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Offenbar weitere Akteure der Kessel-Connection im Fokus der Justiz

Sie werden am 20. Dezember nach guten Gründen suchen, die ihren Mandanten, den früheren Landrat des Odenwaldkreises Dietrich Kübler (2. von links), entlasten können: Die RechtsanwältInnen Andrea Combé, Georg Dürig und Martina Prechtl (von links nach rechts). Foto: © by -er-

Staatsanwältin Brigitte Lehmann erweiterte die Anklage gegen Dietrich Kübler kurzfristig auf „Untreue durch Unterlassen“ nach §13 StGB.

Der stets gut vorbereitete Vorsitzende Richter Helmut Schmied wird möglicherweise noch am 20. Dezember gemeinsam mit seinen beiden Schöffen ein Urteil fällen. Fotos: © by -pdh-

Der Vorsitzende Richter im Kübler-Strafprozess zur Standortmarketing-Affäre deutet Folgeprozesse an und lässt Antrag der Staatsanwaltschaft auf Klageerweiterung zur „Untreue durch Unterlassen“ zu

ODENWALDKREIS. - Der ursprünglich auf drei Termine fixierte Strafprozess wegen vermuteter Untreue im Amt gegen den früheren Landrat des Odenwaldkreises Dietrich Kübler (67, ÜWG) hat aktuell den elften und wohl auch letzten Prozesstag zur Beweisaufnahme passiert.

Und noch immer gab es unvorhersehbare Überraschungen. So bei der jüngsten Auflage, am Freitag, 1. Dezember, als der frühere OREG-Geschäftsführer Jürgen Walther erneut und nunmehr kurzfristig zum drittenmal in den Zeugenstand berufen worden war.

Bekanntlich soll der frühere Verwaltungschef im Erbacher Landratsamt und damalige Aufsichtsratsvorsitzende der Kreistochter Odenwald-Regionalgesellschaft mbH (OREG) während seiner Amtszeit in den Jahren 2011 und 2012 in der sogenannten Standortmarketing-Affäre der Firma seines Nachbarn und Wahlkampfmanagers Johannes Kessel einen lukrativen Auftrag im Gesamtvolumen von 275.800 Euro zugeschoben und dabei mehrere gravierende Vergaberichtlinien missachtet haben.

Damit sei dem Odenwaldkreis ein nominaler Schaden von knapp 100.000 Euro entstanden, befand die Staatsanwaltschaft Darmstadt nach umfangreichen Recherchen.

Der Gesamtschaden für den Kreis und dessen Töchter beläuft sich nach Insider-Schätzungen durch die Zusammenarbeit mit der Agentur Lebensform, deren Klagen sowie Gerichts- und Anwaltskosten jedoch auf knapp eine halbe Million Euro.

Angebotspreis ohne schriftliche Auftragserteilung um mehr als das Doppelte erhöht

Damit jedoch nicht genug: Das Angebot der Erbacher Firma Lebensform GmbH zur Erstellung eines Konzepts für einen neuen Standortmarketing-Auftritt des Odenwaldkreises war auf 81.000 Euro beziffert. Abgerechnet wurden bis Ende Oktober 2013 allerdings insgesamt 167.659 Euro, und damit mehr als der doppelte Angebotspreis, ohne dass dafür jemals eine exakte Auftragserteilung geschweige denn ein Vertrag vorlag.

Dabei wurde auch noch einmal deutlich, dass es zwei unterschiedliche Angebote mit unterschiedlichem Leistungsspektrum der Firma Lebensform zum selben Projekt gab. Während das Angebot an die OREG mit einem Kostenvolumen von 81.000 Euro angeboten worden war, enthielt ein zweites Angebot direkt an die Kreisverwaltung Mehrleistungen und war rund 60.000 Euro teurer.

Auftrag fernmündlich erteilt, Agenturinhaber verweigerte Vertragsangebot

Die Auftragserteilung war nach Dietrich Küblers früherem Bekunden vor den Gremien des Odenwaldkreises von ihm persönlich per Telefon erteilt worden, während sich der Agenturinhaber Johannes Kessel bei dessen früherer Aussage im Zeugenstand nicht mehr daran erinnern wollte, wer ihm den Auftrag fernmündlich erteilt habe.

Die Geschäftsführung der mit der administrativen Abwicklung des Projekts beauftragten OREG stand somit damals vor dem Problem ein mit EU-Mitteln gefördertes Projekt bezahlen zu sollen, für das man weder einen Auftrag erteilt hatte, noch eine sonstige vertragliche Grundlage in Händen hielt.

Der Agenturinhaber hatte auch ein mehrfach modifiziertes schriftliches Vertragsangebot stets abgelehnt (O-Ton Johannes Kessel bei dessen früherer Zeugenvernehmung: „Der vorgelegte Vertrag war mir zu allgemein, zu altbacken“) und hat dieses nicht unterschrieben (siehe FACT-Bericht unter: http://www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews).

Druck des Aufsichtsratsvorsitzenden zum Rechnungsausgleich

Ein schwieriges Problem also, mit dem sich der damalige OREG-Geschäftsführer Jürgen Walther auseinander zu setzen hatte. Folgerichtig weigerte sich der GmbH-Geschäftsführer zunächst die Lebensform-Rechnungen zu bezahlen, und sah sich deshalb einem permanenten Druck durch seinen Aufsichtsratsvorsitzenden Kübler ausgesetzt.

Er nahm den Rechnungsausgleich erst vor, als ihm sein Aufsichtsratsvorsitzender angesichts der Deadline zum Fördermittelabruf zunächst mit persönlichen Konsequenzen und später über seinen Büroleiter Oliver Kumpf eine entsprechende schriftliche Anweisung zur Zahlungspflicht erteilt und zur Einreichung der Rechnungen bei der für die Auszahlung der EU-Fördermittel zuständigen landeseigenen WI-Bank aufgefordert hatte.

Gutachten deckt nachträglich rechtmäßiges Handeln des OREG-Geschäftsführers

Dem OREG-Geschäftsführer wurde zum damaligen Zeitpunkt ebenso wie allen mit dem Projekt betrauten Kreisgremien insgesamt vier Gutachten des Kreisrechtsamts vorenthalten. Darin hatten die Juristen der Kreisverwaltung eindringlich vor einer Auftragsvergabe an Lebensform gewarnt. So wurde auch der damalige OREG-Geschäftsführer getäuscht und zum Fördermittelabruf gedrängt.

Jürgen Walther hatte zu einem späteren Zeitpunkt nach Rückfragen der WI-Bank rechtlichen Rat bei einer namhaften Münchener Kanzlei eingeholt und von dieser unter Termindruck an einem Wochenende einen Juristen zur Überprüfung der Rechtssituation nach Erbach geholt.

Vier Jahre alten Vorgang inhaltlich richtig dargestellt, zeitlich falsch eingeordnet

Diesen vier Jahre alten Vorgang hatte Walther bei einer früheren Zeugenbefragung jedoch zeitlich falsch zugeordnet und aus seiner Erinnerung heraus in den Herbst des Jahres 2013 platziert obwohl sich der Vorgang erst im Folgejahr abgespielt hatte, was bei der jüngsten Vernehmung jetzt aufgeklärt werden konnte.

Gleichwohl hatte ihm die Münchener Kanzlei die Rechtmäßigkeit des Rechnungsausgleichs aus dem Jahr 2013 nachträglich 2014 eindeutig attestiert, da die Agentur-Leistungen erbracht, wenn auch nicht von der OREG selbst beauftragt waren.

Möglicherweise weitere Beteiligte im Fokus der Justiz

Dieses Rechtsgutachten hatte Walther jetzt dabei. Aufhorchen ließ der Vorsitzende Richter Helmut Schmied, als der Zeuge das Gutachten dem Gericht zu den Akten überlassen wollte, mit einer Bemerkung mit möglicherweise weitreichender Wirkung: „Es wird Ihnen niemand zusichern können, dass das der letzte Prozess ist“, weshalb er es den Gerichtsassistenten lieber kopieren ließ.

Fraglich, ob der Richter mit dieser Andeutung nur auf die Ankündigung der Staatsanwältin Brigitte Lehmann abhob, die dem Hauptabteilungsleiter im Odenwälder Landratsamt bei dessen früherer Zeugenvernehmung bereits ein Ermittlungsverfahren angedroht hatte, oder er gar noch andere Beteiligte aus der sogenannten Kessel-Connection im Fokus der Ermittler sieht.

Michelstadts Bürgermeister bestätigt Inhalt eines FACT-Berichts aus dem Jahr 2013

In diesen Kreis der Verdächtigten könnten neben dem Genannten durchaus noch weitere Personen rücken, wie der nachfolgenden Zeugenaussage des Michelstädter Bürgermeisters Stephan Kelbert zu entnehmen war.

Vom Richter angesprochen auf den Wahrheitsgehalt eines FACT-Presseberichts, der auch in einem weiteren Online-Magazin veröffentlicht worden war, antwortete das Michelstädter Stadtoberhapt mit einem klaren >Ja, das stimmt<.

In diesem Beitrag aus dem Jahr 2013 hatte FACT berichtet, dass Lebensform-Agenturinhaber Kessel in Begleitung des damaligen Landrats Dietrich Kübler und des Erbacher Bürgermeisters Harald Buschmann den Michelstädter Bürgermeister zur Wiederaufnahme der von ihm für die Stadt Michelstadt aufgekündigten Geschäftsbeziehung zu Lebensform überreden wollten.

Der Vorsitzende Richter zeigte sich höchst verwundert über solches Vorgehen und stellte die rhetorische Frage: „Ist es die Aufgabe eines Landrats und eines Bürgermeisters auf Akquisetour für eine Werbeagentur zu ziehen?“

Teuere Zusammenarbeit endete mit zusätzlich 15.000 Euro Kosten für Vertragsauflösung

Kelbert war damals jedoch trotz der intensiven Fürsprache Küblers und Buschmanns für deren jeweiligen Wahlkampfmanager Kessel ebenso standhaft geblieben, wie bis zum heutigen Tag die Geschäftsbeziehung beendet blieb. Im Zuge eines damaligen Vertrauensverhältnisses zu Dietrich Kübler und Harald Buschmann habe er deren Anwesenheit bei der Kessel-Akquise nicht widersprochen, sagte das Michelstädter Stadtoberhaupt.

Befragt nach den Gründen der Beendigung der Zusammenarbeit der Stadt Michelstadt mit Lebensform ließ der Bürgermeister keinen Zweifel an den Fakten. Diese seien keineswegs im qualitativen Bereich angesiedelt, sondern vielmehr den Rahmenbedingungen und immens hohen Kosten geschuldet gewesen, die seine Abteilungsleiter und auch die städtischen Gremien insgesamt nicht mehr mitzutragen bereit gewesen wären.

FACT-Informationen zufolge soll es sich dabei um eine Größenordnung von 80.000 Euro für einen Auftrag gehandelt haben, der deutlich überteuert gewesen sei. Im Zuge der Vertragsauflösung seien dann nach Insider-Informationen weitere 15.000 Euro für die Stadt Michelstadt fällig geworden, um halbwegs schadlos der weiteren teuren Geschäftsverbindung mit Lebensform zu entgehen.

Ex-Landrat schlug Erweiterung des Bewerberkreises um seine Lieblingsagentur vor

Bestätigen konnte Michelstadts Bürgermeister Kelbert als damaliges Mitglied der Steuerungsgruppe zur Auswahl einer Agentur auch, dass der Vorschlag zur Erweiterung der drei durch das Gremium nach Punkten bestplatzierten Bewerber um die Erbacher Firma Lebensform von Dietrich Kübler stammte.

Die damals für die Wirtschaftsförderung der OREG zuständige Gabriele Quanz (früher Seubert) habe nach Küblers Vorschlag zur Erweiterung des Bewerberkreises von drei auf vier Agenturen lediglich angeboten, dann das Präsentationshonorar von ursprünglich jeweils 5.000 Euro auf nunmehr 4.000 Euro pro Anbieter zu reduzieren, um die Kosten insgesamt im Rahmen zu halten.

„Ich wollte die Wahrheit im Protokoll stehen haben“

Vom damaligen Landrat wurde der OREG-Protokollentwurf mit den wahren Begebenheiten in dieser Sitzung verworfen und dahingehend abgeändert, dass der Gesamtvorschlag von der OREG-Bereichsleiterin stamme.

Diese fühlte sich nach eigenem Bekunden damals dermaßen unter Druck gesetzt, dass sie den OREG-Geschäftsführer gebeten hatte, das durch den Aufsichtsratsvorsitzenden Kübler verfälschte Protokoll zu unterschreiben.

Dieser flehentlichen Bitte seiner unter enormen Druck gestellten Mitarbeiterin war Jürgen Walther nach eigener Aussage nachgekommen, hatte jedoch später die Wahrheit und sein damit verbundenes Fehlverhalten dem Aufsichtsrat mitgeteilt, wie er auch aktuell noch einmal deutlich im Zeugenstand betonte: „Ich wollte die Wahrheit im Protokoll stehen haben.“

Für den zwölften Prozesstag am Mittwoch, 20. Dezember, sind die Plädoyers der Staatsanwältin und der Verteidigung sowie - je nach Zeitverlauf - möglicherweise auch das Urteil geplant.