„Der Unmenschlichkeit keinen Fußbreit Boden gewähren“
REICHELSHEIM. - Es war eine bewegende, fesselnde und zugleich informative Gedenkveranstaltung an der Georg-August-Zinn-Schule Reichelsheim, die einmal mehr einen weit größeren Rahmen verdient gehabt hätte.
Doch Pandemie bedingt musste in diesem Jahr die Teilnehmerzahl des Gedenkens anlässlich des 83. Jahrestags der Novemberpogrome von 1938 in der Aula der Schule stark eingeschränkt und die teilnehmenden Klassen auf zwei aufeinanderfolgende Veranstaltungen aufgeteilt werden.
Der stellvertretende Schulleiter, Direktor Herwig Bendl, rief gleich zu Beginn der Veranstaltung die schrecklichen Ereignisse des 9. November 1938 in Erinnerung.
Die Juden in Deutschland erlebten jene Nacht als eine schreckliche Zeit, in der sich die Gewalt der Nationalsozialisten endgültig Bahn brach. Hunderte Juden wurden dabei grausam ermordet.
Über tausend Synagogen, Geschäfte, Wohnungen und jüdische Friedhöfe fielen den Flammen zum Opfer oder wurden zerstört. Die Novemberpogrome markieren den Übergang von der Diskriminierung und dem unterschwelligen Antisemitismus, über den offenen Hass, bis hin zur systematischen Verfolgung der Juden, welche knapp drei Jahre später in den Holocaust mündete.
Die zentrale Rede in Reichelsheim hielt Schulpfarrer Dieter Keim. Seit seiner Kindheit frage er sich: „Wie war das möglich gewesen: politisch und menschlich?“
Das wirklich Schlimme sei, „dass es ganz normale Leute waren, die andere Leute ausgegrenzt, verfolgt, gemobbt, weggebracht, geschlagen, bestohlen und getötet haben“, so Keim, der auch mahnende Worte im Hinblick auf das Hier und Jetzt fand.
„Wenn Menschen in eine Schachtel gepackt werden, auf die man dann ein Etikett klebt und dazu sagt, was es bedeutet, dann gelten sie nicht mehr als Menschen“.
Keim machte deutlich, dass auch Vorurteile Hass und Rassismus Vorschub leisten. Wenn jemand „die…“ sage, lüge er. Es gebe nicht „die Deutschen“, es gebe nicht „die Türken“, es gebe nicht „die Politiker“ und es gebe nicht „die Juden“, so der Schulpfarrer. Keim schloss mit der klaren Forderung in Zukunft der „Unmenschlichkeit keinen Fußbreit Boden“ mehr zu gewähren.
Einen bewegenden Höhepunkt bildete das szenische Spiel „Brauner Morgen“. In der Erzählung von Franck Pavloff wird dargestellt, wie Charlie und sein Kumpel in einem totalitären Staat Schritt für Schritt ihre Freiheit verlieren.
Die Konzeption und Darstellung der an Pavloffs französischen Bestseller angelehnten Aufführung ging dabei auf die Schülerinnen und Schüler der DS-Kurse (Darstellendes Spiel) der Jahrgangsstufen 11 und 13 unter Leitung von Oberstudienrat Carsten Jonischkeit zurück.
Schließlich wurden die Namen jener Jüdinnen und Juden aus Reichelsheim, Beerfurth und Fränkisch-Crumbach verlesen, die deportiert wurden.
Absolute Stille herrschte bei der Schweigeminute zum Gedenken an die jüdischen Einwohnerinnen und Einwohner des Gersprenztals, zu der Geschichtslehrer Dr. Dirk Strohmenger, der die gesamte Veranstaltung organisiert und vorbereitet hatte, abschließend aufrief.
Die Musiklehrer Joschka Althoff und Katrin Paul gaben der Gedenkveranstaltung mit jüdischen Instrumentalstücken einen würdigen Rahmen.