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Wurde die Erbacher Kita „Kunterbunt“ widerrechtlich erbaut?

Mögliche neue Straftatbestände aus der Amtszeit von Harald Buschmann aufgetaucht: Rund 3,8 Millionen Euro in fremdes Eigentum investiert + + + Der Öffentlichkeit verschwiegen: Von den gewährten Fördermitteln des Bundes in Höhe von 360.000 Euro wurden bereits im Mai 2018 auf Anweisung des Regierungspräsidiums 340.000 Euro zurückgefordert + + + Stadt Erbach klagt

ERBACH. - Die Wogen schlugen von Anfang an hoch, als die Stadt Erbach in den Jahren 2012 und 2013 vor der Situation stand im Rahmen eines Investitionsprogramms des Bundes und des Landes Hessen ein bedarfsgerechtes Angebot an Betreuungsplätzen für Kinder unter drei Jahren zu schaffen.

Nach damaliger Aussage des verantwortlichen Bürgermeisters Harald Buschmann war in den ersten Gesprächen ein Zuschuss für die Stadt Erbach in Höhe von „etwa 524.000 Euro für die durch die Bundesregierung zugesagt“. Schlussendlich wurden im April 2013 nur noch 360.000 Euro Fördergelder bewilligt, den Rest musste die Stadt Erbach tragen.

Im Investitionsprogramm des 2013-er Haushalts der Stadt Erbach waren dazu im Investitionsprogramm 610.000 Euro (inklusive Fördergelder) für den Erwerb von Grundstücken und Gebäuden bereits eingestellt.

Von Anfang an umstrittener Bau

Aktuell könnte der von Anfang an umstrittene Bau der Erbacher Kindertagesstätte „Kunterbunt“ in den Räumen der Energiegenossenschaft Odenwald e.G. auf dem früheren Brauereigelände zu schwerwiegenden finanziellen Folgen für die Odenwälder Kreisstadt führen, und dem früheren Bürgermeister Harald Buschmann und seinem Stadtbaumeister Martin LaMeir gewaltig „auf die Füße fallen“, wie es ein Erbacher Stadtverordneter schon im April 2013 vorausgesagt hatte.

FACT-Recherchen ergaben, dass der Odenwaldkreis im Zusammenhang mit dem Bau der Kita „Kunterbunt“ bereits mit Teilwiderrufsbescheid vom 8. Mai 2018 von der Stadt Erbach die mit Bescheid vom 10. April 2013 bewilligten Fördermittel von 360.000 Euro in Höhe von 340.000 Euro gemäß § 49 Abs. 3 des Hessischen Verwaltungsverfahrensgesetzes widerrufen, und die ausgezahlte Summe zurückgefordert hat.

RP hat Teilwiderruf veranlasst

Den Teilwiderruf bestätigte der Pressesprecher des Odenwaldkreises auf FACT-Anfrage und teilte weiter mit, dass „der Teilwiderrufsbescheid allerdings noch nicht rechtskräftig ist, da die Stadt gegen ihn geklagt hat“.

Weitere FACT-Recherchen ergaben darüber hinaus, dass der Teilwiderrufsbescheid des Odenwaldkreises auf Anweisung des Regierungspräsidiums (RP) Darmstadt erfolgte, weil dort im Rahmen einer Prüfung die „unrechtmäßige Verwendung der Fördermittel“ aufgefallen war.

Für freie Träger war Kita-Bau im ehemaligen Brauereigebäude verboten

Irritationen rund um diesen Kindergarten gab es schon 2012, als zwei freie Träger der Stadt Erbach angeboten hatten, Räumlichkeiten für Kita-Plätze zu schaffen, und diese der Stadt zu vermieten. Diese sollten im ehemaligen Brauereigebäude auf der Kandelwiese, das zwischenzeitlich im Besitz der Energiegenossenschaft Odenwald (EGO) war, hergerichtet werden.

Diese Varianten wurden jedoch vom damaligen Bürgerder meister und dem Stadtbaumeister verworfen, weil das frühere Brauereigebäude im Industrie-, bzw. Gewerbegebiet angesiedelt und dort der Betrieb eines Kindergartens unzulässig sei.

Bau für die Stadt Erbach plötzlich doch möglich

Was sich in der Folgezeit in Sachen Entscheidungsfindung anschloss, trägt skurrile Züge. Genau dort, wo es zuvor für freie Träger keine Möglichkeit zum Betrieb einer Kindertagesstätte gab, war dies plötzlich unter dem Dach der EGO für die Stadt Erbach selbst möglich.

„Die Kreisstadt Erbach hat mit Datum vom 13.12.2012 beim Jugendamt des Odenwaldkreises einen pauschalen Investitionskostenzuschuss mit dem Ziel der Errichtung von vier Gruppen für die U3-Kinderbetreuung und damit verbundenen 40 Betreuungsplätzen in Räumlichkeiten, die im Eigentum der Energiegenossenschaft Odenwald e.G. stehen, beantragt.

Aufwändiger Aus- und Umbau

„Die Räume mussten für den angestrebten Verwendungszweck aufwändig aus- und umgebaut werden“, beantwortet der neue Erbacher Bürgermeister Dr. Peter Traub offenkundig nach Informationen aus seinem Bauamt eine aktuelle FACT-Anfrage.

Genau hinter diesem „aufwändigen Aus- und Umbau“ aber verbirgt sich der nicht Fördermittel-konforme Haken: Aus- und umgebaut hat die EGO und eben nicht die Stadt Erbach als mit den Fördermitteln bedachte Kommune, was nach Prüfung durch das RP zum überwiegenden Widerruf der Fördermittel in Höhe von stattlichen 340.000 Euro und somit knapp 95 Prozent der Gesamt-Fördersumme führte.

Mietkosten von über 3,2 Millionen Euro für 15 Jahre

Damit aber längst nicht genug: Bei dem von Stadtbaumeister Martin La Meir mit der Geschäftsführung des Grundstückseigentümers EGO ausgehandelten Nutzungsvertrag wurden zusätzliche monatliche Mietkosten in Höhe von netto 17.794 Euro zuzüglich der üblichen Nebenkosten für Heizung, Wasser, Abwasser, Müll- und Stromgebühren fixiert.

Allein die Netto-Mietgebühren belaufen sich damit auf jährlich 213.528 Euro und summieren sich bei einer fixierten Vertragslaufzeit von 15 Jahren auf immerhin 3.220.920 Euro. In der Addition mit den erwähnten baulichen Aufwendungen summiert sich die Gesamtsumme damit auf rund 3,8 Millionen Euro.

Schon im März 2013 hatten Erbacher Bürger Strafanzeigen gegen Bürgermeister Harald Buschmann bei der Staatsanwaltschaft Darmstadt wegen „des Tatverdachts der Untreue zum Nachteil der Kreisstadt Erbach – Vergehen nach § 266 StGB“ im Zusammenhang mit dem Kita-Bau gestellt.

„Den Ersten Stadtrat gelinkt und zur Unterschrift gedrängt“

„Mit den Umbauarbeiten der Räumlichkeiten der EGO investieren wir in fremdes Eigentum, die Kriterien der Bezuschussung sind der Stadtverordnetenversammlung nicht bekannt“, kritisierte auch die ÜWG-Fraktion im Jahr 2013 den Alleingang von Bürgermeister Buschmann zusammen mit seinem Stadtbaumeister La Meir.

Diese hatten „wegen angeblicher Eilbedürftigkeit den Ersten Stadtrat zur Mitunterschrift unter den von Martin La Meir ausgehandelten Vertrag gedrängt“, berichten Stadtverordnete von den damaligen Vorgängen.

In einem FACT vorliegenden Schreiben vom 07. April 2013 heißt es dazu: „Dass man den Ersten Stadtrat (Anm. d. Red.: Günther Junker) linkt, seine Unterschrift mit der dringend erforderlichen Fördermittel-Antragstellung (>Wir müssen diesen aus Termingründen heute noch einreichen<) zu tätigen, ist nach unserer Meinung ein Straftatbestand.“

„Stadtverordnete hätten das Projekt genehmigen müssen“

Später habe der Stadtbaumeister in kleinem Kreis eingeräumt, dass dieser Vertrag vor Abschluss von der Stadtverordnetenversammlung hätte beraten und genehmigt werden müssen, somit also schon alleine deshalb rechtswidrig sei.

Erschwerend kommt weiter hinzu, dass die Kita, da im Industrie-/Gewerbegebiet angesiedelt, ohne Zustimmung der angrenzenden Unternehmen keine Betriebsgenehmigung erhalten hätte.

Eine versuchte Bebauungsplanänderung zum Nachteil der umliegenden Industrieunternehmen wurde nach massiven Protesten der betroffenen Unternehmen und der Intervention der Industrie- und Handelskammer (IHK) Darmstadt Rhein-Main-Neckar zurückgenommen.

Stadtbaumeister maßregelt IHK in unflätiger Weise

In einer ebenso stillosen wie anmaßenden Mail des Stadtbaumeisters vom 31.07. 2014 an den Interessenvertretung der betroffenen Betriebe, die immerhin gut 1.000 Arbeitsplätze bieten, maßregelt La Meir diese mit dem unflätigen Satz: „Es geht die IHK beispielsweise einen feuchten …. an, welches Verfahren die Stadt wählt, dies ist auch nicht der von der IHK in Bauleitplanverfahren zu vertretene Belang!“

„Damit der Kindergarten dennoch im EGO-Gebäude laufen kann, haben wir eine entsprechende Vereinbarung mit der EGO getroffen, die dann in die Genehmigungsfassung mit eingeflossen ist“, sagt Stephan Koziol, Firmenchef des gleichnamigen direkt benachbarten Unternehmens auf FACT-Anfrage.

Kita-Betriebsgenehmigung auf tönernen Füßen

Gleichwohl steht die Betriebsgenehmigung für die Kita Кunterbunt auf tönernen Füßen: Gemäß Eintragungsverfügung der Bauverwaltung des Odenwaldkreises vom 26.05.2015 im Baulastenblatt für das entsprechende Flurstück ist festgehalten:

Sollten bauliche und/oder sonstige betriebliche Entwicklungen in den an das Grundstück ….. angrenzenden Industrie- und Gewerbegebieten dazu führen, dass auf die genehmigte Kindertagesstätte einschließlich deren Außenbereiche schädliche Umwelteinwirkungen (Immissionen, vgl. § 3 BImSchG) einwirken – z.B. bei Überschreitung der maßgeblichen Immissionswerte der TA Luft und der TA Lärm – ist der Betreiber der Kindertagesstätte, ersatzweise der Grundstückseigentümer, verpflichtet, den Betrieb der Kindertagesstätte sofort einzustellen und die erforderlichen Immissionsschutzmaßnahmen zu ergreifen.

Kann durch Immissionsschutzmaßnahmen nicht sichergestellt werden, dass schädliche Umwelteinwirkungen nicht länger zu befürchten sind, ist der Betrieb der Kindertagesstätte dauerhaft einzustellen.“

Außenbereich der Kita nicht zu schützen

Im Falle der beschriebenen möglichen baulichen oder sonstigen Entwicklungen bei den angrenzenden Firmen Bosch-Rexroth, Rowenta, Koziol, RKW, Odenwald-Pool u.a. könnte zumindest der Außenbereich der Kita bei Überschreitung der maßgeblichen Immissionswerte der TA Luft und der TA Lärm wohl in keinem Fall vor der dauerhaften Betriebseinstellung geschützt werden.

Auch wenn der erst seit Juli im Amt befindliche Bürgermeister Dr. Peter Traub in einem angefragten Statement die Handlungen seines Vorgängers und des Stadtbaumeisters wie folgt zu verteidigen versucht: „Unserer heutigen Rechtsauffassung nach, unterstützt von einer entsprechenden Bewertung des Städte- und Gemeindebundes, ist nicht gegen Förderrichtlinien verstoßen worden“, bleibt die Kita Kunterbunt wohl ein höchst kunterbuntes und vor allem riskantes Gesamtunternehmen der Stadt Erbach.

Keine Zeitwert-Rückerstattung vereinbart

Dies nicht zuletzt auch deshalb, weil von der Stadt Erbach keine Zeitwert-Rückerstattung für die umfangreichen baulichen Investitionen in die EGO-Räumlichkeiten vereinbart wurde: „Die von der Stadt bezahlten Ausstattungsmaßnahmen werden bei Ablauf des aktuellen Mietzeitraums abgeschrieben sein“, heißt es dazu auf Anfrage aus der Stadtverwaltung.