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LESERBRIEF: Quo vadis Oberzent?

Absage des Musikfestivals „Sound of the Forest“ rechtsfehlerhaft + + + Höchstrichterliche Rechtsprechung verheißt Anderes als von Bürgermeister Christian Kehrer angewandt

OBERZENT. - Schon fast gebetsmühlenartig wurde im Wahlkampf um das Amt des Bürgermeisters der Stadt Oberzent die Aufbruchsstimmung, das Potential dieser Stadt und seiner Bürger und das Erfordernis von Visionen zur Gestaltung einer lebendigen Zukunft unserer Region beschworen.

Die Realität hingegen, sieht völlig anders aus. Was ist geschehen? Im zehnten Jahr seiner Gründung hätte in der Zeit vom 3. bis 5. August 2018 das große Jubiläumsfestival „Sound of the Forest“ am Marbach-Stausee stattfinden sollen.

Das Festival hat sich in all den Jahren seines Bestehens zu einem der wichtigsten Werbeträger für unseren Odenwald entwickelt mit inzwischen internationalem Publikum.

Unter den über 50 vertraglich verpflichteten Bands hätten sogar vier Musikstücke des Sängers „Joris“ Eingang auf seine neueste Live-CD finden sollen. Eine bessere, dazu noch kostenlose Werbung für unsere liebliche Region, hätte es nicht geben können.

Natürlich muss auch unter diesen Versuchungen der Sicherheit der Besucher und der Natur, gerade in der derzeitigen klimatischen Situation, aufmerksam Rechnung getragen werden.

Dies setzt bei den Verantwortlichen ein hohes Maß an Verantwortungsbereitschaft und Weitsicht voraus.

Leider hat es der Ortspolizeibehörde der Stadt Oberzent, in personam des Bürgermeisters dieser Stadt, gerade daran, zum Schaden der gesamten Region, in eklatanter Weise gefehlt.

Wie komme ich zu dieser Einschätzung?

1. Von seinem Ermessenspielraum hat der Bürgermeister rechtsfehlerhaft Gebrauch gemacht.

Gegenüber dem Verfasser hat er am Tag der Verfügung persönlich geäußert, dass er „nicht anders entscheiden könne, als das Festival zu untersagen“. Hier liegt im juristischen Sprachgebrach eine sogenannte „Ermessensreduzierung auf Null“ vor.

Für den Schultes kam somit nur eine Untersagung der Veranstaltung in Betracht, um das (vermeintliche) Wohl der Gäste nicht zu gefährden. Tatsächlich hätte hier jedoch eine Interessensabwägung stattfinden müssen, d. h. es hätte das mildeste Mittel zum Einsatz kommen müssen, um das Ziel (Unversehrtheit der Besucher) noch zu erreichen.

Das wären Nebenbestimmungen und Auflagen zum Verwaltungsakt gewesen, also ganz klare Vorgaben zu den Sicherheitsbestimmungen gegenüber dem Veranstalter. Dies ist unterblieben, damit war die Verfügung rechtswidrig (Anm.: auch Ermessensentscheidungen unterliegen einer gerichtlichen Nachprüfbarkeit).

2. Der Amtsträger bezog sich in seiner Begründung der Entscheidung u.a. auf Stellungnahmen übergeordneter Behörden. Nur merkwürdig: selbst Hessen-Forst hat die Durchführung der Veranstaltung unter Auflagen als möglich erachtet.

3. Zu vorliegendem Sachverhalt liegt eine höchstrichterliche Rechtsprechung vor: Erst dieser Tage hat der Achte Senat des Hessischen Verwaltungsgerichtshofes in Kassel in einem völlig identischen Fall (hier: Tropen-Tango-Festival in Lorch am Rhein) entschieden, dass es zur Beurteilung der in Rede stehenden Frage nicht auf eine mögliche abstrakte Waldbrandgefahr ankommt, sondern darauf, was der Veranstalter unternommen hat, dieser zu begegnen.

Die Richter haben sich dort damit begnügt, dass der Veranstalter des Festivals ein Grillverbot ausspricht und für insgesamt 130 Feuerlöcher auf dem Gelände sorgt.

Beim „Sound oft he Forest“-Festival wurde ein Vielfaches an Maßnahmen zur Waldbrandverhütung getroffen, u. a. wurde der Wald mit 800.000 Liter Wasser gewässert, Schneekanonen wurden angefragt, Grill-Verbote an die Besucher ausgesprochen, 100 Mann Sicherheitskräfte wären vor Ort gewesen und schließlich führt der vor dem Gelände liegende Marbach-Stausee noch über 1 Mio. Kubikmeter Wasser.

Das Gelände wäre nie so sicher gewesen, als an diesem Wochenende!

Dass all diese Vorkehrungen keinen Einfluss auf die Entscheidung des Schultheißes hatten, ist ein weiteres Mal rechtsfehlerhaft, wie das Urteil des VGH belegt.

Damit hat die Ortspolizeibehörde den Veranstaltern einen Schaden von über 150.000 Euro zugefügt. Außerdem sind einer Vielzahl von Unternehmen der Region, vom Abfallentsorger, über die Zulieferer mit Speisen und Getränken bis zu den Sicherheitsdiensten, erhebliche finanzielle Einbußen entstanden. Alles in allem kann von einer Größenordnung von sicherlich bis zu 500.000 Euro ausgegangen werden. Vom Imageschaden für unsere Region ganz zu schweigen.

Exkurs: In Anbetracht der Dimension dieser Fehlleistung erscheint es fast schon verzeihbar, dass sich die Stadt Oberzent anlässlich der „Oberzent-Expo“ beim Pferdemarkt nicht in der Lage sah, ihren eigenen Touristik-Stand an den publikumsintensiven Pferdemarkttagen Samstag und Sonntag mit Mitarbeitern zu besetzen, obwohl bei der Stadt Oberzent mittlerweile über 100 Personen auf der Gehaltsliste stehen. Stattdessen war Selbstbedienung der interessierten Gäste am Prospektständer angesagt.

Ach ja: einen Haushaltsplan für das Haushaltsjahr 2018 gibt es immer noch nicht. Es ist zu hoffen, dass es sich hierbei um fusionsbedingte Anfangsschwierigkeiten handelt. So ganz sicher bin ich mir da aber nicht…

Michael Reinhard
Amtsrat
64 Oberzent-Beerfelden