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Zeitgeschichte unter dem Siegelstempel

Seit mehr als dreißig Jahren sammelt Wendelin Erb Petschaften. Nahezu eintausend dieser Siegelstempel hat er auf Antik- und Flohmärkten zusammengetragen.

Sein ältestes Exemplar stammt aus dem 13. Jahrhundert und wurde 1985 von einem Detektor-Metall-Sammler in der Nähe des Lorscher Klosters gefunden. Foto: Ernst Schmerker

Wendelin Erb sammelt historische Petschaften

MICHELSTADT. - Wendelin Erb stammt aus Weidenthal in der Pfalz. Er erlernte den Beruf eines Färberei-technikers und kam nach beruflichen Zwischenstationen in Hirschhorn 1989 nach Michelstadt, wo er sich mit der Übernahme der heute vom Sohn am Wiesenweg geführten Wäscherei selbständig machte.

Zwar gehört der Gelderwerb für ihn der Vergangenheit an, doch ein vor mehr als dreißig Jahren begonnenes Hobby pflegt der rüstige Senior noch immer mit Hingabe. Er sammelt Petschaften und Siegel und verschafft sich auf diese Weise profunde Erkenntnisse über lange Zeitepochen hinweg.

Denn Siegelungen wurden nicht nur von Päpsten, Bischöfen, Kaisern und Königen zur Sicherung von schriftlichen Botschaften benutzt, auch heute noch wird die Echtheit einer Beurkundung oft mit einem amtlichen Siegel nachgewiesen. Gängig sind sie bei Gerichten, Notaren, dem Zoll und der Polizei.

Bei der Verwendung eines Petschaft gibt es kein Stempelkissen. Das Petschaft selbst besteht aus hartem Material, in das ein Siegel eingraviert ist. Es wird in eine zuvor aufgetragene weiche Masse aus Wachs gedrückt und hinterlässt dort einen erhabenen Abdruck des Siegels.

In früheren Jahren wurden sie häufig sogar in kleiner Form als Schmuckstück an der Taschenuhrkette oder als Fingerring mit gravierter Stempelfläche und eingelassenem Halbedelstein getragen.

An nahezu eintausend Unikaten erfreut sich Sammler Erb heute in einem eigens eingerichteten Raum im Wohnhaus an der Martin-Luther-Straße 10.

Als er 1986 bei der Eröffnung des Museums Langbeil in Hirschhorn von einem Bekannten auf einen fein ziselierten Siegelstempel hingewiesen wurde, war er von der Formgebung und der Gravur des Metalls begeistert.

Denn die gelegentlich nur mit der Lupe sichtbaren Linien werden nicht geschnitten, sondern über eine weiche Unterlage mit Hammer und Punzen getrieben oder gedrückt, so dass reliefplastische Formen entstehen, die ähnlich aussehen wie Abgüsse von negativen Hohlschnitten, jedoch mit weicheren Kanten.

Von nun an besuchte der Sammler Floh- und Antikmärkte nicht nur in ganz Deutschland auf der Jagd nach den kleinen Kostbarkeiten. Sein ältestes Exemplar stammt aus dem 13. Jahrhundert und wurde 1985 von einem Detektor-Metall-Sammler in der Nähe des Lorscher Klosters gefunden.

Ferdinand I., von 1558 bis 1564 Kaiser des Heiligen Römischen Reiches, ist ebenso vertreten wie Papst Innocent XI. (1611-1689) oder der englische König George VI., der den Siegelstempel 1937 einem Freund schenkte.

Genauso interessant gestaltet wie die Druckfläche sind oft auch die aus Metall, Holz, Elfenbein oder Perlmutt gestalteten Griffe. Ein Exemplar in Erbs Sammlung hat im Inneren des Griffes ein Schreib-Set mit einem verzierten Federhalter aus Elfenbein nebst einen abgedichteten Tintenbehälter versteckt, ein anderes aus dem asiatischen Raum einen Jahreskalender.

Alles hat bei Wendelin Erb in Vitrinen, Schrankfächern und Schubladen seinen festen Platz. Egal, ob es kirchliche Petschaften aus der Zeit der Kreuzzüge handelt, ob sie aus dem Mittelalter oder aus der Neuzeit sind, ob sie in gothischen Majuskeln geprägt sind oder Wappen auf Schmuckstücken darstellen.