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LESERBRIEF: Die Tragik der Kernspalter

Eine der Charakteristiken eines fühlenden Lebewesens ist die Kapazität für Mitleid. Mitleid hat man aktuell mit vielen Gruppierungen, Flutopfer, Geflüchteten, Kriegsopfer. Aber leider wird eine Gruppe in Deutschland völlig ignoriert, die Atomstrom-Fanboys.

Das ist nicht in Ordnung, denn diese Menschen sind durchaus gebeutelt, wurden arg gequält in den letzten 14 Monaten, seitdem in Deutschland die letzten AKW vom Netz genommen wurden.

Auch jetzt noch trauern diese Menschen, auch mit Unterstützung kurioser Parteien mit Wahlprogrammen aus den 50er Jahren, den mächtigen Kühltürmen nach. Was waren das noch für Zeiten als die Castoren durch die Republik rollten?

Die ewigen Streitereien um die Endlagerung. Nostalgie pur. Damals im April 2023 saßen sie, hämisch grinsend, mit Kerzen, Maglite und Gasgrill zu Hause, warteten auf den prophezeiten Blackout. Passiert ist leider nichts. Die ganzen Kerzen umsonst gekauft.

Dann der nächste Schock, die Strompreise fielen und fielen. Niemand sprach mehr von Energiekrise. Dabei hatten sie es doch alle versprochen, die Unionisten, die Lieblingsbeobachtungsobjekte des Verfassungsschutzes. Alle sagten es wird teuer und dunkel, und überhaupt geht die Republik unter, ohne die hübschen Kühltürme.

Und es kamen immer mehr Hiobsbotschaften. Immer mehr Strom aus Wind, Sonne und Wasser. Balkonkraftwerke boomen. Die Preise fallen weiter. Nicht mal mehr der Verweis auf die anderen Länder helfen.

In England ziehen sich die Chinesen aus dem riesigen AKW-Projekt zurück, und das, obwohl der Strom, der hier mal produziert werden wird wohl als teuerster Strom Europas in die Geschichtsbücher eingehen wird. Das muss einem doch das Herz brechen, oder?

Man kann nicht sagen, man versuchte nicht diesen armen Menschen zu helfen. Märchen vom importierten Atomstrom konnten den Fakten des Europäischen Energiemarktsystems nicht standhalten, die Sage des Kohlestroms? Auch widerlegt.

Auch ich denke mir manchmal „Ach, ich lass heute mal die Fakten und Zahlen zu Hause und denke mir die Welt wie sie mir gefällt“. Aber wie bei kleinen Kindern ist Lügen auch keine Lösung.

Aber wie geht man mit den Atomlovern um? Wenn ich sie mir vorstelle, zitternd im Baumarkt vor dem Balkonkraftwerk, nachdem sie festgestellt haben, wie schnell man da Geld spart, wie sie weinend die Module hinter dem Haus aufstellen, dass die Nachbarn es nicht sehen.

Wie sie vor dem Einstecken des Steckers noch mal ein kurzes Stoßgebet zu Putins Uranaufbereitungsanlage schicken und um Vergebung bitten. Herzzerreißend.

Eine Sache jedoch beruhigt mich an der Stelle. Zumindest ist klar, dass jeder dieser Menschen nach dem Ritt auf dem toten Pferd noch lange genug Kerzen zu Hause haben wird, um zumindest beim Abendessen mit der Gattin für ein wenig Wohlsein zu sorgen.

Stefan Uhrig
64711 Erbach