Jedes Kabel ist ein Draht nach oben
WALD-AMORBACH. - „Es ist die modernste Kirche in Europa“, meint Dieter Weber, und im ersten Augenblick möchte man ihm glauben, dass er das auch ernst meint.
Wenn der Besucher das frisch renovierte evangelische Gotteshaus in Wald-Amorbach betritt, fällt ihm zunächst die klare und gepflegte Wirkung des kleinen Kirchenraums auf, sodann schon gleich ein Bildschirm mit Touchscreen zur linken Seite.
Und von hier aus kann jeder Gast Texte, Musik und, damit verbunden, die Lichtgestaltung des Raumes steuern. Texte zum Innehalten, Gebete wie der 23. Psalm („Der Herr ist mein Hirte“), Lyrik und eine Liste mit Musikstücken stehen zur Auswahl.
„Musik, Meditation, wertvolle Gedanken“, fasst Weber zusammen. Der Kirchenraum wird dazu passend illuminiert. Wählt man die Abteilung Kinderkirche, ertönt das sogenannte „Regenbogenlied“; klar, welche Licht-Farben dazu gehören.
Technisch auf dem neuesten Stand ist wirklich einiges in dem kleinen, schmucken Gotteshaus des Breuberger Stadtteils, wenngleich Dieter Weber, seit langen Jahren Kirchenvorstandsvorsitzender der mit rund 200 Gemeindegliedern kleinsten Gemeinde im Dekanat Odenwald, auf explizite Nachfrage einräumt, dass er das mit der modernsten Kirche Europas nicht so ganz ernst gemeint hat.
„Mediale Lichterkirche“ lautet die Bezeichnung für eine solche Kirche, welche den Besuchern ermöglicht, den Sakralraum optisch und akustisch so vielseitig wahrzunehmen.
Geöffnet ist sie täglich von 9 bis 19 Uhr. Auch das Öffnen und Schließen, wen wundert’s, geht dank präziser Uhr natürlich automatisch, dazu muss niemand mehr mit Schlüssel kommen.
Der Grund für diese aufwändige Art der Innenrenovierung ist laut Weber ein ganz einfacher: „Der wunderbare Kirchenraum soll viel mehr genutzt werden, auch außerhalb von Gottesdiensten und an anderen Tagen als dem Sonntag.“
Eine offene Kirche, die dem Besucher mit Angeboten entgegenkommt, ist eine attraktive Gastgeberin – mit spirituellem Mehrwert. Denn natürlich ist alles Mediale, alle Technik kein Selbstzweck. Jedes verlegte Kabel ist letztlich ein „Draht nach oben“.
Was zu hören, was zu sehen ist, soll Verkündigung sein, auf Gott verweisen und mit ihm verbinden. Und natürlich kann man auch ganz in Stille einkehren und allein den Raum auf sich wirken lassen.
Auch sonst ist viel passiert in den zurückliegenden Monaten – wegen Corona und der starken Nachfrage nach Handwerkern hat manches länger gedauert als geplant.
Die Elektrik ist modernisiert und im Boden eine Induktivschleife für Hörgeräte verlegt worden; Bänke und Fußboden wurden neu gestrichen. Eine neue Querbelüftung verbessert das Raumklima und macht es dem Schimmel schwer.
AuĂźerdem wurde die Orgel saniert und um ein Register erweitert. Einige kleinere Arbeiten wurden auch auĂźen miterledigt: der Blitzschutz erneuert, der Sockel gestrichen und der Turmhahn neu vergoldet.
Und dann sind da noch die Details: Der Schaukasten vor der Kirche wird ferngesteuert, die Beleuchtung richtet sich nämlich nach Sonnenauf- und -untergang. Und theoretisch ließen sich viele der Technikbesonderheiten selbst aus dem Ausland steuern – einfach über das Smartphone.
„Hochzufrieden“ äußert sich Dieter Weber über die Arbeit der beteiligten Handwerksfirmen und die Bauleitung durch Architekt Bernhard Saul (Rai-Breitenbach).
Auch wenn die Schlussrechnung noch nicht vorliegt, rechnet Weber, ganz grob geschätzt, mit Kosten von etwa 200.000 Euro für die gesamte Maßnahme; zum Teil gibt es dafür Zuschüsse, vor allem von der Landeskirche und aus dem Dekanatsausgleichsfonds.
Offiziell eingeweiht wird die so vielfältig erneuerte Kirche passenderweise am Kirchweihsonntag in Wald-Amorbach, am 28. August; der feierliche Gottesdienst dazu beginnt um 13.30 Uhr.