Eine solche Entwicklung habe man damals verhindern wollen und an dieser Stelle eine Hotelnutzung ins Auge gefasst.
„Jetzt besitzen wir ein Grundstück, die 1,1 Millionen-Liquidität ist ausgegeben. Die Grundsteuer haben wir anschließend erhöht, man kann so rechnen, aber das Eine hat mit dem Anderen zunächst mal nichts zu tun“, erläuterte Gänssle seine Sicht der Dinge.
Man sei hier „vorwärts gegangen, damit wir für die Stadtentwicklung eine Fläche offen halten, an der wir alle, die wir in Erbach über ein Hotel reden, uns vorstellen können, dass ein Hotel dort gebaut werden kann“.
Ob das Hotel dann ertragreich sei oder nicht „muss dann einer beweisen, der es plant und dann auch realisiert. Der Vertrag, der uns hier vorliegt, ist ein auflösend bedingter Vertrag. Er setzt voraus, dass die Stadt Erbach dort Baurecht für ein Hotel schafft, und setzt voraus, dass der Investor bestimmte Schritte vornimmt.“
Beide Seiten haben bis 31.12.2023 Bedingungen zu erfüllen
Beide Seiten hätten also Bedingungen zu erfüllen. „Wenn diese nicht bis zum 31. Dezember 2023 erledigt sind, wird dieser Vertrag nicht zustande kommen.“
Man gebe also hier niemandem ein Gebäude für 600.000 Euro, „das er dann beispielsweise für 930.000 Euro an den ursprünglichen Investor weiterverkaufen kann“, schloss Gänssle ein mögliches Horrorszenario aus.
„Für Stadtentwicklung knirschen wir mit den Zähnen und setzen 500.000 Euro ein"
„Für diese Möglichkeit der Stadtentwicklung knirschen wir mit den Zähnen und setzen 500.000 Euro ein. Wir kaufen im Prinzip Zukunft der Stadt Erbach.“ Das sei eine Investition. „Wenn man das so anpackt wird es rund, dann kann man dem Ganzen zustimmen.
Wenn man von Anfang an vom Scheitern des Projekts ausgeht, dann ist es richtig, dass man da gar nichts tut. Dann kann man auch überlegen, ob man an dieser Stelle Wohnbebauung hinstellt, aber diese würde unheimlich teuer werden.
Denn wenn hier Wohnraum Rendite bringen soll, wird es kein Wohnraum sein, der im sozialen Bereich entstehen wird. Und dieser Raum wäre dann ein für allemal für die Stadtentwicklung verloren.“
„Wollen das Ganze bis Ende kommenden Jahres kritisch begleiten"
Denn sobald hier Wohnraum gebaut werde, hätten sich alle anderen Überlegungen erübrigt. „Wir wollten uns vor zwei Jahren die Chancen offen halten, und deshalb werden wir jetzt der Vorlage zustimmen und sehen, dass wir das Ganze bis Ende kommenden Jahres kritisch begleiten, damit das passiert was wir uns vorstellen, und nichts anderes“, warb der ÜWG-Sprecher um Zustimmung für das geplante Hotelprojekt.
Christa Weyrauch, Fraktionschefin der GRÜNEN, fand es - auch wenn es schon zwei Jahre her sei - „unglaublich, die gemischte Nutzung mit einem Gewerbe- Wohnkomplex“ als angeblich Vorhaben-bezogenes Szenario zu thematisieren.
Bei allen, damals dem Kreisbauamt vorliegenden Plänen, sei eine ausschließliche Wohnbebauung ausgewiesen gewesen. „Auch die von der ÜWG unterschwellig thematisierte Spielhalle innerhalb der Bebauung wäre alleine über das Spielhallengesetz nicht machbar gewesen.“
„Hätten diese Wohnungen gebraucht, auch außerhalb des sozialen Wohnraums“
Mit solchen Szenarien sei damals argumentiert, und verhindert worden, dass dort 18 Wohnungen entstanden sind. „Wir hätten diese Wohnungen gebraucht, auch außerhalb des sozialen Wohnraums wäre das nicht schlimm gewesen.“
Sie finde es „schwierig, dass man die Ente, die damals verbreitet wurde, immer noch aufrecht erhält“. Es sei nicht in Ordnung, dass man jetzt 500.000 Euro investiere um ein Hotelprojekt an dieser Stelle zu errichten. Es gebe sicher noch andere Stellen, wo man ein solches Projekt etablieren könnte.
„Wir haben eine Chance vertan, und wir hätten immer noch eine Chance“
„Ich finde es schade, wir haben eine Chance vertan, und ich finde, wir hätten immer noch eine Chance, die wir noch nutzen können. Wenn wir eine halbe Million haben, die wir in die Hand nehmen, die wir investieren können, dann könnte man das an anderer Stelle sicher auch machen. Mich überzeugt es nicht“, kritisierte die GRÜNEN-Chefin diese riskante Investition.
„Das Projekt, um das es hier geht, ist mit Sicherheit sehr ambitioniert und es bedeutet auch eine sehr große Veränderung für den Bereich Erbach Süd“, verwies auch André Weyrauch für die CDU-Fraktion auf durchaus legitime unterschiedliche Sichtweisen zu diesem teuren Großprojekt.
„100-prozentige Sicherheit werden wir bei einem solchen Thema nie haben“
„Es ist auch richtig, dass man auf >Nummer sicher< geht. Ausdrücklich verweise ich jedoch darauf: 100-prozentige Sicherheit werden wir bei einem solchen Thema nie haben.“ Das müsse allen bewußt sein. „Am Ende ist es so, wo eine Chance ist, ist auch immer irgendwo ein Risiko und man muss abwägen: was überwiegt?“
Egal, ob man die städtische Immobilie an diesen Investor verkaufe oder nicht: „das Risiko besteht weiter“. Andererseits eröffne dieses Projekt eine Chance. Diese sehe er in der Umsetzung dieses Projekts – oder zumindest in der Ermöglichung der Umsetzung.
„Wir haben die Chancen auf ein >Mehr< an Arbeitsplätzen, ein >Mehr< an Kaufkraft, ein >Mehr< an Lebendigkeit in unserer Stadt, und auf lange Sicht auch auf ein >Mehr< an Steuereinnahmen.
Insofern bin ich der Meinung, wir sollten diese Chance nutzen und eine Ermöglichungs-Kultur schaffen und wer >Team Chance< ist und optimistisch in die Zukunft geht, der sollte für einen Verkauf stimmen“, sagte der Christdemokrat.
„Durchaus Chancen, aber überteuerter Kauf 2020“
Chancen durch das geplante Projekt sieht durchaus auch der Fraktionschef der SPD, Gernot Schwinn. Allerdings hätte man sich schon beim Ankauf des Grundstücks anders verhalten müssen, kritisierte der Sozialdemokrat und verwies auf die ablehnende Haltung seiner Fraktion beim „überteuerten Kauf 2020“.
Die jetzt vorhandene städtische Immobilie „werden wir unter Wert verkaufen“, denn neben dem entrichteten Kaufpreis im Jahr 2020 hätten Immobilien in der Zwischenzeit grundsätzlich eine Wertsteigerung erfahren, sodass der Verlust höher sei als der jetzt zu Buche stehende Nominalwert von 500.000 Euro.
„Nach jetzt zwei Jahren bekommen wir als einzigen Investor diesen Berater“
Schwinn verwies zudem darauf, dass von der Verwaltung vor zwei Jahren ein sogenannter Headhunter zur Gewinnung eines Hotelbetreibers eingesetzt worden war und dieser auch einen Sockelbetrag von 5.000 Euro für seine Dienste erhielt.
„Nach jetzt zwei Jahren bekommen wir als einzigen Investor diesen Berater“, der sich inzwischen selbst als Interessent ins Spiel bringe und einen von seiner Seite nicht verhandelbaren Kaufpreis von 600.000 Euro anbiete.
„Daher tun wir uns schwer, dieser Vorlage zuzustimmen.“ Auch der Bürgermeister habe ja die Frage gestellt, wie es denn zu diesem >Insider-Geschäft< gekommen sei, bei dem der Headhunter selbst zum Investor wird und für seine Suche nach einem Hotelbetreiber noch städtische Provision kassieren könne.
„Wenn es nicht gelingt, Baurecht zu erlangen, wird Provision von 30.000 Euro fällig“
Auch wenn die Erfolgsprovision im Falle der Rechtsgültigkeit des Kaufvertrags nach zwischenzeitlichen Gesprächen zwischen dem Bürgermeister und dem Investor entfalle. „Das heißt aber im Umkehrschluss, wenn es nicht gelingt, das Baurecht für das Hotel bis zum 31.12.2023 zu erlangen, wird die Headhunter-Provision in voller Höhe mit weiteren 30.000 Euro fällig“, kritisierte der Sozialdemokrat die Vertragsgestaltung.
Auch fehle im vorliegenden notariellen Vertragsentwurf ein Passus, der nach dem geforderten Baurechtstermin regelt, in welchem Zeitrahmen das Hotel errichtet werden müsse. „Wenn ich mich als Stadt schon so binde, dann würde ich zumindest erwarten, dass im Gegenzug zum Baurechtstermin auch eine entsprechend angemessene Frist für die Hotelfertigstellung verankert wird“, sieht Schwinn Vertragsdefizite zum Nachteil der Stadt.
„Wir reden über Verzicht von 500.000 Euro und wollen gleichzeitig Gebühren erhöhen“
„Wir reden jetzt darüber, dass wir auf 500.000 Euro beim Wiederverkauf verzichten, haben gleichzeitig jedoch eine Verwaltungsvorlage auf dem Tisch liegen, wo es darum geht Gebühren zu erhöhen.
Wie soll man das unseren Bürgern draußen vermitteln, dass wir einerseits zu Jahresbeginn Steuern erhöhen und jetzt auch Gebühren erhöhen wollen, wenn wir andererseits beim Weiterverkauf einer Immobilie auf mindestens 500.000 Euro verzichten und die Immobilie unter Wert verkaufen?“
Das sei schwer vermittelbar für die Bürger und auch keineswegs im öffentlichen Interesse, wie von der Verwaltung dargestellt. „Das Interesse der Öffentlichkeit ist ein anderes, als hier vorliegend“, widersprach Gernot Schwinn der Verwaltungsvorlage.
„Vertrag enthält Bedingungen, die der Stadt ermöglichen, die Reißleine zu ziehen“
Michael Gänssle erläuterte, der Investor wolle das Projekt schnellstmöglich umsetzen. Natürlich könne man zusätzliche „Sicherheiten in dem in sich schlüssigen Vertrag“ einbauen, allerdings stelle sich die Frage der Erforderlichkeit und inwieweit man da noch verhandeln wolle.
„Der Vertrag enthält Bedingungen, die der Stadt Erbach ermöglichen, die Reißleine zu ziehen“, was bei einer eventuellen Fehlentwicklung auch so passieren werde. „Bei einer positiven Entwicklung haben wir dann aber das Projekt, das wir uns vorstellen.
Ich möchte auch nicht, dass der Investor mit diesem günstigen Preis, zu dem er das Grundstück erhält, einen Schnitt macht, aber das gibt der vorliegende Vertrag auch nicht her.“ Vertragsbestandteile seien auf städtischer Seite die Schaffung des Baurechts für ein Hotel und auf Seiten des Investors die Umsetzung eines Hotelbaus.
Parlamentsvorsteher Antonio Duarte griff selbst in die Diskussion ein („Frau Weyrauch übernehmen sie mal kurz“, trat er den Vorsitz an seine Stellvertreterin ab) und betonte, man versuche schon seit Jahrzehnten ein Hotel in Erbach anzusiedeln. An der jetzt vorgesehenen Stelle erachte er es als schwierig.
„Wünsche mir für Erbach ein Hotel, aber Zweifel bleiben“
Die Ausgangslage sei aktuell eine andere, „aber wir wissen auch, dass es Spekulanten gibt. Wir schaffen Baurecht – falls es klappt“, aber der weitere Fortgang sei terminlich nicht geregelt. „Ich wünsche mir für Erbach ein Hotel, und es wäre schön, wenn das passen würde, aber Zweifel bleiben“, deshalb enthalte er sich der Stimme, sagte Duarte.
Mit Duarte enthielten sich die weiteren sozialdemokratischen Mandatsträger, ausgenommen deren Fraktionschef Gernot Schwinn, der gemeinsam mit den vier Vertretern der GRÜNEN-Fraktion gegen den Wiederverkauf votierte.
Alle Parlamentarier von ÜWG, CDU, FDP und der Fraktion für Stadtentwicklung befürworteten den Verkauf der städtischen Immobilie zum Preis von 600.000 Euro an den bayrischen Investor und damit dem Nominalverlust in Höhe einer halben Million Euro.