Jedes Kabel ist ein Draht nach oben

Wer in der Wald-Amorbacher Kirche einkehrt, kann auf Texte und Musik lauschen und das unterschiedliche Licht auf sich wirken lassen â ĂŒber dieses neue Angebot freuen sich die beiden Kirchenvorstandsmitglieder Dieter Weber und Ursula Stix. Foto: Bernhard Bergmann
WALD-AMORBACH. - âEs ist die modernste Kirche in Europaâ, meint Dieter Weber, und im ersten Augenblick möchte man ihm glauben, dass er das auch ernst meint.
Wenn der Besucher das frisch renovierte evangelische Gotteshaus in Wald-Amorbach betritt, fÀllt ihm zunÀchst die klare und gepflegte Wirkung des kleinen Kirchenraums auf, sodann schon gleich ein Bildschirm mit Touchscreen zur linken Seite.
Und von hier aus kann jeder Gast Texte, Musik und, damit verbunden, die Lichtgestaltung des Raumes steuern. Texte zum Innehalten, Gebete wie der 23. Psalm (âDer Herr ist mein Hirteâ), Lyrik und eine Liste mit MusikstĂŒcken stehen zur Auswahl.
âMusik, Meditation, wertvolle Gedankenâ, fasst Weber zusammen. Der Kirchenraum wird dazu passend illuminiert. WĂ€hlt man die Abteilung Kinderkirche, ertönt das sogenannte âRegenbogenliedâ; klar, welche Licht-Farben dazu gehören.
Technisch auf dem neuesten Stand ist wirklich einiges in dem kleinen, schmucken Gotteshaus des Breuberger Stadtteils, wenngleich Dieter Weber, seit langen Jahren Kirchenvorstandsvorsitzender der mit rund 200 Gemeindegliedern kleinsten Gemeinde im Dekanat Odenwald, auf explizite Nachfrage einrÀumt, dass er das mit der modernsten Kirche Europas nicht so ganz ernst gemeint hat.
âMediale Lichterkircheâ lautet die Bezeichnung fĂŒr eine solche Kirche, welche den Besuchern ermöglicht, den Sakralraum optisch und akustisch so vielseitig wahrzunehmen.
Geöffnet ist sie tĂ€glich von 9 bis 19 Uhr. Auch das Ăffnen und SchlieĂen, wen wundertâs, geht dank prĂ€ziser Uhr natĂŒrlich automatisch, dazu muss niemand mehr mit SchlĂŒssel kommen.
Der Grund fĂŒr diese aufwĂ€ndige Art der Innenrenovierung ist laut Weber ein ganz einfacher: âDer wunderbare Kirchenraum soll viel mehr genutzt werden, auch auĂerhalb von Gottesdiensten und an anderen Tagen als dem Sonntag.â
Eine offene Kirche, die dem Besucher mit Angeboten entgegenkommt, ist eine attraktive Gastgeberin â mit spirituellem Mehrwert. Denn natĂŒrlich ist alles Mediale, alle Technik kein Selbstzweck. Jedes verlegte Kabel ist letztlich ein âDraht nach obenâ.
Was zu hören, was zu sehen ist, soll VerkĂŒndigung sein, auf Gott verweisen und mit ihm verbinden. Und natĂŒrlich kann man auch ganz in Stille einkehren und allein den Raum auf sich wirken lassen.
Auch sonst ist viel passiert in den zurĂŒckliegenden Monaten â wegen Corona und der starken Nachfrage nach Handwerkern hat manches lĂ€nger gedauert als geplant.
Die Elektrik ist modernisiert und im Boden eine Induktivschleife fĂŒr HörgerĂ€te verlegt worden; BĂ€nke und FuĂboden wurden neu gestrichen. Eine neue QuerbelĂŒftung verbessert das Raumklima und macht es dem Schimmel schwer.
AuĂerdem wurde die Orgel saniert und um ein Register erweitert. Einige kleinere Arbeiten wurden auch auĂen miterledigt: der Blitzschutz erneuert, der Sockel gestrichen und der Turmhahn neu vergoldet.
Und dann sind da noch die Details: Der Schaukasten vor der Kirche wird ferngesteuert, die Beleuchtung richtet sich nĂ€mlich nach Sonnenauf- und -untergang. Und theoretisch lieĂen sich viele der Technikbesonderheiten selbst aus dem Ausland steuern â einfach ĂŒber das Smartphone.
âHochzufriedenâ Ă€uĂert sich Dieter Weber ĂŒber die Arbeit der beteiligten Handwerksfirmen und die Bauleitung durch Architekt Bernhard Saul (Rai-Breitenbach).
Auch wenn die Schlussrechnung noch nicht vorliegt, rechnet Weber, ganz grob geschĂ€tzt, mit Kosten von etwa 200.000 Euro fĂŒr die gesamte MaĂnahme; zum Teil gibt es dafĂŒr ZuschĂŒsse, vor allem von der Landeskirche und aus dem Dekanatsausgleichsfonds.
Offiziell eingeweiht wird die so vielfÀltig erneuerte Kirche passenderweise am Kirchweihsonntag in Wald-Amorbach, am 28. August; der feierliche Gottesdienst dazu beginnt um 13.30 Uhr.