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Hinter Zahlen steht so viel gelebtes Leben

Ohne Begeisterung geht es nicht: Heidi Banse mit Michelstädter Kirchenbüchern. Foto: Bernhard Bergmann

MICHELSTADT. - Kirchenbücher: mitnichten nur nüchterne Verzeichnisse. Denn hinter Daten und Zahlen verbirgt sich gelebtes Leben, oder, wie der Schriftsteller Adalbert Stifter einst schrieb, „ein unfassbares Maß von Liebe und Schmerz“.

Natürlich, festgehalten sind vor allem die markanten Stationen im Leben: Taufen, Konfirmationen, Eheschließungen, Sterbefälle und Beerdigungen, vor Jahrhunderten penibel aufgezeichnet mit Datum und zugehörigen Bibelversen.

Manche Pfarrer haben aber auch zusätzliche Angaben gemacht, und die lassen etwas von dem ahnen, was Stifter meinte, so etwa, wenn vor einigen hundert Jahren vermerkt wird, dass bei einem Hausbrand auch zwei kleine Kinder ums Leben gekommen sind.

Diesen Verzeichnissen verschrieben hat sich die Michelstädterin Heidi Banse. Sie stellt aus den Kirchenbüchern der evangelischen Stadtkirchengemeinde, die im Jahr 1623 beginnen, in mühevoller Kleinarbeit die Familien zusammen, recherchiert etwa aus den Namen von Täuflingen deren Eltern und findet später wieder die Eintragung über Eheschließungen, worauf eine neue Generation folgt.

So entstehen Familienbücher – 9.500 Familien mit insgesamt 30.000 Personen hat Banse aus mehr als 60.000 Kirchenbücher-Seiten für Michelstadt zusammengestellt. Und die Früchte dieser Arbeit kann man digital abfragen, weltweit, was auch gerne getan wird.

Weit über 90.000 Zugriffe verzeichnet etwa die Datenbank „Archion“, bei der sich alle evangelischen Kirchen in Deutschland zusammengeschlossen haben und Daten ihrer Kirchenbücher einpflegen – wenn es denn, wie in Michelstadt, Menschen wie Heidi Banse gibt, welche sich dieser Mühe unterziehen.

Die 71-Jährige ist weder Archivarin noch Historikerin. Sie hat eine Ausbildung bei einem Kreditinstitut absolviert und dort auch gearbeitet. Ein familiärer Schicksalsschlag brachte ihr Leben vor etwa 25 Jahren auf eine andere Spur. In das Lesen der alten Handschriften hat sie sich eingearbeitet.

Ihre Leidenschaft für die Aufarbeitung von Geschichte zeigt sich auch in der jährlichen Herausgabe von „Vor 100 Jahren – Aus dem Centralanzeiger für den Odenwald“, in der sie jeweils eine Auswahl zusammenstellt, kurzweilig und manchmal sogar spannend zu lesen und so gesehen weit mehr als „Schnee von gestern“. Und sie hat familiengeschichtliche Vorträge gehalten, die gesammelt auch als Buch erschienen sind.

Abfragen kann man bei Archion (kostenpflichtig) oder auch bei online-ofb.de bis 1875 und früher. Was später folgt, fällt unter den Datenschutz, das wird dann irgendwann in der Zukunft einmal zugänglich sein. – Auf katholischer Seite heißt die „Archion“ entsprechende Sammlung übrigens „Matricula“.

Wichtig ist Heidi Banse zu betonen, dass es ungezählte andere Menschen gibt, gerade auch im Odenwald, aber auch weit darüber hinaus, die so wie sie diese Arbeit leisten, ehrenamtlich, einfach aus Leidenschaft und Interesse und dem Wunsch, anderen Menschen bei der Suche nach ihren Wurzeln zu helfen.

Sie selbst möchte sich da keinesfalls in den Vordergrund gestellt sehen, sondern stellvertretend für alle, die hier mit Fleiß, Ausdauer und einer gehörigen Portion Begeisterung am Werk sind.

Ihre Erfahrung: „Früher waren es ein paar alte Männer, die sich für Familiengeschichte interessiert haben.“ Das hat sich längst geändert.

Viele, gerade auch jüngere Menschen aus nah und fern, nicht selten aus Übersee, suchen nach Spuren ihrer Vorfahren in der Alten Welt und werden dank der Arbeit von Banse und ihren Kolleginnen und Kollegen fündig. Und immer wieder bekommt sie dann auch dankbare Rückmeldungen. „Es lohnt sich“, sagt sie dazu.

Sozusagen nebenbei hat Heidi Banse auch herausgefunden, dass der Schweizer Reformator Huldrych Zwingli (1484-1531), ein Luther-Zeitgenosse, unter ihren Vorfahren ist. Heute heiĂźen die im Odenwald lebenden Nachfahren, die den Namen fortfĂĽhren, Zwingler.