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Sport für seelische Gesundung

„Prof. Philipp Thomann“: Prof. Philipp Thomann ist Chefarzt des neuen Zentrums für Seelische Gesundheit am Gesundheitszentrum Odenwaldkreis. Foto privat

Sichtbar: Das Schild verweist auf das neue Zentrum für Seelische Gesundheit am Gesundheitszentrum Odenwaldkreis, Foto Stefan Toepfer, Kreispressestelle

Chefarzt Prof. Dr. Philipp Thomann: Bewegung „wesentlicher Teil“ der Therapie in neuer Psychiatrie

ODENWALDKREIS / ERBACH. - Wenn Prof. Dr. Philipp Thomann zur Arbeit fährt, begegnet er jedes Mal einem berühmten Kollegen. Nach niemand Geringerem als Albert Schweitzer ist in Erbach jene Straße benannt, an der das Gesundheitszentrum Odenwaldkreis liegt. Dort wurde vor kurzem das Zentrum für Seelische Gesundheit eröffnet, zu dessen Chefarzt Thomann berufen wurde. Von Schweitzer, dem Mediziner, Theologen und Philosophen, sind zahllose kluge Gedanken überliefert. Einer lautet: „Nicht was sich an uns und für uns ereignet, sondern was sich zugleich in uns ereignet, bestimmt über unser Dasein.“

Das, was sich in Menschen ereignet und ihr Dasein leidvoll bestimmen kann, ist das Fachgebiet von Thomann, der sich schon früh der Arbeit als Psychiater verschrieben hat. 2002 begann er als Arzt im Praktikum seine Laufbahn an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg, die er im Frühjahr 2017 als Geschäftsführender Oberarzt beendete.

Nun kann er als Chefarzt das Zentrum für Seelische Gesundheit in Erbach aufbauen und prägen. Anfang April wurde die Klinik für Psychiatrie und Psychotherapie eröffnet, am Dienstag nach Ostern kamen die ersten Patienten. Von den 50 Betten, die sich auf zwei Stockwerke verteilen, sind mittlerweile mehr als 40 belegt.

Da einige Stellen im ärztlichen Dienst erst zum Sommer besetzt werden, lastet auf Thomann viel Arbeit. Was seinem Einsatzwillen keinen Abbruch tut. Im Gegenteil. „Zumal ich bereits viele motivierte Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter habe“, wie er im Gespräch mit der Pressestelle des Odenwaldkreises sagt. Zu dem Zentrum gehören auch eine Tagesklinik mit 15 Plätzen und eine Institutsambulanz.

Es herrscht tatsächlich so etwas wie Pioniergeist an der Albert-Schweitzer-Straße. Ohne dass Thomann und seine Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in der Medizin und in der Pflege das Rad neu erfinden müssten oder wollten.

„Wir behandeln alle psychischen Erkrankungen nach den gängigen Leitlinien und erfüllen so den Versorgungsauftrag für den Odenwaldkreis mit seinen rund 100.000 Einwohnern“, hebt der Chefarzt hervor.

Und doch bringt Thomann eine Besonderheit mit: ein fundiertes Wissen um den positiven Beitrag von Sport und Bewegung in der Therapie psychisch kranker Menschen. Geht es nach ihm, sollen Sport und Bewegung aber nicht nur – wie andernorts üblich – als Begleittherapie angeboten, sondern ein „wesentlicher therapeutischer Bestandteil“ des Angebots werden. Thomann spricht von einem „sportpsychiatrischem Schwerpunkt“, für den die Klinik auch über Erbach und den Odenwaldkreis hinaus bekannt werden könne.

So werden Sport und Bewegung in dem medizinischen und pflegetherapeutischen Behandlungskonzept der Klinik an zahlreichen Stellen erwähnt – als fester Bestandteil der Therapie von Menschen mit Demenz genauso wie bei der Behandlung von Patienten mit einer Schizophrenie, einer Depression oder einer Borderline-Persönlichkeitsstörung. Zudem verweist Thomann auf etliche Studien, die einen „günstigen direkten Einfluss“ von Sport nachwiesen, besonders bei depressiven Störungen, Angsterkrankungen und Demenz.

Wobei er einem möglichen Missverständnis gleich vorbeugt: „Sport ist kein Allheilmittel und kann eine medikamentöse Behandlung und eine Psychotherapie nicht einfach so ersetzen.“ Aber er weiß eben auch um die vielen positiven Effekte von Bewegung und Ausdauertraining für seine Patienten, schon auf der biologischen Ebene.

„Dadurch wird beispielsweise ein Wachstum bestimmter Gehirnregionen ausgelöst und die Konzentration verschiedener Botenstoffe erhöht. Außerdem gibt es verschiedene hormonelle Veränderungen, in deren Folge Stress besser bewältigt werden kann.“ Und die Folgen für die Psyche? „Wer Sport treibt, hat Erfolgserlebnisse, was zum Beispiel für Menschen, die unter einer Depression leiden, extrem wichtig sein kann“, führt Thomann als Beispiel an.

Außerdem könnten Patienten erleben, dass sie gemeinsam etwas erreichten, wenn sie etwa in einer Laufgruppe unterwegs seien. Außerdem sei es nicht ausgeschlossen, bei ausreichendem Training die Dosis eines Medikaments reduzieren zu können.

Thomann ist selbst zertifizierter Lauftherapeut und kann aus seiner Zeit in Heidelberg von etlichen Mut machenden Erfahrungen berichten. Seine Devise gilt nun auch in Erbach: „Jeder Patient soll die Möglichkeit haben, sich sportlich zu betätigen – je nach dem, was ihm individuell möglich ist.“

Für das Sport- und Bewegungsangebot stehen dem Zentrum für Seelische Gesundheit neben Mitarbeitern des eigenen Teams derzeit drei Physiotherapeuten des direkt angegliederten Physiozentrums zur Verfügung.

Für das sporttherapeutische Programm kann auf einen großzügigen Trainingsbereich der Klinik wie auch auf die Geräteräume des Physiozentrums zurückgegriffen werden. Das gebe es in der ganzen Region so nicht, sagt der Chefarzt.

Außerdem laden die vielen Wanderwege im Odenwald zu vielen Aktivitäten an frischer Luft ein. Auch das ist für Thomann ein großer Pluspunkt, der Patienten zugutekommt. Zum Beispiel sind regelmäßig eine Lauf- und eine Nordic-Walking-Gruppe unterwegs und nutzt die naturnahe Lage der Klinik.

Wenn Patienten in der Therapie von Sportangeboten profitiert haben, ist es Thomann wichtig, dass sie sich auch nach der Entlassung in einer für sie geeigneten Sportart ausreichend bewegen. „Dazu will ich sie motivieren, ganz klar.“ Auch das gehört wesentlich zum sportpsychiatrischen Schwerpunkt der Klinik. Schließlich sollen die Patienten die positiven Effekte, die ausreichende Bewegung hat, auch dauerhaft spüren können.

Hintergrund: Das neue Zentrum, der Chefarzt

Das neu errichtete Zentrum für Seelische Gesundheit wurde am 5. April 2017 eröffnet. Es ist die jüngste Abteilung des Gesundheitszentrums Odenwaldkreis. Am Dienstag nach Ostern wurden die ersten Patienten aufgenommen.

Insgesamt hat das Zentrum 50 Betten. Zu ihm gehören aber auch eine Tagesklinik und eine Institutsambulanz. Mit einem Bewilligungsbescheid über 13 Millionen Euro hatte das Hessische Sozialministerium den Weg für den Bau geebnet, in dem auch die neue Zentralküche untergebracht ist. Die Gesamtkosten liegen bei rund 19,5 Millionen Euro.

Der Odenwaldkreis, Träger des gesamten Gesundheitszentrums, übernimmt 2,8 Millionen Euro. 3,7 Millionen Euro werden über ein Förderdarlehen der WI-Bank finanziert. Aufsichtsratsvorsitzender der Gesundheitszentrum Odenwald GmbH ist Landrat Frank Matiaske.

Philipp Thomann kam mit der Eröffnung des Zentrums für Seelische Gesundheit nach Erbach. Er wurde 1974 in Karlsruhe geboren. Nach seinem Medizinstudium in Heidelberg war er von 2002 bis Anfang 2017 an der Psychiatrischen Universitätsklinik Heidelberg tätig, zuletzt als Geschäftsführender Oberarzt.

Daneben ist er seit vielen Jahren als Hochschullehrer an zahlreichen Ausbildungsinstitutionen tätig. Zu seinen klinischen Schwerpunkten gehören außer der Sportpsychiatrie unter anderem die Gerontopsychiatrie (Hilfe für psychisch kranke ältere Menschen) und therapieresistente depressive und schizophrene Erkrankungen. Thomann lebt mit seiner Frau und seinen beiden Töchtern in Mannheim.