Der Höhlenlöwe vom Vogelherd als âUrformâ
LONETAL / ERBACH. - âDie Perfektion und Schönheit von Eiszeitkunst kann man erst wirklich begreifen, wenn Elfenbeinschnitzer die Urform herausarbeiten, und somit das nachgeschnitzte FundstĂŒck im ursprĂŒnglichen Werkstoff, GröĂe und Volumen vorliegtâ, sagt Bernhard Röck im Vorwort einer Begleitpublikation zur Sonderausstellung >Wildes Lonetal<.
Der im Erbacher Stadtteil GĂŒnterfĂŒrst lebende Designer und Elfenbeinschnitzer nennt den Höhlenlöwen, der 1931 beim Ausgraben der Vogelherdhöhle bei Niederstotzingen auf der SchwĂ€bischen Alb gefunden wurde, ein gutes Beispiel fĂŒr diese These.
Mehr als acht Jahrzehnte lang war nur die linke KörperhĂ€lfte der etwa 9 cm langen Figur vorhanden, so dass man davon ausging, dass der steinzeitliche KĂŒnstler ein Halbrelief geschnitzt habe.
Aus der Durchsicht des Grabungsschutts von 1931 konnte ein BruchstĂŒck geborgen werden, das sich an die Katzenschnauze ansetzen lieĂ.
âFĂŒr die Sonderausstellung >Wildes Lonetal< wurde ich gebeten, die GroĂkatze zu ergĂ€nzen und als Urform nachzuschnitzenâ, berichtet Röck.
âDie TĂŒbinger ArchĂ€ologen Dr. Sibylle Wolf und der Kurator der Ausstellung, Benjamin SchĂŒrch, machten virtuelle VorschlĂ€ge und gemeinsam diskutierten wir die mögliche ursprĂŒngliche Darstellung. Daraufhin begann ich damit, Modelle aus Horn zu schnitzen.
Zur Hintergrundinformation zitiere ich einige Textpassagen von B. SchĂŒrch: Höhlenlöwen waren die gröĂten Raubtiere der Eiszeit. In der Vorstellungswelt unserer Vorfahren spielten diese Tiere wahrscheinlich eine wichtige Rolle.
Löwen wurden in der Kunst der Steinzeit immer wieder dargestellt. Im Vogelherd wurden verschiedene Löwendarstellungen gefunden, die aus Mammutelfenbein geschnitzt wurden.
Diese Schnitzereien sind 40.000 Jahre alt. Die Darstellungen sind sehr detailliert und zeigen nicht nur die Körperform, sondern auch Fellzeichnungen, die Ohren und den Gesichtsausdruck der Löwen.
Allerdings: Die Höhlenlöwen tragen ihren Namen fĂ€lschlicherweise, da die Ăberreste der Tiere hĂ€ufig in Höhlen erhalten geblieben sind. TatsĂ€chlich lebten und jagten sie wahrscheinlich in der steppenĂ€hnlichen Mosaiklandschaft der SchwĂ€bischen Alb.
Mit einer maximalen LĂ€nge von 2,20 m und der zusĂ€tzlichen SchwanzlĂ€nge von bis zu einem Meter konnten Höhlenlöwen mehr als 300 kg wiegen. Damit war er gröĂer als sein heute lebender Verwandter, der afrikanische Löwe (Panthera leo).
FĂŒr viele Betrachter des Artefakts von 1931 war das Halbrelief eine fertig gestellte, perfekte Schnitzerei. Um mich der ursprĂŒnglichen Form und dem Volumen anzunĂ€hern, habe ich mir einen Löwen vorgestellt, der, wie die RĂŒckenlinie vermuten lĂ€sst, ohne Anspannung durch die Mammutsteppe streift.
Die Pfote des rechten Vorderbeins ist leicht nach hinten, innen angewinkelt. Die angelegten Ohren hat der steinzeitlich Schnitzer sehr gut beobachtet, sie sind in dieser Position tatsÀchlich eher spitz zulaufend.
So kann man an den ĂŒber 40 000 Jahre alten, teilweise sehr gut erhaltenen FundstĂŒcken stĂ€ndig neue Erkenntnisse gewinnen und dabei sicher sein, dass noch weitere Ăberraschungen folgen werden.
Dass Mammutelfenbein einzigartige VorzĂŒge hat, es optimal spanabhebend bearbeitet werden kann und zudem diese unglaubliche Dauerhaftigkeit aufweist ist fĂŒr mich ein Naturwunder. Wer nachdenkt, muss gestehen, ohne Mammut wĂ€rÂŽ alles nix!
Seit ĂŒber zehn Jahren beschĂ€ftige ich mich als Elfenbeinschnitzer intensiv mit dem Nachschnitzen von Eiszeitkunst. Meine Hochachtung vor den Ă€ltesten Kunstwerken, wĂ€chst von Tag zu Tag.
Die groĂartige Beobachtungsgabe unserer steinzeitlichen Vorfahren, ihr handwerkliches Geschick, zusammen mit einer unglaublichen Perfektion in Abstraktion und Reduzierung auf das Wesentliche, beweisen, dass es vor 40 000 Jahren tatsĂ€chlich einen âUrknall in Elfenbeinâ gegeben haben muss.
Als heutiger Elfenbeinschnitzer, der seit 30 Jahren den fossilen Werkstoff Mammutelfenbein verwendet, empfinde ich es als groĂe Gnade daran mitzuwirken, den Beginn menschlicher Kunst und Kultur, begreiflicher zu machen, damit die Arbeit der ArchĂ€ologen besser erkannt und geschĂ€tzt wird.
FĂŒr das >Wilde Lonetal< habe ich noch einen weiteren Löwen und den kleinen Löwenmensch in die jeweilige Urform zurĂŒckversetztâ, sagt Bernhard Röck abschlieĂend.