Phantasie contra Physik
Unterhaltsam und nachdenklich: Sechsmal Wissenschaft beim Science Slam OdenwaldODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Die Gesetze der Physik gelten ĂŒberall â nur nicht in Hollywood.
Distanzen werden spielend leicht ĂŒberwunden, die Wucht von ZusammenstöĂen wird ĂŒbertrieben und der menschliche Körper hĂ€lt unermessliche KrĂ€fte aus, die an ihm zerren.
Alles kein Problem fĂŒr die Macher von âFluch der Karibikâ, âIce Ageâ und âSpidermanâ.
Es macht SpaĂ, sich beim Science Slam Odenwald die vom Frankfurter Physiker Sascha Vogel ausgewĂ€hlten Sequenzen einmal mit seinem Blick anzuschauen.
Vogel hat die passenden Formeln parat und schildert unterhaltsam, dass nicht sein kann, was die Filme zeigen, und weckt so das Interesse fĂŒr physikalische Prinzipien.
Rund 150 Zuschauerinnen und Zuschauer waren am Sonntagabend (3. Juli) auf den ehemaligen Ponyhof nach Michelstadt gekommen, um sechs Slammern zuzuhören.
Am Ende hatte Sascha Vogel fĂŒr seinen Vortrag den meisten Applaus bekommen und gewann den ersten Preis, eine eigens gestaltete Figur der Berufsfachschule fĂŒr das Holz und Elfenbein verarbeitende Handwerk am Beruflichen Schulzentrum Odenwaldkreis (BSO).
Veranstaltet wird der Science Slam Odenwald von der Odenwald-Akademie. Dass das BSO den Preis stiftet und er in der Berufsfachschule gestaltet wird, hat schon Tradition. Genauso wie die fundierte und gleichermaĂen kurzweilige Wissenschafts-Show selbst. So kann
RĂŒdiger Holschuh, Vorsitzender des Akademie-Fördervereins, zu Beginn die GĂ€ste bereits zum siebten Science Slam Odenwald begrĂŒĂen, âohne dass wir wegen Corona eine Pause machen musstenâ.
Auch dank der Tatsache, dass der Slam nun schon zum zweiten Mal im Freien stattfand. Dieses Mal zusammen mit Sound of the Forest. âWir freuen uns, dass wieder viele Menschen gekommen sind, um zu hören, was junge Wissenschaftler beschĂ€ftigtâ, sagt Raquel Jarillo von der Odenwald-Akademie, kurz bevor es losgeht. âGenau das möchten wir: Lust auf Wissenschaft machen.â
Das gelingt an diesem vom Science-Slam-Erfinder Alex Dreppec souverÀn moderierten und musikalisch von Hans Schroll geprÀgten Abend perfekt, zumal unterschiedliche Disziplinen vertreten sind.
Thorsten Conrad, der zweite Physik-Slammer, macht den Auftakt und spricht ĂŒber die (Un-)Möglichkeit weiterer Zivilisationen im Weltall. Ob es woanders Leben gebe oder nicht, Conrads Fazit ist: âDas Universum ist sehr schön und wartet darauf entdeckt zu werden.â
Der Altenpfleger Uli Pflug wirft einen nachdenklich-kritischen Blick auf den âGesundheitszustandâ Deutschlands, dessen BĂŒrgerinnen und BĂŒrger immer mehr Lasten trĂŒgen. Pflug mahnt dringend Reformen an.
Neurodegenerative Erkrankungen und Mittel, sich geistig fit zu halten (zum Beispiel Jonglieren), stehen im Mittelpunkt des Vortrags von Wiebke Schick; die Neurowissenschaftlerin wurde am Ende die Zweitplatzierte des Abends.
Ihr anschaulichstes Beispiel fĂŒr die Formbarkeit des Gehirns sind Taxifahrer in London: Sie mĂŒssen sich alle StraĂennamen und SehenswĂŒrdigkeiten merken. Es lasse sich nachweisen, dass sich durch das Auswendiglernen das entsprechende Hirnareal positiv verĂ€ndere, so Schick.
Wie bunt im Mittelalter das Treiben auf Friedhöfen war, berichtet Fabian Oberfahrenhorst. Auch wenn es auf heutigen Friedhöfen nicht vorstellbar sei, dass dort gegessen, gefeiert oder Gericht gehalten werde, habe das Mittelalter doch eine Lehre fĂŒr uns, resĂŒmiert der Historiker: âWir sollten den Tod nicht verdrĂ€ngen, keiner von uns will alleine sterben.â
Die gekonnte Mischung aus lebendiger Darbietung und ernster Botschaft zeichnet auch den Vortag von Gerrit Lungershausen aus, der fĂŒr seine Dissertation 188 Romane aus der NS-Zeit ĂŒber den Ersten Weltkrieg untersuchte.
Der Literaturwissenschaftler gewĂ€hrt Einblicke in die Sprache jener Werke, die âsoldatische Werteâ hochhielten, und sagt, âdass 20 Prozent der Leser jener Romane Kinder warenâ.
Das macht das Publikum genauso nachdenklich wie seine Bemerkung, dass der Krieg in der Ukraine in russischen Kriegsromanen der letzten zehn Jahre quasi vorgezeichnet gewesen sei.
Am Ende hat Sascha Vogel in der Publikumsgunst die Nase vorn. Gemeinsam mit RĂŒdiger Holschuh und BSO-Schulleiter Wilfried Schulz ĂŒberreicht Louis Corrigan dem Physiker den Preis: eine kleine, phantasievolle Figur aus einem Knochen mit einem Bernstein.
Corrigan ist im dritten Lehrjahr an der Berufsfachschule fĂŒr das Holz und Elfenbein verarbeitende Handwerk und hat das Unikat gemeinsam mit seiner MitschĂŒlerin Elisabetta Feher geschaffen.
Einen witzigen Namen hat die Figur im Publikum auch schon bekommen: âScience Heinzâ. An diesem Abend sind nicht nur die Slammer einfallsreich.