NEWS

Phantasie contra Physik

PreistrĂ€ger: Der Physiker Sascha Vogel gewinnt den Science Slam Odenwald und hĂ€lt den von Louis Corrigan (zweiter von links) gestalteten Preis in den HĂ€nden. Mit Vogel freuen sich auch Wilfried Schulz, Schulleiter des Beruflichen Schulzentrums Odenwaldkreis (zweiter von rechts), das den Preis stiftet, sowie RĂŒdiger Holschuh und Raquel Jarillo von der Odenwald-Akademie, die den Science Slam veranstaltet.

Der Preis: eine Figur aus einem Knochen, ergĂ€nzt um einen Bernstein. Geschaffen wurde sie von Louis Corrigan und Elisabetta Feher von der Berufsfachschule fĂŒr das Holz und Elfenbein verarbeitende Handwerk am Beruflichen Schulzentrum Odenwaldkreis.

Interessiertes Publikum: Gut 150 Menschen sind auf den „Spielplatz der Kulturen“, den ehemaligen Ponyhof in Michelstadt, zum diesjĂ€hrigen Science Slam Odenwald gekommen. Fotos: Stefan Toepfer/Kreisverwaltung

Unterhaltsam und nachdenklich: Sechsmal Wissenschaft beim Science Slam Odenwald

ODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Die Gesetze der Physik gelten ĂŒberall – nur nicht in Hollywood.

Distanzen werden spielend leicht ĂŒberwunden, die Wucht von ZusammenstĂ¶ĂŸen wird ĂŒbertrieben und der menschliche Körper hĂ€lt unermessliche KrĂ€fte aus, die an ihm zerren.

Alles kein Problem fĂŒr die Macher von „Fluch der Karibik“, „Ice Age“ und „Spiderman“.

Es macht Spaß, sich beim Science Slam Odenwald die vom Frankfurter Physiker Sascha Vogel ausgewĂ€hlten Sequenzen einmal mit seinem Blick anzuschauen.

Vogel hat die passenden Formeln parat und schildert unterhaltsam, dass nicht sein kann, was die Filme zeigen, und weckt so das Interesse fĂŒr physikalische Prinzipien.

Rund 150 Zuschauerinnen und Zuschauer waren am Sonntagabend (3. Juli) auf den ehemaligen Ponyhof nach Michelstadt gekommen, um sechs Slammern zuzuhören.

Am Ende hatte Sascha Vogel fĂŒr seinen Vortrag den meisten Applaus bekommen und gewann den ersten Preis, eine eigens gestaltete Figur der Berufsfachschule fĂŒr das Holz und Elfenbein verarbeitende Handwerk am Beruflichen Schulzentrum Odenwaldkreis (BSO).

Veranstaltet wird der Science Slam Odenwald von der Odenwald-Akademie. Dass das BSO den Preis stiftet und er in der Berufsfachschule gestaltet wird, hat schon Tradition. Genauso wie die fundierte und gleichermaßen kurzweilige Wissenschafts-Show selbst. So kann

RĂŒdiger Holschuh, Vorsitzender des Akademie-Fördervereins, zu Beginn die GĂ€ste bereits zum siebten Science Slam Odenwald begrĂŒĂŸen, „ohne dass wir wegen Corona eine Pause machen mussten“.

Auch dank der Tatsache, dass der Slam nun schon zum zweiten Mal im Freien stattfand. Dieses Mal zusammen mit Sound of the Forest. „Wir freuen uns, dass wieder viele Menschen gekommen sind, um zu hören, was junge Wissenschaftler beschĂ€ftigt“, sagt Raquel Jarillo von der Odenwald-Akademie, kurz bevor es losgeht. „Genau das möchten wir: Lust auf Wissenschaft machen.“

Das gelingt an diesem vom Science-Slam-Erfinder Alex Dreppec souverÀn moderierten und musikalisch von Hans Schroll geprÀgten Abend perfekt, zumal unterschiedliche Disziplinen vertreten sind.

Thorsten Conrad, der zweite Physik-Slammer, macht den Auftakt und spricht ĂŒber die (Un-)Möglichkeit weiterer Zivilisationen im Weltall. Ob es woanders Leben gebe oder nicht, Conrads Fazit ist: „Das Universum ist sehr schön und wartet darauf entdeckt zu werden.“

Der Altenpfleger Uli Pflug wirft einen nachdenklich-kritischen Blick auf den „Gesundheitszustand“ Deutschlands, dessen BĂŒrgerinnen und BĂŒrger immer mehr Lasten trĂŒgen. Pflug mahnt dringend Reformen an.

Neurodegenerative Erkrankungen und Mittel, sich geistig fit zu halten (zum Beispiel Jonglieren), stehen im Mittelpunkt des Vortrags von Wiebke Schick; die Neurowissenschaftlerin wurde am Ende die Zweitplatzierte des Abends.

Ihr anschaulichstes Beispiel fĂŒr die Formbarkeit des Gehirns sind Taxifahrer in London: Sie mĂŒssen sich alle Straßennamen und SehenswĂŒrdigkeiten merken. Es lasse sich nachweisen, dass sich durch das Auswendiglernen das entsprechende Hirnareal positiv verĂ€ndere, so Schick.

Wie bunt im Mittelalter das Treiben auf Friedhöfen war, berichtet Fabian Oberfahrenhorst. Auch wenn es auf heutigen Friedhöfen nicht vorstellbar sei, dass dort gegessen, gefeiert oder Gericht gehalten werde, habe das Mittelalter doch eine Lehre fĂŒr uns, resĂŒmiert der Historiker: „Wir sollten den Tod nicht verdrĂ€ngen, keiner von uns will alleine sterben.“

Die gekonnte Mischung aus lebendiger Darbietung und ernster Botschaft zeichnet auch den Vortag von Gerrit Lungershausen aus, der fĂŒr seine Dissertation 188 Romane aus der NS-Zeit ĂŒber den Ersten Weltkrieg untersuchte.

Der Literaturwissenschaftler gewĂ€hrt Einblicke in die Sprache jener Werke, die „soldatische Werte“ hochhielten, und sagt, „dass 20 Prozent der Leser jener Romane Kinder waren“.

Das macht das Publikum genauso nachdenklich wie seine Bemerkung, dass der Krieg in der Ukraine in russischen Kriegsromanen der letzten zehn Jahre quasi vorgezeichnet gewesen sei.

Am Ende hat Sascha Vogel in der Publikumsgunst die Nase vorn. Gemeinsam mit RĂŒdiger Holschuh und BSO-Schulleiter Wilfried Schulz ĂŒberreicht Louis Corrigan dem Physiker den Preis: eine kleine, phantasievolle Figur aus einem Knochen mit einem Bernstein.

Corrigan ist im dritten Lehrjahr an der Berufsfachschule fĂŒr das Holz und Elfenbein verarbeitende Handwerk und hat das Unikat gemeinsam mit seiner MitschĂŒlerin Elisabetta Feher geschaffen.

Einen witzigen Namen hat die Figur im Publikum auch schon bekommen: „Science Heinz“. An diesem Abend sind nicht nur die Slammer einfallsreich.