Kommentar: Systemimmanente Vorgänge in Odenwälder Kommunen
ODENWALDKREIS. - Es dauerte immerhin bis zum 6. Prozesstag im Strafverfahren gegen den früheren Odenwälder Landrat Dietrich Kübler wegen Untreue im Amt, bis der Vorsitzende Richter Helmut Schmied nicht schlecht staunend Unkenntnis verriet.
Dies lag freilich nicht an mangelndem Studium der höchst umfangreichen Gerichtsakten durch den ansonsten bestens vorbereiteten Strafrichter, sondern schlicht daran, dass sich bestimmte Ermittlungsergebnisse nicht in den Akten wiederfinden.
Und es dauerte ebenfalls bis zum 6. Prozesstag, bis aus dem seither ob teilweise unklarer Zeugenaussagen oder mangelndem Erinnerungsvermögen der damals an den Geschehnissen Beteiligten doch recht verschwommenen, teilweise chaotischen Bild klare Strukturen erkennbar wurden.
Dank eindeutiger, durch eigene Unterlagen wie Protokolle belegter Aussagen der Geschäftsführerin der Odenwald-Tourismus GmbH (OTG) Kornelia Horn im Zeugenstand, nimmt das Bild der Geschehnisse rund um die Odenwälder Standortmarketing-Affäre aus der Zeit zwischen 2011 und 2015 nunmehr deutliche Konturen an.
Immer im Zentrum der Ereignisse waren dabei die Erbacher Agentur Lebensform und deren Geschäftsführer Johannes Kessel. Dieser hatte zunächst im Jahr 2010 der OTG ein mit Fördergeldern finanziertes Logo samt Corporite Identity (CI) und Corporate Design (CD) für rund 15.000 Euro verkauft, und der OTG dafür exklusive Nutzungsrechte eingeräumt.
Im entsprechenden Agenturvertrag war klar geregelt, dass im Falle der Vertragsauflösung keine der beiden Vertragsparteien Logo sowie CI und CD weiterhin nutzen dürfen. 2011 folgte die Ausschreibung eines ebenfalls mit Fördergeldern - hier gar im sechsstelligen Bereich - belegten Standortmarketing-Konzepts.
Dieser Auftrag sollte nach dem eindeutigen Willen des damaligen Landrats Dietrich Kübler an die Firma Lebensform und damit an das Unternehmen seines Wahlkampfmanagers Johannes Kessel vergeben werden. Dazu war dem damaligen Verwaltungschef im Odenwälder Landratsamt nahezu jedes Mittel recht, wie jetzt im Prozess offenkundig wurde.
Bei einem von ihm als OTG-Aufsichtsratsvorsitzender anberaumten Geheimtreffen zwischen dem Agenturinhaber und dessen Anwalt mit zwei (von sechs!) weiteren Aufsichtsratsmitgliedern der OTG sowie den bei der OTG völlig unbeteiligten Bürgermeistern Harald Buschmann (Erbach) und Stefan Lopinsky (Reichelsheim), war zentrales Thema Kornelia Horn als Geschäftsführerin der OTG abzulösen, weil sie sich den „Anordnungen“ des Aufsichtsratsvorsitzenden Küblers zur einvernehmlichen Zusammenarbeit mit der Agentur Lebensform widersetzt hatte.
Dazu sollte eine anwaltlich vorbereitete sogenannte „Stufenklage“, mit der die OTG mit einer Strafe in Höhe von 250.000 Euro belegt werden sollte, als Druckmittel dienen. Diese „Stufenklage“ sollte jedoch entfallen, sofern Lebensform mit 40.000 Euro „entschädigt“, und die nicht mehr Lebensform-gewogene Geschäftsführerin entlassen würde.
Der geheime Putsch war sogar soweit vorbereitet, dass der Lopinsky-Mitarbeiter in der Reichelsheimer Gemeindeverwaltung Jochen Rietdorf schon als potenzieller Nachfolger von Kornelia Horn als OTG-Geschäftsführer präsentiert wurde.
Diesem Ansinnen Küblers widersetzten sich damals jedoch die beiden OTG-Aufsichtsratsmitglieder, die von Kübler zum Geheimtreffen „eingeladen“ worden waren, und offenbarten sich der Geschäftsführerin. Dietrich Kübler ließ nach dem Scheitern seines perfiden Plans, den er zusammen mit den ihn unterstützenden beiden Bürgermeistern durchsetzen wollte, sein Amt als Aufsichtsratsvorsitzender der OTG ruhen.
Ein schier unglaublicher Vorgang, der vom damaligen Landrat inszeniert, den beiden genannten Bürgermeistern unterstützt wurde, und das Geschäftssystem einer Odenwälder Marketingagentur enttarnt: Es werden zunächst Wahlkämpfe für Politiker aus der Region organisiert und werblich begleitet. Bei erfolgreicher Wahl des betreffenden Politikers/In erhält die Agentur alle Aufträge, meist sogar ohne Ausschreibung, aus dem Amt, in das die betreffende Person gewählt wurde.
Im Falle des Odenwälder Standortmarketing-Konzepts erfolgte dies sogar doppelt rechtswidrig: einmal wegen erheblicher Verstöße gegen die Ausschreibungskriterien der Förderbank, und andererseits wegen bestehender Exklusivrechte für die OTG für deren CI, CD und Logo, die an den Odenwaldkreis erneut als Werbegrundlagen verkauft wurden.
Vor dem Hintergrund, dass diese vertragsgemäß selbst nach Auflösung des Agenturvertrags zwischen OTG und Lebensform GmbH von keiner der beiden Vertragsparteien mehr hätte genutzt werden dürfen, war auch die gesamte Ausschreibung mit dem Ziel, das markenrechtlich bereits für die OTG eingetragene Logo samt CI und CD auf den Odenwaldkreis zu übertragen, ein Fake.
Denn kein anderes Werbeunternehmen jenseits von Lebensform hätte sich gemäß der von dieser Agentur beanspruchten Urheberrechte der betreffenden Werbegrundlagen bedienen dürfen. Bei diesen Vorgaben stand somit der Auftragnehmer zwangsläufig schon zu Beginn der Ausschreibung unumstößlich fest.
Angesichts des damals noch bestehenden Agenturvertrags zwischen OTG und Lebensform mit exklusiven Nutzungsrechten für die markenrechtlich für die OTG eingetragenen Werbegrundlagen wird auch deutlich, weshalb der Lebensform-Geschäftsführer einen schriftlichen Vertrag mit dem Odenwaldkreis strikt verweigerte, dennoch aber systemimmanente Vorgänge in Odenwälder Kommunen und mit deren Verwaltungschefs offenbarte.