Odenwälder Hallenbad in Michelstadt ein Goldesel für Handwerker und früheren Betreiber
Handwerker-Pfusch und großzügiger „Sponsorenvertrag“ für den Bad-Betreiber durch den früheren Hallenbadzweckverbands-Vorstand um Ex-Bürgermeister Reinhold Ruhr verschlangen rund 7,9 Millionen Euro, die aus öffentlichen Steuermitteln aufgebracht werden müssenODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Das Odenwald-Hallenbad in Michelstadt erstrahlt nach mehr als sieben Jahren der „Auszeit“ und Ungewissheit seit Anfang März diesen Jahres in neuem Glanz. „Wir stehen zu 90 Prozent einem neuen Bad gegenüber“, verlautete bei der offiziellen Eröffnungsfeier.
„Das Wort >Verantwortung< für eine Sache hat hier eine Wiedergeburt erlebt“, sprach Georg Walther bei der Wiedereröffnung nach zuletzt mehr als vierjähriger Schließung die unglaublichen Vorgänge in und rund um die Sport- und Freizeiteinrichtung aus den vergangenen dreizehn Jahren zwar an, ohne die Hintergründe auszusprechen (siehe FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews).
Was der Ortsvorsteher des Michelstädter Stadtteils Stockheim damit andeutete, sind bei näherer Betrachtung schier unglaubliche Vorgänge rund um zahllose Verfehlungen und einen Selbstbedienungsladen für mehrere Handwerker und den früheren Betreiber.
Schwere Vorwürfe gegen Reinhold Ruhr und seine Vorstandskollegen
„Die nämlich konnten sich die Taschen füllen, weil der damals zuständige Vorstand des Hallenbad-Zweckverbandes um den früheren Michelstädter Bürgermeister Reinhold Ruhr (ÜWG) seiner Verantwortung in keiner Weise gerecht wurde.
Sie ließen vielmehr das Odenwald-Hallenbad zu einem Goldesel für Handwerker und den früheren privaten Betreiber Holger Volk mutieren“, sagt ein Mitglied der damaligen Verbandsversammlung.
„Dem Hallenbad-Zweckverband wären Kosten im siebenstelligen Bereich erspart geblieben, wenn Reinhold Ruhr damals das Gutachten zum Gebäudedach nicht verschwiegen, und für den Betreiber des Bades nicht einen äußerst lukrativen Vertrag ohne jegliche Sicherung ausgearbeitet hätte“, beklagt ein weiteres ehemaliges Mitglied der Verbandsversammlung die kostenintensiven Handlungen des damaligen Michelstädter Bürgermeisters, „die auch von seinen beiden Vorstandskollegen Harald Buschmann und Dr. Michael Reuter nicht verhindert worden sind“.
Vertraglich gesicherte Zahlungen über fünf Jahre ohne Gegenleistung
Einige Handwerker hatten in den Jahren 2010/11 in einzelnen Gewerken ohne verbandseigene Bauaufsicht nur Pfusch abgeliefert, und dafür insgesamt 3,5 Millionen Euro für ein zwar „saniertes, aber anschließend weiterhin nicht benutzbares Bad“ kassiert.
Darüber hinaus hatte der damalige Verbandsvorstand den privaten Bad-Betreiber Holger Volk mit einem von Reinhold Ruhr erarbeiteten unglaublich großzügigen Vertrag versorgt. Dieser hatte von September 2004 bis Jahresende 2015 Gültigkeit, obwohl vom „Betreiber“ dabei in einer rund fünfjährigen Zeit des geschlossenen Bades keine entsprechenden Leistungen erbracht werden mussten.
Knapp 471.000 Euro „Betriebskostenzuschuss“ ohne Betrieb
Wegen des in den Jahren 2010/11 von Handwerkern am Bau abgelieferten Pfuschs ist der Verband als Trägerin der Sport- und Freizeiteinrichtung zwar in mehreren Einzelverfahren vor Gericht gezogen und hofft - soweit dies überhaupt noch realisierbar ist - derzeit noch auf Rückerstattung eines stattlichen Betrags in Millionenhöhe.
Unwiederbringlich verloren aber sind die „Sponsorengelder“ für den Ex-Betreiber, die ihm der aktuelle Verbandsvorstand ohne Gegenleistung bis Ende 2015 in Höhe von insgesamt rund 470.950 Euro gewähren musste, weil der im Jahr 2004 geschlossene Vertrag keinen Ausstiegs- oder Aufhebungspassus enthielt, der im Falle der hier gegebenen höheren Gewalt hätte greifen können.
Vergleiche mit Elbphilharmonie und Flughafen Berlin-Brandenburg
Rückblick: Michelstadts Bürgermeister Stephan Kelbert nannte die zweifache Sanierung des einzigen öffentlichen Hallenbades im Odenwaldkreis, die sich über insgesamt sieben Jahre erstreckte, und in zwei Bauphasen insgesamt 7,4 Millionen Euro verschlang, eine „politische Baustelle“, die zur Wiedereröffnung in einen „emotional-historischen Tag“ gemündet sei.
Oft herangezogene Vergleiche mit der Elbphilharmonie in Hamburg oder dem Flughafen Berlin-Brandenburg, auf Odenwälder Verhältnisse reduziert, würden der Sache dennoch nicht gerecht, hatte der Standortbürgermeister bemerkt.
Zutreffend ist sicher auch der Hinweis Kelberts, dass bei aller berechtigten Kritik in der Betrachtung nicht vergessen werden dürfe, es habe sich um die Behebung von erheblichen Mängeln und gleichzeitig um Modernisierungsmaßnahmen gehandelt.
Gutachten zu Schäden am Gebäudedach zurückgehalten
Doch genau an diesem Punkt muss der Blick auf das Jahr 2007, den Anfang einer ebenso verhängnisvollen wie teuren Fehlerkette gerichtet werden. Zu diesem Zeitpunkt wurde klar, dass das in die Jahre gekommene Bad saniert werden muss. So wurde vom damaligen Standortbürgermeister und Zweckverband-Vorstandsmitglied Reinhold Ruhr auch ein Gutachten zu Bauzustand und Sanierungsbedarf des Gebäudedachs beauftragt.
Dieses Gutachten eines Michelstädter Ingenieurbüros aus dem Jahr 2007 zeigte die Mängel am Gebäudedach deutlich auf, blieb jedoch auf wundersame Weise ein gut gehütetes Geheimnis des damaligen Standort-Bürgermeisters. Lediglich die Innensanierung wurde geplant und in den Jahren 2010/11 für 3,5 Millionen Euro ausgeführt.
Verbandsversammlung vom Vorstand nicht eingebunden
„Der Verbandsversammlung wurde niemals mitgeteilt, dass zum damaligen Zeitpunkt laut Gutachten auch das Gebäudedach des Hallenbades erhebliche Mängel aufwies, die dringend der Sanierung bedurft hätten, zumal sie ein nicht unerhebliches Gefahrenpotenzial für die Besucher darstellten“, beklagt ein Mitglied der damaligen Verbandsversammlung.
Bei der dann ab 2010 folgenden „Sanierung“ sei einerseits das schadhafte Gebäudedach aufgrund des von Ruhr wohl gehüteten Geheimnisses völlig außen vor geblieben, andererseits fabrizierten mehrere der eingesetzten Handwerksfirmen vorwiegend Kosten, ohne ihrem eigentlichen Sanierungsauftrag gerecht zu werden.
„Kellerräume glichen einer Tropfsteinhöhle“
Die Folge war, dass schon kurz nach der Wiedereröffnung im Jahre 2011 wieder Schäden zutage traten, die sich in der Folge als so gravierend erwiesen, dass das Bad schon am 3. Dezember 2012 wieder geschlossen werden musste.
Damals „glichen die Kellerräume einer Tropfsteinhöhle“, wie Bürgermeister Kelbert sagte. Daraufhin habe die Verbandsversammlung einstimmig entschieden erneut in die Wiederherstellung des Sport- und Freizeitbades zu investieren anstatt die Tore für immer zu schließen.
Deutlich mehr Transparenz und neue Strukturen
Jetzt endlich wurde die Generalsanierung angegangen, bei der „keiner wissen konnte, was uns noch erwartet“, wie Georg Walther bei der jetzt erfolgten Wiedereröffnung sagte. Der Stockheimer Ortsvorsteher war ebenso wie Otto Ihrig (Erbach) vor zwei Jahren durch die Verbandsversammlung zum ehrenamtlichen Bauleiter ernannt worden.
2012 waren noch einmal 3,5 Millionen Euro für eine zweite Generalsanierung angesetzt, „an deren Ende jetzt die Beseitigung von 30 Kubikmeter Bauschutt und ein erneutes Kostenvolumen von 3,9 Millionen Euro standen“, wie Otto Ihrig zur Wiederinbetriebnahme bilanzierte.
Betroffen von den Sanierungsmaßnahmen waren neben den klassischen Gewerken Baukörper, Wärmeisolierung, Elektrotechnik, Heizsysteme und Sanitärbereiche auch die Badewassertechnik. Saniert wurde dabei jetzt endlich auch das Gebäudedach analog dem bereits im Jahr 2007 erstellten Gutachten.
Rund 471.000 Euro weitere unnötige Kosten
Während sich die aus beiden Sanierungsabschnitten entstandenen Kosten von 7,4 Millionen Euro durchaus auf mehrere Ursachen und Schultern verteilen lassen, reichen die Verfehlungen für weitere unnötige Kosten von rund 471.000 Euro noch weiter zurück ins Jahr 2004 und sind alleine dem damaligen Verbandsvorstand um Reinhold Ruhr anzulasten.
Dieser Vorstand wollte den damaligen Jahresverlust von 300.000 Euro halbieren und privatisierte den Betrieb in Abstimmung mit der Verbandsversammlung. Unter der Federführung des damaligen Michelstädter Bürgermeisters Ruhr wurde dann Holger Volk als Betreiber des Hallenbades unter Vertrag genommen.
Die damals fixierten finanziellen Vertragsbestandteile, lesen sich in der Bilanz des beauftragten Wirtschaftsprüfers Schüllermann&Partner für den Pächter wie aus einem Land, in dem Milch und Honig fließen.
Großzügig „versorgter“ Generalpächter
So gewährte der ursprünglich auf Kostenreduzierung bedachte Hallenbad-Zweckverband dem privaten Betreiber ab dem 21. September 2004 durch seinen Vorstand einen monatlichen Betriebskostenzuschuss von 8.000 Euro.
Zusätzlich wurden Holger Volk 40 Prozent der Kasseneinnahmen außer denen für den Schul- und Vereinsbetrieb zugestanden und der Zweckverband als Hallenverpächter trug alle Nebenkosten „auf Basis der letzten drei Jahre“.
Im Gegenzug hatte Volk dem Zweckverband für die Pacht der dem Bad angeschlossenen und von ihm auf eigene Rechnung betriebenen Sauna 2.000 Euro monatlich zu entrichten.
Ab Juni 2005 musste er für inzwischen vom Zweckverband für diesen Betriebsteil angeschaffte Solarien weiteren Pachtzins von 350 Euro monatlich bezahlen. Ab 1. Juli 2007 übernahm Holger Volk auch den Betrieb der im Bad integrierten Cafeteria für weiteren monatlichen Pachtzins in Höhe von 600 Euro.
Großzügige Vertragsgestaltung entwickelte sich zum Schlaraffenland
War der Vertrag für Verpachtung und Betrieb des Odenwälder Hallenbades und dessen Sauna schon vom ersten Tag an für den privaten Betreiber ein Glücksgriff, so entwickelte er sich in der Folge gar zum Schlaraffenland für Holger Volk.
Das bis Dezember 2015 gültige Vertragswerk hatte nämlich auch uneingeschränkte Gültigkeit für die Sanierungsphasen in den Jahren 2010/11 und nach der erneuten durch Sanierung bedingten Schließung ab Dezember 2012 bis Vertragsende im Dezember 2015.
Der von Reinhold Ruhr erarbeitete und von seinen Vorstandskollegen Harald Buschmann und Dr. Michael Reuter mitgetragene Vertrag des Hallenbad-Zweckverbands enthielt keinerlei Klausel zur Reduzierung oder Minderung für den Fall der Schließung aufgrund erforderlicher Sanierungsmaßnahmen oder sonstige Umstände, die vom Verpächter nicht zu vertreten waren.
Rund 471.000 Euro „Betriebskostenzuschuss“ für nicht betriebenes Bad
So kassierte der Betreiber des durch Sanierung bedingt geschlossenen Bades in den Jahren 2010/11 den monatlichen Betriebskostenzuschuss in Höhe von 8.000 Euro weiter, ohne dafür irgendwelche Leistungen erbringen zu müssen. Dieser paradiesische Zustand setzte sich mit der erneuten Schließung des Bades ab 3. Dezember 2012 entsprechend fort.
Ab dem 1. Juni 2013 „einigten“ sich der inzwischen personell neu besetzte Vorstand des Zweckverbandes mit dem damaligen Landrat Dietrich Kübler (ÜWG), den Bürgermeistern Harald Buschmann (CDU, Erbach) und Stefan Kelbert (parteilos, Michelstadt) und der Betreiber „aufgrund der besonderen Situation“ auf einen reduzierten „Betriebskostenzuschuss“, der auch ohne jeglichen „Betrieb“ fortan bis Jahresende 2015 „nur“ noch 4.500 Euro pro Monat betrug.
Zum gleichen Zeitpunkt wurden jedoch zusätzlich die monatlichen Pachtzahlungen für Sauna (2.000 Euro), Cafeteria (600 Euro) und Solarien (350 Euro), die von Volk während der Badsanierung weiter betrieben wurden, ausgesetzt.
Anstelle des seitherigen Betriebskostenzuschusses von monatlich 8.000 Euro wurden dem „Betreiber ohne Betrieb“ durch diese Umschichtung bis zum Vertragsende am 31. Dezember 2015 also „nur“ noch 7.450 Euro statt der vertraglich fixierten 8.000 Euro monatlich gewährt.
In der Gesamtsumme addieren sich die Zahlungen des Hallenbad-Zweckverbandes an den früheren privaten Betreiber Holger Volk für die Zeit des geschlossenen Odenwald-Hallenbades während der beiden Sanierungsphasen auf sage und schreibe rund 471.000 Euro ohne entsprechende Gegenleistung.
Verbands-Umlage schrittweise auf 610.500 Euro pro Jahr erhöht
Zur Finanzierung der Instandsetzungs-Darlehen wie auch der großzügigen Finanzierung des früheren Bad-Betreibers stieg die jährliche Umlage des Hallenbad-Zweckverbands parallel schrittweise von jährlich 386.000 auf aktuell 610.500 Euro.
Diese Kosten, an dem der Odenwaldkreis zu 32, Michelstadt zu 40 und Erbach zu 28 Prozent beteiligt sind, verteilen sich auf die Stadt Michelstadt mit 244.200 Euro, den Odenwaldkreis mit 195.360 Euro und auf die Stadt Erbach mit 170.940 Euro.
„Aus den Fehlern unsere Lehren gezogen“
„Wir haben aus den Fehlern unsere Lehren gezogen“, sagte Bürgermeister Kelbert. Seitdem herrsche mehr Transparenz und die Verbandsversammlung sei deutlich besser in das Geschehen eingebunden, als noch bei der misslungenen Sanierung vor sechs Jahren.
Während bei der vorausgegangenen Sanierung eine eigene Bauaufsicht fehlte, wurden jüngst neue Strukturen in der Geschäftsleitung geschaffen. Diese umfassen eine kaufmännische wie eine technische Leitung.
Mit Werner Belzer vom Eigenbetrieb Bau- und Immobilienmanagement des Odenwaldkreises, später Gunnar Krannich vom Abwasserverband Mittlere Mümling als technischer Geschäftsführer und mit Rolf Maul als kaufmännischem Leiter des Zweckverbands habe man die „organisatorische Kehrtwende“ eingeleitet.