Aufmarsch der Vergesslichen: Zeugen bringen kaum Licht in die Affäre
Strafverfahren gegen ehemaligen Odenwälder Landrat Dietrich Kübler: Erbacher Bürgermeister Harald Buschmann entscheidet in Abwesenheit für die „Kessel-Connection“ODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Eine denkwürdige Sitzung liegt hinter den Verfahrensbeteiligten und den etwa dreißig Zuhörern im Saal des Amtsgerichts Michelstadt.
Vor Beginn der zehnten Sitzung im Untreueverfahren gegen den früheren Odenwälder Landrat Dietrich Kübler (67/ÜWG) hatte der Verteidiger des Angeklagten den ersten Zeugen zu einem intensiven Zwiegespräch auf dem Gerichtsflur zur Seite genommen.
Danach konnte sich der amtierende Landrat Frank Matiaske (SPD) im Rahmen seiner Befragung durch Amtsrichter Helmut Schmied an viele Vorgänge am Jahresende 2011 nicht mehr erinnern.
Das Publikum staunte nicht schlecht angesichts der offensichtlichen Vergesslichkeit des höchsten politischen Beamten des Landkreises.
Dem vergesslichen Landrat Matiaske folgten vier weitere erinnerungslose Zeugen
Dennoch sollte dessen äußerst selektives Erinnerungsvermögen im Laufe der Verhandlung noch überboten werden, denn es folgten noch der Reichelsheimer Bürgermeister Stefan Lopinsky, ein Mitarbeiter im Landratsamt, Bernd Pfau, mit Michael Gölz ein Vertreter der Kreishandwerkerschaft und ein führender Vertreter der Volksbank Odenwald, Reinhard Hastert.
Sie alle verbindet, dass sie bei prozessual entscheidenden Fragen keine Erinnerung hatten. Dabei waren sie alle Mitglieder der so genannten Steuerungsgruppe, die für den Odenwälder Kreisausschuss die Entscheidung zugunsten des Siegers beim Ausschreibungswettbewerb für ein neues Standortmarketingprojekt vorbereiten sollten.
Wie mehrfach berichtet, hat nach verschiedenen Zeugenaussagen der frühere Landrat beim Auswahlprozess die Entscheidung zugunsten einer Werbeagentur beeinflusst, die einem seiner Nachbarn, Johannes Kessel, gehört.
Neben Kübler sind auch Buschmann und Lopinsky Kunden der „Kessel-Connection“
Durch die aufgeflogene Manipulation entstand dem Landkreis laut Staatsanwaltschaft Darmstadt ein Schaden in Höhe von knapp 100.000 Euro sowie ein weit höherer Betrag an Folgekosten für den Kreis und kreiseigene Wirtschaftsbetriebe.
Pikant am Verlauf der zehn bisherigen Verhandlungen ist, dass neben Kübler auch Bürgermeister Lopinsky und sein Erbacher Amtskollege Harald Buschmann Kunden bei der Werbeagentur waren und weiterhin verstärkt sind, die für sie die zurückliegenden Wahlkämpfe werblich gestaltet hat, weshalb im Kreis mittlerweile von der „Kessel-Connection“ gesprochen wird.
Keine neuen Erkenntnisse durch Befragung von fünf Zeugen
Für die Beweisaufnahme haben die Aussagen der genannten Zeugen keine neuen Erkenntnisse gebracht. Klarere Aussagen kamen von Frank Reubold, zur damaligen Zeit verantwortlich für Stadtmarketing, Tourismus und Wirtschaftsförderung der Kreisstadt Erbach, Ralf Hartmann, Vertreter der Stadt Michelstadt und Matthias Willenbücher, Vertreter der Sparkasse Odenwald.
Frank Reubold berichtete, dass er vom Erbacher Bürgermeister Harald Buschmann, der dem Entscheidungsgremium selbst nicht angehörte, den Auftrag mitbekommen hatte, bei der Abstimmung der Steuerungsgruppe im Dezember 2011 für die Werbeagentur zu votieren, die Buschmanns Wahlkampf begleitet hatte.
Ähnliche Aussagen zu Wahlempfehlungen oder Wahlaufträgen hatten Bedienstete der Kreisfirmen getroffen, denen der Ex-Landrat und ebenfalls Kessel-Kunde Dietrich Kübler ihre Entscheidung diktiert haben soll. „Die Connection funktionierte", bemerkte einer der ständigen Beobachter des Verfahrens, das seit Juli 2017 läuft.
Ein Schöffe ist Parteikollege des angeklagten Ex-Landrats
Vor Amtsrichter Helmut Schmied liegen arbeitsreiche Wochen. Dem Vernehmen nach möchte er das Verfahren noch in diesem Jahr abschließen. Der nächste Prozesstag ist auf den 1. Dezember um 10 Uhr im Amtsgericht Michelstadt terminiert. Zunächst müssen allerdings noch Unklarheiten in Aussagen ehemals führender Mitglieder der Odenwald Regionalgesellschaft OREG geklärt werden.
Und noch eine Frage steht im Raum: Ist es möglich, dass ein Mitglied der Gemeindevertretung in Lützelbach Schöffe in diesem Verfahren sein kann, das derselben Partei angehört, in der der Angeklagte Mitglied ist, in der Überparteilichen Wähler Gemeinschaft?