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Parteien zum ersten Mal auf Stimmenfang bei den Frauen

Werbung um Stimmen: Die DDP wendet sich am 18. Januar 1919 im Centralanzeiger für den Odenwald, einen Tag vor der Wahl zur Nationalversammlung, gezielt an Frauen. Die Zeitung wird im Kreisarchiv aufbewahrt.

In der Weimarer Republik geboren: Dr. Elisabeth Kellner vor ihrem Computer mit einem Foto, das sie als kleines Kind mit ihren Eltern zeigt. Fotos: Stefan Toepfer/Kreisverwaltung

Drei bedeutende Wahlen vor 100 Jahren – Ende der Weimarer Republik als Mahnung

ODENWALDKREIS. - Alle wissen: Auf die Frauen kommt es an. Es ist der 18. Januar 1919. Noch ein Tag bis zur Wahl. Die Deutsche Demokratische Partei wirbt im Centralanzeiger für den Odenwald noch einmal für sich, dieses Mal mit der großformatigen Überschrift „An die Frauen des Odenwaldes!“.

Die Anzeige mit dem Appell „Wählt, Frauen wählt!“ ist nicht zu übersehen. Auch die anderen Parteien sprechen gezielt Wählerinnen an, wie der Zeitung zu entnehmen ist, die im Kreisarchiv aufbewahrt wird.

Kein Wunder: Bei der Wahl zur Nationalversammlung in Weimar, der verfassungsgebenden Versammlung nach dem Zusammenbruch des Kaiserreichs und dem Ende des Ersten Weltkriegs, hatten Frauen zum ersten Mal das aktive und passive Wahlrecht, das erst kurz zuvor eingeführt worden war.

Noch zwei weitere Male konnten die Odenwälderinnen und Odenwälder vor 100 Jahren ihre Stimme abgeben: Am 26. Januar wurde die, ebenfalls verfassunggebende, Volkskammer der Republik Hessen, des ehemaligen Großherzogtums Hessen, gewählt.

Schließlich bestand der Erbacher Kreistag mit dem 24. August nicht mehr aus Honoratioren, die von den Gemeinden und „Höchstbesteuerten“ entsandt wurden, sondern aus vom Volk gewählten Mitgliedern.

In der 423 Sitze umfassenden Nationalversammlung errangen 37 Frauen ein Mandat (unter ihnen die Frankfurter SPD-Politikerin Johanna Tesch), in der hessischen Volkskammer mit ihren 70 Sitzen waren es fünf.

Bemerkenswert ist: Allein vier der fünf weiblichen Abgeordneten des hessischen Parlaments kamen aus Darmstadt: Anna Maria Rauck (SPD), Karoline Balser (DDP), Elisabeth Hattemer (Zentrumspartei) und Else Bierau (DVP).

Die fünfte war, ebenfalls für die SPD, die Offenbacherin Margarethe Steinhäuser. Sie alle waren schon länger in ihren Parteien und in Frauenverbänden aktiv. Im Kreis Erbach sucht man Vorkämpferinnen wie diese allerdings vergeblich.

Nur so viel: Hattemer, laut der Historikerin Birte Förster die „profilierteste Abgeordnete“, war etwa zwei Jahre in Michelstadt als Lehrerin tätig, bevor sie 1901 nach Darmstadt zog.

Dass sich unter den Protagonistinnen der Frauenbewegung keine Odenwälderinnen finden, ist für Christel Götzinger-Heldmann nicht verwunderlich.

„Frauen auf dem Land waren damals viel mehr in Traditionen eingebunden als Frauen in Städten oder in industriell geprägten Regionen und mussten für ihre Familien und den Hof sorgen“, hebt die Vorsitzende des Bezirkslandfrauenvereins Michelstadt hervor.

„Außerdem war der Odenwald ein armes Gebiet, jede Familie war froh, wenn sie sich über Wasser halten konnte. Daran hatten die Frauen einen zentralen Anteil.“

Auch im Umfeld ihrer Familie war das Frauenwahlrecht kaum Gegenstand von Diskussionen, wie sich die Oktober 1924 in Beerfelden geborene Dr. Elisabeth Kellner aus späteren Gesprächen mit ihren Eltern erinnert.

Aber sie geht fest davon aus, dass auch ihre Mutter Elisabeth Kellner 1919 ihre Stimme abgab. „Sie war eine vielseitig gebildete, politisch interessierte Frau.“ Auch ihr Vater Otto Kellner war ein politisch denkender Mensch.

Er war Lehrer am Gymnasium Michelstadt, Mitglied der rechtsliberalen DVP und hatte viele Kontakte nach Großbritannien und Frankreich. Mit den Nationalsozialisten, die gegen Ende der Weimarer Republik immer stärker wurden und schließlich 1933 die Macht übernahmen, hatten die Kellners nichts am Hut.

Elisabeth Kellner – sie wohnt bis heute in ihrem Elternhaus – zieht ein zwiespältiges Resümee jener Zeit: Zum einen hatte sie selbst in den zwanziger Jahren eine mehr oder weniger unbeschwerte Kindheit.

„Mein Vater hat recht gut verdient und es ist uns gut gegangen.“ Sie nahm aber auch wahr, dass viele Menschen unter Arbeitslosigkeit litten. Ihr politisches Fazit mündet in eine klare Mahnung: „Auch Demokratien können in die Gründung von Diktaturen führen.“

Deswegen lehnt die Vierundneunzigjährige bis heute Parteien und Bewegungen ab, die einen „starken Mann“ unterstützen oder herbeisehnen. „Politik ist immer das Bohren dicker Bretter und die Kunst, Kompromisse zu schließen.“

Von 1943 bis 1944 begann Kellner in Heidelberg das Medizinstudium, das sie 1947 wiederaufnehmen und abschließen konnte.

In den sechziger Jahren hat sie in Mannheim den Titel Facharzt für Chirurgie erworben und am Krankenhaus in Eberbach sowie in der Uni-Klinik Heidelberg gearbeitet. Später wurde sie ehrenamtlich politisch aktiv.

Für jene Partei, die auch die neue politische Heimat der Eltern geworden war, die CDU, zog sie 1966 in den Erbacher Kreistag ein. Zuvor war Annemarie Friedrich von 1964 bis 1968 Kreistagsabgeordnete; als eine der ersten Frauen wurde Elisabeth Janouschek 1948 in den Kreistag gewählt.

Petra Karg, die Gleichstellungsbeauftragte des Odenwaldkreises, anerkennt das Engagement jener Frauen, moniert aber: „Bedauerlicherweise gibt es nach wie vor zu wenig Frauen in Gremien wie dem Kreistag und dem Kreisausschuss“.

Heute seien nur jeweils rund 25 Prozent der Mitglieder im Kreistag und Kreisausschuss Frauen. Karg fordert die Frauen auf, sich politisch mehr Gehör zu verschaffen, und die Parteien, Frauen dazu zu ermuntern und ihnen mehr Mitsprache zu ermöglichen.

„Es ist wichtig, dass sich Frauen politisch einmischen“, sagt Elisabeth Kellner. Das findet auch Christel Götzinger-Heldmann. Wenn sich ihr Bezirkslandfrauenverein am 23. Februar zur Jahreshauptversammlung trifft, will sie daran erinnern.

„Dass Frauen wählen und sich wählen lassen dürfen, wurde hart erkämpft.“ Umso wichtiger findet sie es mit Blick auf die im Mai stattfindenden Wahlen zum Europäischen Parlament, dass Frauen und Frauenverbände an der Zukunft Europas mitwirken.

„Vor 100 Jahren sollte nach dem Ende des Ersten Weltkriegs eine neue politische Ordnung entstehen. Daran haben Frauen zum ersten Mal als Wählerinnen und Abgeordnete mitgewirkt.

Es ist tragisch, dass diese Ordnung nur kurz währte und in die Katastrophe der NS-Zeit mündete. Angesichts zweier Weltkriege ist Europa aber umso mehr ein Friedensprojekt, an dem wir weiterarbeiten müssen.“