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„Jeder hier geht an seine Belastungsgrenze“

Im „Corona-Abstand“ vor dem Kreiskrankenhaus: die beiden Oberärzte Daniel Gerbaulet (links) und Karsten Ritter (rechts), gemeinsam mit Pflegedirektor Michael Hotz und Sabine Münch, Assistentin der Pflegedirektion. Foto: Stefan Toepfer/Kreisverwaltung

Die Corona-Krise und… (8, Ende): Das Covid-Team des Kreiskrankenhauses

ODENWALDKREIS. - Operationen gehören zum Alltag eines Krankenhauses. Ungewöhnlich ist es, wenn sich eine Klinik selbst einem Eingriff unterziehen muss. So wie das Kreiskrankenhaus in Erbach.

Um für die Corona-Pandemie gewappnet zu sein, wurde eine eigene Intensivstation eingerichtet, was auch mit baulichen Veränderungen einherging, und es wurde Platz für mittlerweile drei Covid-Normal-Stationen geschaffen.

Die Notaufnahme musste neu organisiert und Personal neu eingeteilt werden, all das bei laufendem Betrieb. Es war eine enorme Kraftanstrengung. Oder, wie es Pflegedirektor Michael Hotz sagt: „Es war eine Operation am offenen Herzen.“

Die Operation ist gelungen, vor allem, weil sie rechtzeitig geplant wurde. Die Abläufe in den Covid-Stationen sind dank des großen Engagements von Ärzten, Pflegepersonal und Klinik-Geschäftsführung eingespielt und geordnet.

Grund, sich zurückzulehnen, gibt es aber nicht. Im Gegenteil. Tag für Tag trifft sich um 8 Uhr ein Krisenstab unter der Leitung von Geschäftsführer Andreas Schwab, um die aktuelle Lage zu beurteilen, Fragen zu klären und sich auf mögliche Szenarien einzustellen, die die jüngst von der Politik beschlossenen Lockerungen mit sich bringen könnten.

„Wir wollen schließlich auch weiter gut vorbereitet sein“, sagt Christiane Karnovsky, die stellvertretende Geschäftsführerin.

Seit Mitte März schon trifft sich die Runde aus Klinik-Geschäftsführung, der Ärztlichen Direktorin, den für die Covid-Stationen zuständigen beiden Oberärzten, der Pflegedirektion, den Chefärzten der Unfall-Chirurgie und der Anästhesie, dem Technischen Leiter sowie dem Leiter des Gesundheitsamtes.

Neben diesem „engeren“ gibt es noch einen weiteren Krisenstab. Zu diesem so genannten Großen Krisenstab gehören alle Chefärzte, Abteilungsleitungen, die Betriebsärztin, die leitende Ärztin des Medizinischen Versorgungszentrums und weiteres Klinikpersonal.

Auch er kommt regelmäßig zusammen. „Wir informieren dort über die Entscheidungen des Kleinen Krisenstabs und sorgen so für Transparenz“, so Hotz.

Die enge Zusammenarbeit mit Kollegen verschiedener Disziplinen, mit ihren Assistenzärzten sowie zwischen Ärzten und Pflegekräften aber auch mit dem Gesundheitsamt und dem Rettungsdienst ist für die beiden Oberärzte Karsten Ritter und Daniel Gerbaulet das A und O bei der Versorgung von Patienten.

Die Internisten sind die für die Covid-Stationen verantwortlichen Mediziner. „So können wir uns von jedem Patienten ein individuelles Bild machen und Therapieziele festlegen, natürlich auch, indem wir mit ihnen selbst und mit ihren Angehörigen sprechen. Manch einer hat auch eine Patientenverfügung, die uns hilft.“

Am meisten motiviert es sie, wenn Patienten wieder gesunden, vor allem die schwer Erkrankten, die beatmet werden mussten. Die Therapiemöglichkeiten sind allerdings begrenzt, was Ärzten und Pflegepersonal zu schaffen macht.

Die Erkrankung ist kaum erforscht, es gibt noch keine speziellen Medikamente, und das Virus kann sehr aggressiv sein. „Ich habe in kurzer Zeit Lungen-Aufnahmen zu Gesicht bekommen, die ich sonst nur ein oder zwei Mal im Jahr sehe“, schildert Ritter.

Auch zuhause lesen er und Gerbaulet noch Fallberichte aus anderen Ländern, die hilfreich sein könnten, und telefonieren mit Kollegen.

Es gibt Patienten, die trotz aller ärztlicher Bemühungen sterben. In den Covid-Stationen können Angehörige nicht ohne weiteres Abschied nehmen.

„Bei uns stirbt aber niemand allein“, sagt Pflegedirektor Hotz. „Wir haben palliativmedizinisch geschultes Personal, das jene Patienten begleitet.“ Für Ärzte, Schwestern und Pfleger, die über belastende Erfahrungen sprechen wollen, gibt es eine Supervisionsgruppe.

Alle im Krisenstab und in den Covid-Stationen haben anstrengende Wochen hinter sich. Und sie werden weitere vor sich haben. Was ihnen hilft, ist ein immer stärker gewordener Zusammenhalt und ein offener Austausch.

„Das ist zentral, gerade weil es für das, was wir hier tun, keine Schablone gibt und weil hier jeder an seine Belastungsgrenze geht“, so Hotz.

Für Ritter hat die Krise auch eine gesundheitspolitische Dimension: „Sie lehrt uns, wie wesentlich Krankenhäuser der Grund- und Regelversorgung wie unser Kreiskrankenhaus sind.“

Kliniken nur an ihrer Wirtschaftlichkeit zu bemessen, sei kurzsichtig. Noch vor kurzem wurde in Deutschland über die Schließung kleiner Kliniken debattiert.

Darüber können alle im Krisenstab nur mit dem Kopf schütteln. Ritter bringt es auf den Punkt: „Ich hoffe, dass am Ende der Krise nicht nur Orden verteilt werden, sondern das Gesundheitssystem insgesamt gestärkt wird.“