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Ein Odenwald für alle

Fachleute für Migration: Diego Ramos Mileli, Petra Karg, Jutta Reeg und Christin Hauer (von links) vom WIR-Vielfaltszentrum im Landratsamt. Foto: Stefan Toepfer/Kreisverwaltung

Migration als Chance: WIR-Vielfaltszentrum im Landratsamt berät auch Kommunen

ODENWALDKREIS. - Ohne Zuwanderung aus anderen Ländern ist der Odenwaldkreis nicht zukunftsfähig. Wer anderer Meinung ist, muss nur in Statistiken zum demographischen Wandel schauen – oder einfach in die Odenwälder Unternehmen.

„Ohne Bürgerinnen und Bürger aus dem Ausland, die mit ihren Familien schon länger hier leben und die aktuell zu uns kommen, würde bei uns kein Krankenhaus öffnen, keine Baustelle funktionieren, kein Betrieb Produkte herstellen“, sagt Landrat Frank Matiaske. „Das gilt für alle Berufsgruppen, bis in die Chefetagen.“

Damit verbunden ist die Aufgabe, die mit der Zuwanderung einhergehende Vielfalt zu gestalten. „Wenn Migrantinnen und Migranten gleichberechtigt an der Gesellschaft teilhaben können, etwa in Beruf und Bildung, und wenn Spannungen im Zusammenleben erkannt und abgebaut werden, ist Migration eine große Chance für den Kreis“, so der Landrat.

Es müsse aber auch „ausgeschlossen sein, dass durch Migration Parallelgesellschaften entstehen“. Auch das sei eine wichtige Herausforderung, „bei deren Bewältigung nicht zuletzt die Migranten-Organisationen selbst mitwirken müssen“.

Zur Unterstützung der Städte und Gemeinden, von Schulen, (Migranten-)Vereinen und anderen Organisationen gibt es im Landratsamt das WIR-Vielfaltszentrum mit den beiden Fachkräften Christin Hauer und Diego Ramos Mileli. Sie gehören zur beim Landrat angesiedelten Stabsstelle „Gleichstellung und Integration“, die von Petra Karg geleitet wird.

Austausch mit Städten und Gemeinden

Grob gesprochen, hat das WIR-Vielfaltszentrum zwei Anliegen: Einerseits will es die Verwaltungen von Kreis und Kommunen in ihrer interkulturellen Kompetenz stärken, um den Kontakt zu Bürgerinnen und Bürgern mit Migrationsgeschichte zu verbessern.

Verankert ist dies bereits zum Beispiel in der Azubi-Schulung im Landratsamt. Andererseits will es die Willkommens- und Anerkennungskultur im Kreis insgesamt stärken und verstetigen.

„Viele unserer Städte und Gemeinden leisten bereits eine hervorragende Integrationsarbeit“, so Matiaske. Wie die Städte und Gemeinden darüber hinaus vom WIR-Vielfaltszentrum profitieren können, ist auch Thema in der Bürgermeisterkreisversammlung am 14. Juli, in der sich Hauer und Mileli vorstellen.

„Wir können den Rathäusern zum Beispiel dabei helfen, noch besser als bisher mit Migranten-Organisationen zu sprechen, vorhandene lokale Vielfaltskonzepte weiterzuentwickeln beziehungsweise neue zu erstellen“, so die Fachkräfte.

Wichtig ist ihnen auch der Abbau von Diskriminierung und Zugangsbarrieren, die Förderung der Antirassismus-Arbeit und die Gesundheitssituation von Migrantinnen und Migranten.

Matiaske würdigt in diesem Zusammenhang „die vielen Angebote von Verwaltungen und aus der Zivilgesellschaft“, die es schon gebe beziehungsweise an denen gearbeitet werde.

Zur Aufgabe des WIR-Vielfaltszentrums und dessen Partnern gehöre es aber auch, Menschen mit Migrationshintergrund über ihren notwendigen Beitrag für ein gelingendes Zusammenleben zu informieren, hebt er hervor.

„Gute Angebote helfen wenig, wenn nicht auch von Zuwandererfamilien eine wachsende Bereitschaft da ist, sie zu nutzen. Wir brauchen beide Seiten.“

Neuer Integrationsmonitor nach der Sommerpause

Hauer und Mileli bieten den Städten und Gemeinden auch Besuche an, um über den neuen Integrationsmonitor zu sprechen, der nach der Sommerpause fertig sein soll. Das letzte Zahlenwerk dieser Art ist vor fünf Jahren erschienen.

„Weil die Situation in den Städten und Gemeinden bei uns teils sehr unterschiedlich ist, ist genau hinzuschauen, was wo notwendig ist“, so Karg. Das hebe auch das Kreisentwicklungskonzept deutlich hervor. „Der Monitor wird eine gute Grundlage für die lokale Vielfaltspolitik sein.“

Im Odenwaldkreis haben derzeit rund 15 Prozent der Bürgerinnen und Bürger ausschließlich eine ausländische Staatsangehörigkeit. Der Anteil von Menschen mit Migrationsgeschichte liegt schätzungsweise bei etwa 30 Prozent.

„Das sind für einen ländlich geprägten Kreis vergleichsweise große Werte“, so Matiaske. „Wir wollen und müssen alles dafür tun, dass sich die Menschen, die zu uns kommen, gut integrieren können und sich an- und aufgenommen fühlen.“

Vernetzt mit allen relevanten Akteuren

Für ihre Arbeit sind Karg, Hauer und Mileli gut vernetzt – nicht nur mit den für Bildung, Ehrenamt, Kreisentwicklung und Gesundheitsmanagement zuständigen Fachkräften der Kreisverwaltung, sondern auch mit Gremien im ganzen Kreisgebiet.

Hierzu zählen vor allem die Ausländerbeiräte, Integrationskommissionen, der Rat der Religionen sowie andere gesellschaftliche Akteure.

„Gemeinsam arbeiten wir dafür, dass Migrantinnen und Migranten im Odenwaldkreis willkommen sind, ganz gleich, wer sie sind, woher sie kommen und warum sie zu uns gekommen sind“, betonen Karg, Hauer und Mileli.

Konkret arbeitet die WIR-Stelle etwa bei der Koordinierung von Hilfsangeboten für Geflüchtete mit, hatte mehrsprachige Aufklärungskampagnen zur Corona-Impfung in einzelnen Wohnquartieren mitorganisiert, in denen vergleichsweise viele Menschen mit Migrationsgeschichte wohnen, und Sportvereine bei der interkulturellen Öffnung unterstützt.

WIR-Koordinatoren mit großem Know-how

Die Arbeit der WIR-Koordination wird vom Land Hessen finanziert; die Förderung basiert auf einer Zielvereinbarung mit der Kreisverwaltung. Zu Beginn dieses Jahres hatte das Land die Arbeit der WIR-Stellen in den Städten und Landkreisen neu geordnet und die Vielfaltszentren geschaffen.

Der Odenwaldkreis nutzte im Zuge dessen die Gelegenheit, Fördermittel für eine WIR-Mitarbeit zu beantragen. Seit April 2022 übernimmt Jutta Reeg anteilig administrative Arbeiten im Vielfaltszentrum; sie ist durch ihre langjährige Assistenztätigkeit im Gleichstellungsbüro mit Vielfaltsthemen vertraut.

Ãœber Jutta Reeg ist das Vielfaltszentrum unter der Telefonnummer 06062 70-221 beziehungsweise der Mailadresse j.reeg(at)odenwaldkreis.de zu erreichen.

Die Förderung über das WIR-Programm selbst gibt es schon länger. Christin Hauer ist bereits seit 2019 WIR-Koordinatorin im Odenwaldkreis, Diego Ramos Mileli kam im Februar 2022 hinzu.

Gemeinsam mit Petra Karg teilen sie sich zwei Vollzeitstellen und bringen für ihre Tätigkeit ein großes Know-how mit.

Hauer, gebürtig in Schwerin, wohnt seit 2012 in Michelstadt. Die Kultur- und Religionswissenschaftlerin hatte zuvor in der Beratung von Migrantinnen und Migranten in Dieburg, im Landkreis Aschaffenburg und im Selbsthilfebüro Odenwald gearbeitet.

Zugute kommen ihr auch Erfahrungen von drei Auslandsaufenthalten während der Studienzeit – in England, Russland und der Türkei. Ihr Schwerpunkt im Vielfaltszentrum ist der Bereich „Vielfaltsorientierte Öffnung“.

Der zweite Schwerpunkt, „Willkommens- und Anerkennungskultur“, ist das Gebiet von Diego Ramos Mileli. Er stammt aus Brasilien und hat Erfahrungen in Brasilien, Mexiko und Deutschland gesammelt, unter anderem in einer kommunalen Abteilung für Integration.

In seinem Philosophiestudium hat er sich mit Vorurteilen und Diskriminierung befasst. In seiner Masterarbeit in Politikwissenschaft, die er vor kurzem abgegeben hat, geht es um die politische Teilhabe von Migrantinnen und Migranten.

Auch bei diesem Thema sind vom WIR-Vielfaltszentrum also Impulse zu erwarten. Das Kreisentwicklungskonzept empfiehlt, dass der Anteil von Migrantinnen und Migranten in den kommunalen Gremien ihrem Anteil an der Bevölkerung der jeweiligen Kommune entsprechen sollte.

Nötig sei eine „aktive Ansprache und Einbindung von Menschen mit Migrationshintergrund in die Kommunalpolitik“. Ein Ziel, das auch Landrat Matiaske teilt: „Hier muss sich jede politische Partei fragen, ob sie in dieser Hinsicht schon genug tut.“