Odenwälder Verlagsgeschichte im Kreisarchiv
Neuthor-Verlag übergibt Bücher und Katalog – „Zeugnis der Regionalhistorie“ODENWALDDKREIS / ERBACH / MICHELSTADT. - Was haben der Michelstädter „Wunderrabbi“ Seckel Löb Wormser, der Revolutionär und Demokrat Ludwig Bogen, ebenfalls aus Michelstadt, und amtliche Flurnamen gemeinsam? Wenig, möchte man meinen.
Stimmt. Aber für den Odenwälder Peter Bosse waren sie alle so interessant, dass er in seinem Neuthor-Verlag Bücher über sie publizierte.
Wie über viele andere Themen aus dem Odenwald – Auswanderungswellen in der Geschichte, den Bahnverkehr als Beitrag zur Umweltpolitik sowie Texte von Heimatdichterinnen und -dichtern, um nur einige Beispiele zu nennen.
Im vergangenen Jahr ist der Verlag 40 Jahre alt geworden. Aus diesem Anlass haben Bosse und sein Mitarbeiter Reinhard Gossenauer dem Kreisarchiv jüngst eine Sammlung aller verlegten Titel übergeben – und einen von Gossenauer aufwendig gestalteten Katalog.
„Ich freue mich sehr darüber, denn die Geschichte des Verlags ist Teil und Zeugnis der Odenwälder Regionalhistorie“, sagt Anja Hering, die Leiterin des Kreisarchivs.
Ausgangspunkt des Verlags war der Buchladen an der Michelstädter Neuthorstraße, den Bosse 1980 gegründet hatte. Später zog der Laden in Richtung Marktplatz um. Eigentlich wollte Bosse nach dem 2. Staatsexamen Gymnasiallehrer für Geographie, Politik und Geschichte werden.
„Ich bekam aber immer nur die Mitteilung, in meinen Fächern herrsche eine Lehrerschwemme. Da ich während meines Studiums an der TH Darmstadt schon im Buchhandel tätig war, kam ich auf die Idee, einen linken und alternativen Buchladen zu gründen“, schildert er.
25 Jahre lang gab es den Laden. Eng zusammengearbeitet hat er mit Hedwig Seiler aus Bad König, die unweit seines Geschäfts ein Antiquariat betrieben hatte.
Der Verlag wurde ebenfalls 1980 gegründet, weil immer wieder der Wunsch nach „Texten mit kritischer Regionalgeschichte“ geäußert wurde, wie Bosse schildert.
Das Verlagsprogramm umfasste aber auch andere Titel, etwa die in Deutsch und später auch in Türkisch herausgegebene Autobiographie von Serap Çileli, in der sie auch über ihre Zwangsheirat schreibt, die Textsammlung einer Michelstädterin über den Kampf und die Kultur nordamerikanischer Ureinwohner und vor allem zahlreiche Veröffentlichungen über Lettland und Estland.
Bosses Eltern stammen aus der lettischen Hauptstadt Riga. „Meine Familie wurde, wie die meisten Deutsch-Balten, 1939 vom NS-Regime umgesiedelt“, schildert Bosse, der 1948 geboren wurde und in Frankfurt aufwuchs. Nach dem Studium in Darmstadt zog er 1978 nach Michelstadt.
Den Odenwald hatte Bosse aber schon früh kennengelernt, ohne dass er je dort gewesen wäre – nämlich über die Odenwälder Sagen und Märchen, die ihm seine Mutter einst vorgelesen hatte.
Vor allem jene aus dem Werk „Das Buch Rodenstein“, das der bekannte Schriftsteller Werner Bergengruen, ein Großonkel Bosses, verfasst hatte, der ebenfalls aus Riga stammt.
Es gibt noch Themen aus dem Odenwald, die ihn als Verleger sehr interessieren, vor allem eine Biographie des Polarforschers Carl Weyprecht und die vielfältige Disco-Kultur in den achtziger Jahren. „Ob daraus Bücher werden, weiß ich jetzt noch nicht. Aber die Geschichten dieser Region sind längst noch nicht alle erzählt.“