Prozess zur Standortmarketing-Affäre: Wer lesen kann, ist klar im Vorteil
Odenwaldkreis: Wichtige Fakten zum Prozess gegen Ex-Landrat Dietrich Kübler lassen sich auch dem Kreistagsprotokoll entnehmenODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Wer lesen kann, ist klar im Vorteil. Dieser Sinnspruch wird dem Wirtschaftsbuchautor und Unternehmensberater Edgar K. Geffroy zugeschrieben. Der komplette Satz endet mit der Erkenntnis „aber nur wer das Gelesene auch versteht, kann es zu seinem Vorteil nutzen.“
Wer den Prozess gegen den früheren Odenwälder Landrat Dietrich Kübler vor dem Michelstädter Schöffengericht intensiv verfolgt, erinnert sich unwillkürlich an diesen Merksatz. Seit drei Verhandlungstagen werden Fragen aufgeworfen, die allein durch Aktenstudium beantwortet werden können. Die hier angesprochenen Dokumente sind im Internet jedermann frei zugänglich.
Die Unwahrheiten in der Affäre um das geplante Odenwälder Standortmarketing begannen in der Kreistagssitzung am 24. Juni 2013. Kurz zuvor hatten eine Presseagentur und FACT erstmals auf Unregelmäßigkeiten bei der Bieterauswahl und Auftragsvergabe des Projekts aufmerksam gemacht.
Das offizielle Protokoll vermerkt den Beitrag des Landrats Dietrich Kübler, der ausgeführt habe: Die Berichterstattung zum Standortmarketing gehe zurück auf Spekulationen eines einzelnen Journalisten, die jeglicher Grundlage entbehrten.
ÃœWG-Fraktionsvorsitzender Ruhr bedauert daraufhin, dass man sich mittlerweile weit von Anfragen zu vorliegenden Themen oder Mitteilungen entfernt habe. Gleichwohl nehme man die Gelegenheit wahr um klar zu stellen, dass die im Bericht zum Standortmarketing des Pressedienstes und FACT gemachten Aussagen zur ÃœWG-Fraktion nicht der Wahrheit entsprechen.
Der Fortgang der Affäre ist bekannt. Der Landrat musste vor dem Kreistag zugeben, dass er gelogen hatte, und mehrere Parteien formulierten eine Rücktrittsforderung für den Landrat. Der inzwischen wegen genau der damals von FACT formulierten Vorwürfe vor Gericht steht.
Im Verfahren geht es um die Frage, ob dem Kreisausschuss vor dessen Entscheidung für eine umstrittene Werbeagentur verschiedene Warnschreiben des Rechtsamts des Landratsamts vorgelegen haben oder nicht. Fast alle Zeugen verneinten die eindringliche Frage des Vorsitzenden Richters, nur einer erinnert sich angeblich genau, zwei der Warnhinweise vorab erhalten zu haben.
Was sagt nun das Protokoll des Kreistags von der Sitzung am 24. Februar 2014 zu der Fragestellung:
„Abgeordneter Giebenhain fragt an, ob dem Kreisausschuss die Schreiben des Rechtsamtes zu den genannten Sitzungen vorlagen und ob es mündliche Informationen im Kreisausschuss zu diesen Schreiben gab? Er gehe davon aus, dass es bei diesen elementaren Fragen unterschiedliche Meinungen im Kreisausschuss gebe…..
… Landrat Kübler teilt mit, die Schreiben des Rechtsamtes lagen dem Kreisausschuss nicht schriftlich vor.“
Damit ist eine der entscheidenden Fragen im Prozess durch das offizielle Kreistagsprotokoll beantwortet. Und mindestens einer der Zeugen muss sich fragen lassen, ob und aus welchem Grund er sich gegebenenfalls unrichtig erinnert und auch bei scharfer Nachfrage durch Richter und Staatsanwältin bei seiner Aussage blieb.
Denn auch im eingesetzten Akteneinsichtsausschuss (AEA), während der zweiten Sitzung am 15. Januar 2014, wurde nach Presseprotokollen vom Vorsitzenden Günter Verst festgestellt: „Jedenfalls haben auch die relativierenden Schreiben des Rechtsamts (Anmerkung der Redaktion: bei der entscheidenden Kreisausschusssitzung zur Auftragsvergabe am 10.2.2012) nicht vorgelegen. Sie haben erstens nicht vorgelegen, aber wenn Kumpf das alles mündlich vorgetragen haben will, es fehlt alles im Protokoll völlig.“
Eine zweite, ebenso entscheidende, Frage betrifft eine angebliche Tischvorlage, die auf die Warnhinweise des Rechtsamts deutlich hingewiesen haben soll. Keiner der bisherigen Zeugen kann sich an diese Tischvorlage, auch als „Gutachten“ bezeichnet, erinnern, sie wird aber im angefertigten Protokoll erwähnt.
Laut Presseprotokoll der zweiten Sitzung des Akteneinsichtsausschusses am 15.01.2014 erklärt der Hauptabteilungsleiter Oliver Kumpf auf den Vorhalt des AEA-Vorsitzenden Verst, „es fehle alles im Protokoll (s.o.)“, sein „Gutachten“ habe er erst nach der Sitzung vom 10.02.2012 verfasst, nachdem er mehrfach gefragt worden sei.
Vieles spricht nun dafür, dass in dem jetzt durch das Landratsamt vorgelegten Protokoll der Kreisausschusssitzung vom 10. Februar 2012 durch die enthaltene Angabe „Tischvorlage“ (die selbst übrigens fehlte) der Eindruck erweckt werden sollte, diese Tischvorlage „Gutachten Kumpf“ habe den Kreisausschussmitgliedern vor oder während ihrer entscheidenden Sitzung vorgelegen. Allenfalls kann es sich dabei um eine nachträgliche sehr fragwürdige Veränderung des Protokolls handeln.
Presseprotokolle liegen naturgemäß nicht der Öffentlichkeit vor, wenn jedoch von jeder Kreistagssitzung Tonbandprotokolle und Mitschriften existieren, werden sich höchstwahrscheinlich auch von Akteneinsichtsausschüssen Protokolle und Mitschnitte finden lassen.
Damit wären entscheidende Fragen des Gerichts geklärt. Und es beweist sich wieder einmal: Lesen bildet.