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Vom Arbeiterselbsthilfeverein zum fĂŒhrenden Sozialverband

LangjĂ€hrige Verdienste in FĂŒhrungspositionen der Arbeiterwohlfahrt haben Hilde Seibert und Friedel Weber (Bildmitte) erworben. HierfĂŒr wurden sie beim Kommers anlĂ€sslich des 100-jĂ€hrigen AW0-Bestehens vom Bezirksvorsitzenden Willy Jost (2. Von links) mit dem Ehrenbrief des Bezirksverbandes ausgezeichnet. Mit auf dem Bild Kreisvorsitzender Dr. Michael Reuter (links) und KreisgeschĂ€ftsfĂŒhrer Oliver HĂŒlsermann (rechts).

Mit flotten Weisen stimmte die Gruppe Salto Vocale die AWO auf ein erfolgreiches neues Jahrhundert ein. Fotos: Ernst Schmerker

100 Jahre Arbeiterwohlfahrt: JubilĂ€umsfeier mit RĂŒckblick und Ehrungen

MICHELSTADT. - Wenn in diesem Jahr der 100. Geburtstag der Arbeiterwohlfahrt ansteht, so wird dieses JubilĂ€um auch vom OdenwĂ€lder Kreisverband gefeiert. Und zwar nicht an einem Tag, sondern im Rahmen einer Reihe von Veranstaltungen das ganze Jahr ĂŒber.

Denn was die Reichstagsabgeordnete Marie Juchacz 1919 als Selbsthilfeorganisation ins Leben rief, blieb nicht auf die Hilfe zur Selbsthilfe von WerktÀtigen beschrÀnkt, sondern umfasst heute weite Teile des sozialen Lebens schlechthin.

Mehr als 335.000 Mitglieder, 66.000 ehrenamtlich engagierte Helfer sowie 225.000 hauptamtliche Mitarbeiter sorgen fĂŒr ein soziales Netzwerk, das tĂ€glich Millionen Menschen erreicht.

Mit einem Kommers unter dem Motto „Echt AWO. Seit 1919. Erfahren fĂŒr die Zukunft.“ wurde am Freitag im Mehrgenerationenhaus in Michelstadt das JubilĂ€umsjahr eingelĂ€utet.

Mehr als einhundert GĂ€ste waren gekommen, um im Rahmen eines kleinen Unterhaltungsprogrammes unter der Moderation von KreisgeschĂ€ftsfĂŒhrer Oliver HĂŒlsermann die Entwicklung der von Selbsthilfe geprĂ€gten Sozialarbeit kennen zu lernen.

FĂŒr sie alle fand Kreisvorsitzender Dr. Michael Reuter die passenden Worte des Willkommens. Erfrischend und vielstimmig schafften dies auch die JĂŒngsten des AWO-Bewegungskindergarten Brombachtal und deren Eltern mit dem Lied „Wir feiern heut ein Fest, weil wir 100 sind“.

Und diese JubilĂ€umszahl griff auch AWO-Bezirksvorsitzender Willy Jost in seinem Festvortrag auf. Auf den Sechszehnstundentag und Kinderarbeit in der Zeit der Industrialisierung verweisend, hĂ€tte die GrĂŒndung einer sozialdemokratischen Wohlfahrtsorganisation eigentlich schon frĂŒher erfolgen mĂŒssen, so der Redner.

Um Kinderausbeutung, Kindesmisshandlung und Verwahrlosung aufzuspĂŒren und öffentlich zu machen, habe es zwar Kinderschutzkommissionen gegeben, doch die Massenverelen-dung nach Kriegsende habe die Selbsthilfe und die praktische SolidaritĂ€t geradezu herausgefordert.

Dieser Herausforderung stellte sich die 1879 geborene und in Àrmlichen VerhÀltnissen aufgewach-sene Marie Juchacz. Die gelernte Schneiderin engagierte sich in der SPD, wurde 1917 vom spÀteren ReichsprÀsidenten Friedrich Ebert als FrauensekretÀrin in den zentralen Parteivorstand geholt.

Als eine von 37 Frauen wurde sie 1919 in die Weimarer Nationalversammlung gewĂ€hlt, wo sie am 19. Februar ihre erste Parlamentsrede hielt. Sie war es dann auch, auf deren Initiative der SPD-Partei-vorstand am 13. Dezember die GrĂŒndung der Arbeiterwohlfahrt als Hauptausschuss der Sozialde-mokratischen Partei beschloss.

Zahlreiche Einrichtungen mit Modellcharakter, wie NĂ€hstuben, Mittagstische, WerkstĂ€tten, Beratungsstellen entstanden in den 1920er Jahren. Das breite Engagement endete abrupt 1933. Alle Einrichtungen und der gesamte Grundbesitz wurden der „NS-Volkswohlfahrt“ ĂŒbereignet.

Marie Juchacz floh ins Saarland, spĂ€ter nach Frankreich, 1940 ins amerikanische Exil. Ein Jahr nach Ende des Zweiten Weltkrieges erfolgte die WiedergrĂŒndung der AWO als parteipolitisch und konfessionell unabhĂ€ngige Organisation.

Im gesellschaftlichen Wandel der 1960er und 1970er Jahre kamen neue Aufgaben hinzu. Gastarbeiter wurden betreut, stationĂ€re und ambulante Alteneinrichtungen geschaffen. Man kĂŒmmerte sich um sucht- und sozialpsychologische Betreuung, unterstĂŒtzte Menschen, die vor Krieg und Gewalt flĂŒchten mussten.

Landrat Frank Matiaske projizierte in seinem Grußwort die AWO-AktivĂ€ten auf den regionalen Bereich (siehe gesonderter Bericht unter: ). „Wie arm wĂ€re der Odenwaldkreis, wenn es die AWO nicht gĂ€be“, so sein Fazit.

Die CDU-Bundestagsabgeordnete Patricia Lips sprach die mehr privaten LebensumstĂ€nde an, die Marie Juchacz neben ihren TĂ€tigkeiten als Frauenrechtlerin, Politikerin und AWO-GrĂŒnderin zu bewerkstelligen hatte.

DRK-GeschĂ€ftsfĂŒhrer Holger Wiesmann gratulierte als Vertreter der Freien WohlfahrtsverbĂ€nde. DGB-RegionssekretrĂ€r Horst Raupp hatte einen roten Haifisch als Geburtstagsgeschenk in der Hoffnung mitgebracht, dass die AWO auch zukĂŒnftig ihren „Biss“ behalte.

Das musikalische Finale besorgte mit Furore die Gruppe Salto Vokale. Viele GlĂŒckwĂŒnsche entgegennehmen durften die mit dem Ehrenbrief des Bezirksverbandes ausgezeichneten Hilde Seibert (Haingrund) und Friedel Weber (Vielbrunn).

Beide AWO-Protagonisten engagieren sich seit vielen Jahren nicht nur in AWO- Orts- und Kreisgremien, sondern haben sich bleibende Verdienste auch durch zahlreiche besondere Hilfeleistungen und UnterstĂŒtzungsmaßnahmen erworben.