NĂ€he beruhigt

Balkonseelsorge. Wenn jemand unter QuarantĂ€ne steht, kommt der Ăkumenische Hospizverein Vorderer Odenwald trotzdem - hier Koordinatorin BĂ€rbel Fischer. Foto: Ăkumenischer Hospizverein Vorderer Odenwald.
ODENWALD. - Die Corona-Pandemie fordert Distanz statt NĂ€he: Doch gerade in der Sterbe- und Trauerbegleitung ist das extrem schwierig.
Wochenlang galt in KrankenhĂ€usern, Alten- und Pflegeheimen Besuchsverbot, um die alten Menschen und die Patienten vor einer Ansteckung mit dem Corona-Virus zu schĂŒtzen.
Die Seelsorge ist von Anfang an ausgenommen. So können die Mitarbeitenden des Ăkumenischen Hospizvereins Vorderer Odenwald, in dem das Evangelische Dekanat Vorderer Odenwald Mitglied ist, die schwerstkranken oder sterbenden Menschen dort oder zu Hause weiter begleiten.
Notfalls vom Balkon aus â wie geschehen, nachdem eine Frau, die vom Krankenhaus zurĂŒck ins Pflegeheim gekommen war, unter QuarantĂ€ne stand.
Den Hospizdienst anrufen kostet Ăberwindung
Die Corona-Pandemie hat auch die AblĂ€ufe im Ăkumenischen Hospizverein verĂ€ndert. Die Hauptamtlichen arbeiten in zwei Zweierteams abwechselnd zu Hause und im BĂŒro, âdamit im Falle einer Infektion nicht das komplette Team arbeitsunfĂ€hig wirdâ, sagt Koordinatorin Agnes Thorn.
Vor allem die Hauptamtlichen sind derzeit bei den Begleitungen im Einsatz, da viele der ehrenamtlichen Hospizhelferinnen und -helfer selbst einer Risikogruppe angehören.
Die Ehrenamtlichen bieten dafĂŒr neuerdings eine Art Telefonseelsorge fĂŒr alle Angehörigen von schwerstkranken oder sterbenden Menschen an. Eine entsprechende Information wurde an die Pflegeheime gegeben. Aber die Nachfrage hĂ€lt sich bislang in Grenzen.
âDen Hospizdienst anzurufen, sich einzugestehen, dass jemand stirbt, kostet immer Ăberwindungâ, weiĂ Agnes Thorn aus Erfahrung.
BerĂŒhrungen sind wesentlicher Bestandteil der Sterbebegleitung. Die Hand halten oder eine Hand auf die Schulter legen, schmĂ€lert die Angst. âNĂ€he beruhigtâ, sagt Agnes Thorn, âSterbebegleitung mit Abstand ist fĂŒrchterlich schwierig.â
Allein dass jemand im Raum ist, tut gut. Agnes Thorn hilft sich auĂerdem mit kleinen Ritualen. Von den Handschmeichlern aus weichem Holz in Herzform hat sie immer welche dabei â âzum Festhaltenâ.
Manches erwĂ€chst auch aus der Situation. KĂŒrzlich hat sie mit einem Mann zum Abschied einen Prosecco getrunken, so hatten sie es mal verabredet. Wenige Tage spĂ€ter ist er gestorben.
Ein schönes Ritual ist auch, dass die Hospizhelferinnen und -helfer bei ihren Begleittreffen, die derzeit coronabedingt als Videokonferenzen stattfinden, fĂŒr jeden Verstorbenen eine Kerze anzĂŒnden und eine kleine Erinnerung erzĂ€hlen, die sie mit dem- oder derjenigen verbinden.
Die wird auch in das Erinnerungsbuch eingeklebt. Das sei WertschĂ€tzung fĂŒr die Hospizhelferinnen und -helfer und Möglichkeit des Abschiednehmens nach einer intensiven Begleitung, sagt Agnes Thorn.
Die Kraft der Rituale in der Trauer
Was aber ist, wenn Angehörige nicht Abschied nehmen können, weil sie wegen der Corona-BeschrÀnkungen nicht zu dem oder der Sterbenden gelassen wurden?
âMenschen, die sich nicht verabschieden konnten, können in ihrer Trauer nur schwer vorankommen, weil ihnen das endgĂŒltige Abschiednehmen dauerhaft fehlen wirdâ, sagt Trauerbegleiterin Heidi Naumann.
Die Reinheimerin engagiert sich seit 15 Jahren ehrenamtlich als Trauerbegleiterin im Ăkumenischen Hospizverein Vorderer Odenwald. Die Trauer verlaufe nicht linear, eher spiralförmig in verschiedenen Phasen, die sich immer wieder ĂŒberschneiden könnten. Bleibe der trauernde Mensch in einer Trauerphase stecken, erschwere das die Trauer und könne sie verlĂ€ngern.
Trauer braucht Zeit. Die Hinterbliebenen, die sich nicht verabschieden konnten, wĂŒrden immer wieder von ihrer Trauer eingeholt, der Schmerz sei stets prĂ€sent, sie erlebten SchuldgefĂŒhle, fĂŒhlten sich hilflos.
âDie Menschen brauchen dann ein Ritual, um den Verlust besser bewĂ€ltigen zu könnenâ, sagt Heidi Naumann. âRituale helfen sehr gut, weil sich der oder die Trauernde in eine spirituelle Handlung vertiefen kann.â
Die Betroffenen könnten etwa einen Brief an den Verstorbenen schreiben und ihm schildern, warum sie nicht kommen konnten, fĂŒr ihn etwas malen oder Abschiedsgeschenke gestalten, und den Brief oder das Bild verbrennen oder ins Grab geben, sagt Heidi Naumann. Das vermittle das GefĂŒhl einer Verwandlung, auch energetisch.
Info
Der Ăkumenische Hospizverein Vorderer Odenwald mit Sitz in GroĂ-Umstadt ist erreichbar unter Telefon 06078/759047, Mail: kontakt(at)hospizverein-vorderer-odenwald.de.
Dort sind circa 50 Hospizhelferinnen und -helfer sowie elf ehrenamtliche Trauerbegleiterinnen und ein -begleiter im Einsatz (sechs fĂŒr Kinder und Jugendliche) sowie die vier hauptamtlichen Koordinatorinnen, die Palliativberatung und UnterstĂŒtzung anbieten.
Die Angebote sind kostenfrei und unabhĂ€ngig von Konfession und Weltanschauung. Das Trauertelefon ist erreichbar unter 0175/5452177. Es ist möglich, im Ăkumenischen Hospizverein Vorderer Odenwald Mitglied zu werden. Internet: www.hospizverein-vorderer-odenwald.de