Reichlich Applaus für einen wohlerfüllten Auftritt auf der Bühne des Lebens

In Blumen gehüllt: das Bild von Paul Wagenknecht zu dessen Trauerfeier, bei der ...

... Franz Lambert auf seiner Wersi-Orgel auch eines von Pauls Lieblingsliedern, die Titelmelodie aus der Serie >Die Dornenvögel<, in ...

... der Erbacher Stadtkirche intonierte. Fotos: er
ERBACH. - Wenn man sich völlig unvorbereitet und aus dem Nichts heraus von einem Menschen verabschieden muss, dann geht damit neben großer Trauer oft auch Fassungslosigkeit einher. Dies umso mehr wenn der Abschied einem Verstorbenen gilt, der gerade eben das Rentenalter erreicht hat.
Das war bei Paul Wagenknecht nicht anders. Und dennoch war die Trauerfeier für das weit über die Grenzen der Odenwälder Kreisstadt Erbach hinaus bekannte „Paulchen“ anders, nein besser gesagt besonders. Besonders deshalb, weil dem Leben und Wirken des verstorbenen 66-Jährigen in Liebe und teilweise verblüffenden Details nachempfunden.
Dieser Aufgabe hatte sich die freie Rednerin Usch Carnier angenommen, die gemeinsam mit Pfarrer Christopher Kloß den Trauergottesdienst in der Erbacher Stadtkirche, von keinem Geringeren als Pauls Idol Franz Lambert an dessen legendärer Wersi-Orgel musikalisch unterstützt, gestaltete.
„Zu Güüütischhh“
Und so kam Usch Carnier, Tochter von Pauls bestem Freund Metzgermeister Kirchschlager, auch gleich zum Lieblingswort des Verstorbenen: „Zu Güüütischhh“ - dieses Wort war von Paul immer dann zu hören, wenn man ihm zum Geburtstag gratulierte, ihm ein Bier brachte, ihn ein Stück seines Weges begleitet hat oder auch manchmal einfach nur so….
Als „zu gütisch“ hätte er es wohl auch empfunden, wenn er es hätte miterleben können, dass sein Idol Franz Lambert ihm zu Ehren spielt. Paul Wagenknecht hatte immer einen Spruch auf den Lippen – und nahm sich nicht selten selbst auf die Schippe.
„Paul war ein Kämpfer mit Herz – und Humor“
Im Gegensatz zur mehr als 300 Personen umfassenden Trauergemeinde sei Paul nicht unvorbereitet gewesen. „Er überließ nichts dem Zufall, er hatte immer einen Plan und wünschte sich eine humorvolle Abschiedsfeier mit vielen Blumen, also war klar, dass ich mir für ihn heute etwas ganz Besonderes einfallen lassen muss“, skizzierte die Rednerin die selbst gestellte Vorgabe.
„Paul war ein Kämpfer mit Herz – und Humor“, so habe seine liebe Frau Gitte gesagt. „Das war sein Weg, mit all den Herausforderungen klarzukommen, die ihm der liebe Gott auf seinem Lebensweg mitgegeben hat.“
Dieser Weg sei steinig gewesen, weil er von Kindesbeinen an mit gesundheitlichen Problemen zu kämpfen hatte, und darüber nur ganz selten und in stillen Stunden gesprochen habe.
„Immer gekämpft und nie gejammert“
„Er hat immer gekämpft und nie gejammert. Paul war so viel mehr als diese Herausforderungen, die das Leben an ihn stellte. Sein einzigartiger Geist, seine Träume und seine unbändige Lebensfreude machten ihn zu einem unverwechselbaren Unikat und einem liebenswerten Menschen.
Heute wollen wir sein Leben würdigen und ehren, wollen unserer Trauer Raum geben, uns aber gegenseitig auch ein Lächeln schenken, wenn wir an Paul denken“, schlug Carnier den Bogen zum humorvollen Paul Wagenknecht, dem es riesigen Spaß machte, andere humorvoll zu unterhalten und sich selbst zum Clown zu machen.
„Er schaffte es immer, die Menschen um ihn herum zum Lachen zu bringen“
„Er schaffte es immer, die Menschen um ihn herum zum Lachen zu bringen.“ Bei der Beschreibung seines Lebens mit einem Bild, einer Metapher, sei das Bild schnell klar: „sein besonderer Schalk, seine Liebe zur Bühne und zur Gemeinschaft passen ganz wunderbar – in eine Faschingssitzung.“
Und so skizzierte denn Usch Carnier Paul Wagenknechts Leben im Stile einer Faschingssitzung unter der Vorstellung er selbst würde „schon irgendwo da oben ganz gemütlich in seinem Sessel sitzen, ein kühles Bierchen in der Hand halten, Chips und Salzbrezeln, Orangenkekse und selbstverständlich seine Nuss-Nougatschokolade naschen und schon ganz gespannt darauf warten, was ich als Protokollerin seines Lebens berichten werde“.
„Sitzungseinzug“ am 8. August 1958, als er in Erbach das Licht der Welt erblickte
Diese phantasievolle Faschingssitzung umfasste schließlich alle Facetten von Pauls Lebenssitzung, beginnend mit dem „Sitzungseinzug“ am 8. August 1958, als er in Erbach das Licht der Welt erblickte. „Schon dieses Datum – 8.8.58 – schien ihm einen besonderen Rhythmus mitzugeben“, sinnierte die Rednerin.
Paul war der neue Mitspieler im Familienensemble mit seinen Eltern und zwei Geschwistern. Sein Elternhaus blieb ein Leben lang Pauls Zuhause. Nach der Schulzeit begann er eine solide Ausbildung zum Konditor. Seine Lehre beendete er beim Weltmeister der Konditoron Siefert in Michelstadt.
„Merwesdreher“, der später morgens um 7 immer schon seine erste Nummer machte
Später wechselte Paul seinen Job. Und wenn jemand danach fragte, wie er denn seine Brötchen verdiente, dann war seine Antwort legendär, denn er sagte: „Früher, da war ich Merwesdreher… jetzt mach ich was ganz anderes. Ich mach morgens um 7 immer schon meine erste Nummer…“
Schon Anfang der 80er Jahre fing das mit den Nummern an. Paul arbeitete bei seiner Mama Wiltrud im Schilderladen, machte Kennzeichen für Autos und Motorräder. Wie Pfarrer Kloß berichten konnte, erfüllte er auch all die Wünsche seiner Kundschaft.
Der wollte nämlich mal ein besonders kleines Kennzeichen für sein Motorrad. Worauf Paul antwortete: „Selbstverständlich, mach ich Dir auf einer Briefmarke ...“
Er half immer aus, wenn Not am Mann war
„Er mochte seine Arbeit, seinen Laden, der auch irgendwie sein erster Stammtisch wurde, denn für jedermann stand immer Kaffee bereit und nicht selten trafen sich dort Pauls viele Freunde auf einen Plausch.“ Nummern und Pokale, machte er bis zuletzt, denn auch wenn das Geschäft seit einiger Zeit einen Teilhaber hatte, half er immer aus, wenn Not am Mann war.
„Eine Faschingssitzung ohne Prinzenpaar ist wie ein Theaterstück ohne Hauptdarsteller. Vor allem die Prinzessin steht im Mittelpunkt, sie ist das Herz dieser Feier.“ Eine solche Prinzessin hatte sich Paul Wagenknecht Mitte der 1980er Jahre angelacht.
Die junge, hübsche Bayerin Gitte war in den Odenwald gekommen und bediente regelmäßig abends in einem Erbacher Weinlokal. Und obwohl Gitte damals verlobt war, sie das Hochzeitskleid angesichts der geplanten Vermählung schon gekauft hatte, nahmen die Dinge ihren Lauf, Gitte sagte ihre geplante Hochzeit ab und beim Neujahrsempfang 1987 verlobten sie sich.
Pauls Prinzessin war immer seine Gitte!
„Drei Jahre später, eine Woche vor dem Wiesenmarkt, am 14. Juli 1990, heirateten die Beiden mit einem rauschenden Fest im Hausmannzelt. Und das Brautkleid, das Gitte ursprünglich für diesen Tag gekauft hatte?
Keine Sorge, es wurde nicht ihr Hochzeitskleid, aber es fand 1987 als ihr Prinzessinnenkleid Verwendung, denn da waren sie und Paul das Prinzenpaar des CV Ulk.“ Auch wenn am Aschermittwoch dann alles vorbei war: „Pauls Prinzessin war immer seine Gitte!
Sie war nicht nur die Liebe seines Lebens, sondern auch stets seine größte Stütze, sein fester Rückhalt, sein Zuhause. Gemeinsam habt ihr fast 35 Jahre Ehe gemeistert, habt Höhen und Tiefen durchlebt und nie den Mut verloren.
Für ihn war das ein Glück, das er niemals als selbstverständlich ansah, sondern das er immer mit Dankbarkeit trug“, rief Usch Carnier in Erinnerung.
Paul lebte seine Büttenrede
„Die Büttenrede ist ein unverzichtbarer Bestandteil jeder Faschingssitzung. Sie bringt die Menschen zum Lachen, regt aber oft auch zum Nachdenken an. Mit pointierten Worten, einem Augenzwinkern und viel Charme wird hier der Alltag kommentiert.
Paul lebte seine Büttenrede. Beim C.V. Ulk stand er mit Hans Demmel in der Bütt – oder saß auch mal mit ihm in der Badewanne – und brachte die Säle zum Toben. Mit ihrem legendären Spruch „Du…. Baba“ wurden sie unvergesslich.
Jeder Erbacher Fastnachter erinnert sich an Pauls Auftritt als vergessene, verstaubte Braut oder den Odenwälder Bub in roten Strumpfhosen. Auch im Männerballett war er der heimliche Star.
Er hatte viele Elferräte in seinem Leben
In einer Faschingssitzung ist der Elferrat das Rückgrat. Er plant, organisiert und sorgt dafür, dass die Veranstaltung ein Erfolg wird. Es ist eine Gemeinschaft, die zusammenarbeitet, einander unterstützt und Spaß hat.
Paul hatte viele Elferräte in seinem Leben: er war beim Gänsegretelverein der Nummerngansert, viele Jahre Mitglied der Paulanerbruderschaft, war natürlich beim C.V. Ulk im Elferrat, dem Männerballet und auch beim CC Rot-Weiß Steinbach Mitglied, ebenso wie beim Rennverein Erbach und im Lambert-Fanclub.
Bekannt wie beliebt bei allen Wiesenmarkt-Schaustellern
Er war bei allen Schaustellern auf dem Wiesenmarkt so bekannt wie beliebt, die ganze Familie Hausmann zählte zu seinen engsten Freunden und auch im Champagnerhaus, war er fast wie zu Hause.
Er war Stadtverordneter in Erbach und natürlich treuester Stammtischbruder der an Lebensjahren so reichen Morgenrunde, die je nach Jahreszeit im Tennishotel oder im Brauhaus stattfindet, des Donnerstagsstammtisch im Brauhaus und des Montagsstammtisch im Hirsch.
Ein Freund, wie man ihn sich nur wünschen konnte
Paul war ein Freund, wie man ihn sich nur wünschen konnte – ein Mensch, der immer ein offenes Ohr hatte, der sich sorgte und mit Rat und Tat da war, wann immer man ihn brauchte. Er schätzte den Wert von echter Freundschaft auf Augenhöhe und brachte Herzlichkeit und Verlässlichkeit dort ein.
Doch Paul war auch sensibel und nahm Freundschaft sehr ernst. Wenn die Lebenseinstellungen zu unterschiedlich wurden oder sich herausstellte, dass die Grundwerte nicht mehr übereinstimmten, zog er sich zurück.
Pauls Lebenspolonäse war bunt, lebendig und voller Vielfalt
Pauls Lebenspolonäse war bunt, lebendig und voller Vielfalt. Er vereinte Menschen aus allen Lebensbereichen und verband Generationen, Kulturen und Länder, brachte wildfremde Menschen einander näher. Paul liebte es, Menschen zusammenzubringen.
Er mochte es zu reisen, neue Menschen und Orte zu entdecken und sich von der Welt inspirieren zu lassen. Sie besuchten gemeinsam Rom. Aber seine ganz persönlichen Höhepunkte waren Südafrika und Namibia. Es gab auch viele kleine Urlaubsreisen, Ausflüge mit seinen Stammtischbrüdern bei denen er immer zu Scherzen aufgelegt war.
Mit Gitte und Freunden letzter gemeinsamer Urlaub in Wildschönau
Silvester war er mit Gitte und Freunden in Wildschönau. Und das war auch gut so, denn niemand konnte ahnen, dass das Euer letzter gemeinsamer Urlaub werden sollte.
Zwischen den großen Programmpunkten einer Faschingssitzung sind es oft die kleinen, besonderen Einlagen – Tänze, Sketche, musikalische Darbietungen – die den Abend lebendig machen und für Überraschungen sorgen.
Seine Pudel und sein Cocker Max als treue Begleiter auf seiner Lebensbühne
Auch Pauls Leben war voller solcher einzigartigen ‚Einlagen‘, die seinen Alltag bereicherten und ihn so unverwechselbar machten: seine Pudel Jogi, Charlie und Enrico und sein Cocker Max waren treue Begleiter auf seiner Lebensbühne.
Er mochte schöne Autos, liebte Mercedes, flitzte aber auch gerne mit seinem Smart durch Erbach. Paul war ein Vollblutmusiker. Früher hat er auf Veranstaltungen Orgel gespielt, die Gitte ihm immer hinterhergetragen hat…
Mit dem Akkordeon für gute Stimmung gesorgt
Und er liebte es bei jeder Gelegenheit sein Akkordeon auszupacken und für gute Stimmung zu sorgen. Der Pegel konnte noch so hoch sein … für ein „La Paloma“ hat es immer noch gereicht.
Er konnte wunderbar von ihm völlig frei erfundene Geschichten als Tatsachen verkaufen. Mit großer Überzeugungskraft erzählte er Räuberpistolen mit einer Ernsthaftigkeit, dass er damit so manchen Freund heftig auf's Kreuz gelegt hat.
Blumen und Pflanzen das war ebenfalls eine seiner Leidenschaften. Gemeinsam mit Gitte pflegte er liebevoll seinen Garten mit Teich und Pool – ein kleines Paradies, das sich die Beiden geschaffen haben.
Trost gespendet und Menschen mit einem seiner Sprüche aufgerichtet
Mit großer Hingabe kümmerte er sich um andere: besuchte Freunde im Krankenhaus, sorgte sich um Rehaplätze und nahm selbst weite Wege auf sich, um Trost zu spenden und die Menschen mit einem seiner Sprüche aufzurichten.
Er war für seine Nichten Sonja, Sabine und Pia ein liebevoller und großzügiger Onkel und inzwischen auch ein ebenso vorbildlicher Großonkel für deren Nachwuchs, Paul hatte ein großes Herz für sie.
Gitte überlegte immer genau, bevor sie Wünsche äußerte, denn Paul setzte umgehend alles daran, sie sofort zu erfüllen – selbst wenn sie es vielleicht gar nicht so ernst gemeint hatte.
Am Ende einer jeden Faschingssitzung erklingt ein Schlusslied. Es ist der Moment, in dem das ganze Ensemble auf der Bühne tanzt, die Luftballons auf Mitwirkende und das Publikum herabregnen und das Publikum aufsteht und applaudiert – für all das, was auf der Bühne gezeigt wurde.
Paul hat sich diesen Applaus mehr als verdient. Er war ein Mann, der nicht nur für sich lebte, sondern vor allem für andere.
„Sitzungspräsident Deines, und oft der Till Eulenspiegel unseres Lebens“
Lieber Paul, Du warst der Sitzungspräsident Deines, und oft auch der Till Eulenspiegel unseres Lebens. Du hast gelacht, gefeiert, geliebt, den Menschen Freude geschenkt und manchmal auch den Spiegel vorgehalten. Auch wenn der Vorhang jetzt gefallen ist, bleibt Dein Lachen und Dein großes Herz in unserer Erinnerung.
Zum Schluss rufen wir Dir ein letztes Mal zu: Helau, lieber Paul, und danke für die wunderbare Sitzung deines Lebens!“
Es folgte die Einladung, gemeinsam aufzustehen, „um Paul die Ehre zu erweisen die er verdient hat. Lassen Sie uns ihm mit einem Applaus Danke sagen – Danke für seine Lebensfreude und dafür, dass wir alle ein Teil seiner großartigen Sitzung sein durften“, bat Usch Carnier.
Die große Erbacher Stadtkirche erlebte abschließend stehende Ovationen der vielen, vielen Trauergäste mit minutenlangem Applaus für einen wohlerfüllten Auftritt auf der Bühne des Lebens von Paul Wagenknecht.