KOMMENTAR: Prozessberichterstattung von der einen oder der anderen Seite betrachtet
Siebter Verhandlungstag gegen früheren Odenwälder Landrat Dietrich Kübler (67, ÜWG) in der Standortmarketing-AffäreODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Das Strafverfahren gegen den früheren Odenwälder Landrat Dietrich Kübler (67, ÜWG) wegen des Verdachts der Untreue zum Nachteil des Odenwaldkreises sah beim nunmehr siebten Prozesstag am heutigen Mittwoch, 4. Oktober, die Fortsetzung der Befragung eines weiteren Zeugen.
Ebenso wie die Standortmarketing-Affäre, um die sich dieser umfangreiche Prozess seit 6. Juli diesen Jahres dreht, hat die Berichterstattung darüber eine umfangreiche eigene Geschichte:
Im Juli 2014 standen sich die Odenwald Tourismus GmbH (OTG) aus Michelstadt und die Werbeagentur Lebensform GmbH aus Erbach vor den Schranken des Landgerichts Darmstadt gegenüber.
Die Agentur hatte im Rahmen der Odenwälder Standortmarketing-Affäre auf Zahlung einer Rechnung in Höhe von rund 80.000 Euro geklagt, die Richterin neigte zu der Auffassung, dass der Agentur gar nichts zustand. Um den Prozess nicht mit einem Berufungsverfahren zu verlängern, gewährte die OTG dem Kläger im Rahmen eines Vergleichs großzügig einen Betrag von 10.000 Euro.
Die Leser einer Odenwälder Tageszeitung erfuhren damals von diesen Vorgängen fast nichts, besser gesagt, ihnen wurde von einem Prozess berichtet, der völlig anders beschrieben wurde. Nicht nur, dass der Autor des folgenden Prozessberichtes beim Prozess gar nicht zugegen war, beschrieb er die Angelegenheit als Sieg der Werbeagentur über die Tourismus GmbH.
Wegen dieser unfassbaren Berichterstattung verlangte ein Mitarbeiter des Blattes eine Rüge des Deutschen Presserats und kündigte die Mitarbeit bei der Zeitung auf. Wer damals an korrekten Informationen über die gesamte Affäre interessiert war, musste sich anderer Quellen bedienen.
Zeitweise sollen zu der Zeit Journalisten aus der Zentralredaktion des Blattes zur Berichterstattung abgestellt worden sein, weil die zuständige Kreisredaktion überfordert oder unwillig war. Drei Jahre später hat sich an der Art der Meldungen dieser Gazette nicht viel geändert.
Die interessierten Bürger, die sich bei den bisherigen sechs Sitzungen vor dem Amtsgericht Michelstadt gegen den damaligen Landrat, Urheber der Affäre, allein auf die Berichterstattung ihres Lokalblatts stützen, sind über den Verlauf des Strafverfahrens ebenso wenig korrekt informiert, wie sie damals über die Geschehnisse rechtzeitig und korrekt informiert worden waren.
Über die Gründe kann nur spekuliert werden, wir wollen an dieser Stelle nicht raten. Vertreter der ansässigen Industrievereinigung und verschiedene Politiker haben sich damals über die Berichterstattung des Blattes echauffiert, und sie tun es auch jetzt wieder.
Zu Recht. Aber sie schimpfen hinter vorgehaltener Hand, damals wie heute. Es fehlt, damals wie heute, an Zivilcourage in Wirtschaft und Politik. Fällige Meinungsäußerung wird gegen wirtschaftliche Interessen abgewogen.
Eine Reihe Journalisten müht sich bisher stets, die bisherigen Vorgänge und den Verlauf eines Gerichtsverfahrens neutral und korrekt wiederzugeben. Dazu noch schnell, akkurat, kostenlos und dies alles im wohlverstandenen Interesse der Bürgerinformation. Während die örtliche Printpresse nicht über den wahren Verlauf der Verhandlungen berichtet, sondern wieder einmal andere Interessen verfolgt.
Für einige Kollegen, auch für uns, stellt sich jetzt die Frage, ob die aktuelle Berichterstattung kurzfristig eingestellt werden sollte. Dazu haben sich einige Journalisten entschlossen. Jetzt darf sich der Teil der Bevölkerung, der an richtigen Informationen interessiert ist, allein an den Erkenntnissen der Lokalpresse berauschen.
Denn eines muss in diesem Zusammenhang einmal deutlich ausgesprochen werden: Jede Stadt oder jeder Landkreis hat nicht nur die Politiker, sondern auch die Presse, die sie oder er verdient.