Kreisausschuss: Harte Zeugenbank statt Volksfest in Reichelsheim
Strafverfahren gegen den früheren Landrat Dietrich Kübler: Tag der Wahrheit – Elf Politiker müssen zum RapportODENWALDKREIS / MICHELSTADT. - Einmal im Jahr dürfen sich die Odenwälder Kreisausschuss-Mitglieder auf eine besondere Sitzung freuen, wenn nämlich jeweils Ende August ihr Gremium in Reichelsheim tagt und am montäglichen Sitzungsende das Volksfest Michelsmarkt zwecks Biergenuss ansteuert.
So wäre es auch am kommenden Montag, 28. August, turnusmäßig gelaufen, doch dieses Vergnügen hat Amtsrichter Helmut Schmied einigen Mitgliedern des Kreisausschusses (KA) verhagelt.
Er setzte nämlich für den 28. August einen ganztägigen Verhandlungstermin an, mit dem ehrgeizigen Ziel, zwölf ehemalige und heutige KA-Mitglieder als Zeugen zu vernehmen. Damit folgt er einem Beweisantrag der Kübler-Anwältin Andrea Combé (Heidelberg).
Die Vernehmung wird den fünften Verhandlungstag komplett ausfüllen. Die Staatsanwaltschaft Darmstadt beschuldigt den früheren Landrat Dietrich Kübler (67, ÜWG) der Untreue im Rahmen eines geplanten Odenwälder Standortmarketings in den Jahren 2011 bis 2013.
Gesamtschaden von rund 500.000 Euro ?
Der direkte Schaden soll sich auf knapp 100.000 Euro belaufen, die damit in Zusammenhang stehen Schäden des Odenwaldkreises (OWK), die später separat eingefordert werden könnten, auf weitere bis zu 400.000 Euro.
Es geht beim Termin am Montag um die endgültige Klärung des Sachverhalts, ob der damalige Landrat Dietrich Kübler und damalige wie heutige Hauptabteilungsleiter des Landratsamts, Oliver Kumpf, dem Kreisausschuss vor dessen Entscheidung, den Auftrag für ein mit EU-Geldern gefördertes Standortmarketing-Projekt (Gesamt-Volumen 276.000 Euro) an die vom Landrat präferierte Werbeagentur Lebensform in Erbach zu übertragen, über rechtzeitig geäußerte massive Bedenken des Kreisrechtsamt informiert hatten.
Vier KA-Mitglieder hatten dies im Zeugenstand bereits eindeutig verneint, ein Zeuge hingegen meinte, die entsprechenden Unterlagen zuvor erhalten zu haben.
Ein Zeuge widerspricht vier anderen Zeugen
Damit widersprach er nicht nur den anderen Zeugen, sondern auch dem Ex-Landrat, der laut offiziellem Protokoll der Kreistagssitzung vom 24. Februar 2014 mitgeteilt hatte, dass dem Kreisausschuss vor den entscheidenden Sitzungen „die Schreiben des Rechtsamts nicht vorgelegen“ hätten.
Richter und Staatsanwältin Brigitte Lehmann hatten den einen Zeugen aufgrund seiner abweichenden Aussage auf die Konsequenzen falscher Aussagen hingewiesen, doch er war bei seiner Angabe geblieben.
Ähnliche Konsequenzen, wenn auch ungleich schärfer, hatten Richter und Staatsanwältin dem Hauptabteilungsleiter Kumpf am jüngsten Verhandlungstag am 15. August vor Augen geführt. Er konnte sich angeblich nicht daran erinnern, dass ein Mitarbeiter des Rechtsamt ihm bereits einen Tag vor der entscheidenden KA-Sitzung am 10. Februar 2012 eine letzte, an Deutlichkeit nicht zu überbietende, Warnung vor Beauftragung der Werbeagentur hatte zukommen lassen.
Zudem hatte er ihn während der laufenden Sitzung aus dem Sitzungssaal holen lassen und ihm nochmals das Problem eindrücklich geschildert. Ohne Erfolg, der Kreisausschuss erfuhr nach bisheriger übereinstimmender Aussage dessen Mitglieder nichts von allen diesen Warnungen und stimmte demnach nichtsahnend für des Landrats Lieblingsagentur.
Protokoll nachträglich verfälscht?
Eine weitere Unklarheit hat das Gericht zu klären: Der Hauptabteilungsleiter will vor den entscheidenden Sitzungen Tischvorlagen verteilt und darin auf die Stellungnahmen des Rechtsamts hingewiesen haben. In einer Art „Gutachten“ habe der Nichtjurist Kumpf allerdings darauf hingewiesen, dass er die Bedenken des Rechtsamts nicht teile.
Die bisherigen Zeugen können sich ihrerseits daran nicht erinnern und haben übereinstimmend ausgeführt, dass sie bei Zweifeln sicher keine Entscheidung für die Agentur getroffen hätten. Darin bestärkt sie ein weiteres Protokoll aus dem Akteneinsichtsausschuss am 15. Januar 2014, das die Presse geführt hatte.
Darin erklärte der Hauptabteilungsleiter Oliver Kumpf, sein „Gutachten“ habe er erst nach der Sitzung vom 10.02.2012 (Anmerkung d. Redaktion: entscheidende Auftragsvergabesitzung) verfasst, nachdem er mehrfach gefragt worden sei. Ob das Kumpfsche Protokoll-Gutachten nachträglich dem jeweiligen Protokoll untergeschoben worden ist, muss nun das Gericht klären.
Dazu wird am Montag, 28. August ab 9 Uhr im Amtsgericht Michelstadt Gelegenheit sein. Geladen sind die KA-Mitglieder Gänssle, Kredel, Heckmann, Blitz, Dr. Reuter, Resch, Schmauß, Grantl, Grobeis, Weyrauch und Vetter, sowie die Sekretärin des Hauptabteilungsleiters, Berg.