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LESERBRIEF: Und immer wieder der Marktplatz

Es ist Bürgermeisterwahl in Erbach. Das merkt man als Erbacher Bürger nicht nur an den Plakaten und den bunten Wahlkampfständen freitags und Samstagsmorgens in der Innenstadt.

Man merkt es auch an den teils scharfen, emotionalen Diskussionen. Sei es Hotel, Ärztehaus und Kindergarten. Sicherlich alles Dinge, über die man sprechen kann, und vielleicht auch muss. Ein Thema, bei dem ich immer wieder ungläubig den Kopf schütteln muss, ist der Erbacher Marktplatz.

Während in ganz Deutschland und ja, auch in ganz Europa, immer mehr Innenstädte von Autos befreit werden, führen wir hier noch immer die Scheindiskussion über die vollständige, partielle oder temporäre Öffnung unseres schönen Marktplatzes.

Da wird der Platz als Einöde bezeichnet, dem Schlossgraben „chaotische Straßenverhältnisse“ attestiert, und natürlich das Sterben der dort ansässigen Gewerbe.

Fakten scheinen dabei keinerlei Rolle zu spielen, es geht um maximale Aufregung, um maximale Darstellung eigener Interessen. Wenige scheinen in der Diskussion das Gesamtbild wahrnehmen zu wollen.

Fakt ist, der Marktplatz ist nicht nur ein Platz, der Marktplatz gehört ganzjährig zum Schulweg dutzender Grundschulkinder. Ja, das war er früher auch, aber früher hat man Kinder aus einem Fahrzeug noch gesehen. Kritiker dieser Aussage dürfen gerne mal einen 2er Golf mit dem heutigen, beliebten Tiguan vergleichen.

Fakt ist, dass eine Öffnung des Marktplatzes mit markierten Parkplätzen schon mal spektakulär gescheitert ist. Man darf sich gerne mal umschauen, wenn die Zufahrt aufgrund von Veranstaltungen auch nur ein paar Tage geöffnet wird.

Sofort wird der Platz zum Parken genutzt, so geschehen nach der diesjährigen Rathauserstürmung, als Beispiel. Wer glaubt, dass dies nun, in der aktuellen gesellschaftlichen Lage besser wäre, geht wohl mit Scheuklappen durch die Welt.

Fakt ist, dass im Schlossgraben nicht mehr oder weniger „chaotisch“ geparkt wird wie im Rest der Innenstadt. Vielleicht fällt einem das nur auf, wenn man zu Fuß durch die Stadt läuft. Behindertenparkplätze werden regelmäßig zu geparkt.

Die Markierungen in der Jahnstraße scheinen nur gut gemeinte Vorschläge zu sein. Bürgersteige in der Brückenstraße werden auch mal gerne zugestellt. Menschen in Rollstühlen, und Familien mit Kinderwägen haben das Nachsehen.

Das Problem ist in der ganzen Innenstadt zu beobachten. Parkplätze sind mehr als genug vorhanden, aber die Leute wollen nun mal direkt vor dem Geschäft parken.

Ein Buch aus dem Buchkabinett? Ein Bettbezug von ‚Das Bett‘? Briefumschläge vom Eichenhofer? Alles Waren die anscheinend nicht die paar Meter zum Großparkplatz geschleppt werden können. Hat aber nun mal nix mit dem Marktplatz zu tun.

Fakt ist, dass der Marktplatz eben nicht zur Einöde geworden ist. Bei schönem Wetter ist dort am Wochenende immer etwas los. Kinder spielen Fußball, Besucher*innen schlecken Eis, Einheimische sitzen auf den Bänken mit einem Glas Wein (hier bin ich übrigens Wiederholungstäter). Ja, bei Kälte und Regen ist nicht viel los, aber das geht auch unserer touristisch beliebten Nachbarstadt so.

Fakt ist, dass ich als regelmäßiger Fußgänger durch die Bahnstraße und über den Marktplatz nicht erkennen kann, dass Geschäfte oder Gastronomen (die ich teilweise dort stark frequentiere) „reihenweise“ schließen müssen. Die Lokalität ist anscheinend noch immer beliebt genug, dass ein weiteres Geschäft in die Bahnstraße eingezogen ist.

Ja, man kann und sollte über alles sprechen. Gerade während einer Bürgermeisterwahl. Aber vielleicht sollte man ein wenig über den Tellerrand der eigenen Straße schauen. Und vielleicht sollte man ebenfalls wichtige Entscheidungen nicht emotional, sondern unter Berücksichtigung von Fakten diskutieren.

Stefan Uhrig
64711 Erbach