Schüler der GAZ unternehmen eine Zeitreise in die DDR
REICHELSHEIM. - Alle 10. Klassen sowie die 9. Hauptschulklasse horchten gespannt Birgit Schlicke, einer ehemaligen Insassin des DDR-Gefängnisses Hoheneck.
Der Geschichtslehrer René Beck, der bereits mehrmals Zeitzeugen aus der ehemaligen DDR eingeladen hatte, begrüßte Schlicke zum ersten Mal an der Georg-August-Zinn-Schule Reichelsheim.
Schlickes Familie wollte seit 1985 die DDR verlassen und stellte mehrere Ausreiseanträge. Seitdem wurde die junge Frau massiv von Lehrern unter Druck gesetzt und bespitzelt.
Da sie sich nicht von ihrem Freiheitsgedanken abbringen lassen wollte, widerfuhr ihr ein Bildungsverbot.
Dennoch kämpfte der Vater weiter und schrieb mit der Hilfe seiner Tochter eine Petition an eine Menschenrechtsorganisation in der BRD, um ausreisen zu dürfen.
Dieses Schreiben wurde jedoch durch einen Stasi-Spitzel mitgelesen, woraufhin sowohl der Vater als auch die Tochter im März 1988 im Gefängnis landeten.
Birgit Schlicke las eindrucksvoll aus ihrem Buch „Gefangen im Stasiknast“, wie Verhöre der DDR-Geheimpolizei abliefen und welcher psychische Terror auf sie als 19jährige ausgeübt wurde.
Im zweiten Teil ihrer Ausführungen schilderte die DDR-Zeitzeugin den Alltag im Frauengefängnis Hoheneck, der von Angst und militärischem Drill geprägt war.
Als jüngste Insassin war sie mit Mörderinnen und Kriminellen in einer Zelle untergebracht, mit denen sie sich arrangieren musste. Täglich musste sie im Akkord 287 Bettbezüge nähen und hoffte auf Freikauf durch die BRD.
Nach dem Mauerfall wurde Schlicke aus dem Gefängnis entlassen und zog mit ihrer Familie nach Hessen. Anschließend holte sie ihr Abitur nach, studierte Amerikanistik und Politik und lebte ein Jahr in den USA.
Auf Rückfrage aus der Schülerschaft antwortete Schlicke, dass sie die Torturen im Gefängnis nur durch festen Willen und ihren Glauben bewältigt habe. Die Doppelstunde endete mit großem Applaus. Eine Schülerin schilderte später, dass sie erstmals einen tieferen Einblick in den Alltag der DDR bekommen habe.