Staatsanwaltschaft erweitert Klage gegen früheren Landrat Dietrich Kübler
Strafprozess gegen Odenwälder Ex-Landrat: Überraschungszeuge zum dritten Mal vorgeladen + + + Dietrich Kübler und Harald Buschmann auf gemeinsamer Werbetour für Agentur LebensformODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Gleich zu Beginn der elften Sitzung im Strafprozess gegen den früheren Odenwälder Landrat Dietrich Kübler am heutigen Freitag, 1. Dezember, schien erneut der schon mehrmals erweiterte Terminplan des Amtsgerichts Michelstadt ins Wanken zu geraten.
Statt des einzigen erwarteten Zeugen, Michelstadts Bürgermeister Stephan Kelbert, erschien der bereits zweimal vernommene frühere Geschäftsführer der Odenwald Regionalgesellschaft (OREG), Jürgen Walther im Zeugenstand.
Unstimmigkeiten und Widersprüche waren aufzuklären
Es galt, Unstimmigkeiten und Widersprüche in seinen bisherigen Aussagen aufzuklären. Es geht sowohl um Termine mit Rechtsanwälten in den Jahren 2013 und 2014 und um große Diskrepanzen in den großen Auszahlungsbeträgen, die im Rahmen des geplanten Standortmarketingprojekts an eine Erbacher Werbeagentur geflossen waren.
Wieweit ihm die Aufhellung gelang, erschloss sich dem inzwischen gerichtserprobten Publikum nicht. Bemerkungen des Vorsitzenden Richters am Amtsgericht, Helmut Schmied, war am Freitag zu entnehmen, dass ein weiteres Strafverfahren gegen den früheren OREG-Geschäftsführer nicht ausgeschlossen werden kann.
Da es sich um ein separates Verfahren handeln würde, ist der angepeilte Zeitrahmen dann doch zu halten.
Vergaberichtlinien umgangen und Drohungen gegenüber Mitarbeitern ausgesprochen
Untreue zu Lasten des Odenwaldkreises in Höhe von knapp 100.000 Euro wird dem früheren Landrat Dietrich Kübler von der Darmstädter Staatsanwaltschaft vorgeworfen.
Er soll einem befreundeten Inhaber eine Werbeagentur den mit EU-Mitteln im sechsstelligen Euro-Betrag geförderten Auftrag für das Odenwälder Standortmarketing rechtswidrig unter Umgehung der gültigen Vergaberichtlinien und Drohungen gegenüber seinen Mitarbeitern zugeschanzt haben. Folgekosten der unrechtmäßigen Aktion werden auf insgesamt eine knappe halbe Million Euro geschätzt.
Ex-Landrat und Erbachs Bürgermeister Buschmann gingen für befreundete Agentur auf Werbetour
In seiner akribischen Art entlockte Amtsrichter Schmied dem zweiten Zeugen des Tages, Stephan Kelbert, eine bezeichnende Aussage zum Verhalten des ehemaligen Landrats im Verhältnis zum Chef der Erbacher Werbeagentur.
Er hatte einen älteren Pressebericht in den beschlagnahmten Akten des Landratsamts entdeckt. Bereits am 30. August 2013 hatten eine online-Zeitung „Region-Odenwaldkreis“ und FACT über die Doppelrolle des Landrats als oberster Repräsentant des Kreises und als Akquisiteur der Erbacher Werbeagentur Lebensform GmbH berichtet.
Gemeinsam mit dem Agenturchef Johannes Kessel und dem Erbacher Bürgermeister Harald Buschmann hatte Kübler den Michelstädter Bürgermeister Kelbert „bearbeitet“, mit seinen Marketingaufträgen wieder zu der Agentur Lebensform zurückzukehren, der er zuvor die Zusammenarbeit restlos aufgekündigt hatte.
Kelbert bestätigte den Pressebericht in allen Details. Ist es die Aufgabe eines Landrats und eines Bürgermeisters, fragte darauf Schmied, auf Akquisetour für eine Werbeagentur zu ziehen?
Staatsanwältin erweitert Klage um „Untreue durch Unterlassen“
Am 20. Dezember ab 10 Uhr werden nach bisheriger Planung die Plädoyers gehalten. In der Regel folgt danach die Urteilsverkündung. Zuvor jedoch wartete die Darmstädter Staatsanwältin Brigitte Lehmann mit einer Erklärung auf.
Durch die so genannte rechtliche Belehrung wurde dem Beklagten und seinen beiden Anwälten bedeutet, dass die Staatsanwältin die Klage gegen den Ex-Landrat auszuweiten gedenkt. Wurde bisher nur Untreue wegen „aktiven Tuns" angenommen, so erweiterte Lehmann ihre Klage auf einen weiteren Paragraphen, nämlich um „Untreue durch Unterlassen“ (§13 StGB).
Zwei weitere anschließende Strafverfahren möglich
Hieraus schließen Prozessbeobachter, dass der Abruf der Fördergelder bei der betreuenden Förderbank (WI-Bank), der die Erklärung beinhaltet, die zugrundeliegenden Vorgänge seien ordnungsgemäß und in Einklang mit den Förderrichtlinien erfolgt und daher der Abruf rechtmäßig, als weitere Straftat gewertet werden soll, zumindest seitens der Staatsanwaltschaft.
Zum Zeitpunkt des Mittelabrufs hätten sowohl der Landrat, der Zahlung und Abruf vom OREG-Geschäftsführer gefordert hatte, als auch der Geschäftsführer selbst um die vom eigenen Rechtsamt viermal beanstandete widerrechtliche Auftragsvergabe gewusst.
Auch stark involvierter Hauptabteilungsleiter im Fokus der Justiz
Dieser Tatbestand würde zur zunächst beanstandeten rechtswidrigen Bewerberauswahl hinzukommen. Des weiteren steht im Raum, dass ein stark involvierter Hauptabteilungsleiter, der auf oftmals undurchsichtige Weise die Strippen zwischen OREG, Werbeagentur und Landratsamt gezogen und warnende Hinweise des Rechtsamts verschwiegen haben soll, wegen ähnlicher Delikte belangt werden wird.
Im Amtsgericht Michelstadt kann man sich auf einen Besucherandrang am 20. Dezember einstellen.