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KOMMENTAR: Auch die Unappetitlichkeit hat zwei Seiten

ERBACH. - Die Bürgermeisterwahl in Erbach ist seit Sonntagabend gelaufen, das Ergebnis spricht für sich. Für Journalisten im Normalfall kein Grund, nachzukarten oder Bemerkungen nachzuschieben. Doch diese Einstellung teilen wohl nicht alle Kollegen.

Zwei Tage nach einer für mit abgedunkelter Parteibrille ausgestattete Provinzpolitiker und unkritische, verharmlosende Zeitgenossen enttäuschend verlaufenden Bürgermeister-Direktwahl, glaubt der Kommentator eines Printmediums im südlichsten hessischen Landkreis, noch einmal in die Tasten greifen zu müssen. Und noch einmal die schon wochenlang bemühten ungeprüften, unrealistischen Rechtfertigungsversuche aufwärmen zu müssen.

Möglicherweise habe sich der Wähler angewidert wegen unappetitlicher Auswüchse im Wahlkampf abgewendet und sei nicht zur Wahl gegangen, schreibt ein möglicherweise übermüdeter, weil schlussendlich doch mit dem „falschen“ Sieger feiernder Kommentator.

Dazu gilt es einiges anzumerken. Erstens ist eine Wahlbeteiligung von über 50 Prozent für Bürgermeisterwahlen in der heutigen Zeit durchaus bemerkenswert. Unappetitliche Auswüchse im Wahlkampf konnte allenfalls der entdecken, der mit Scheuklappen die herrliche Naturlandschaft Odenwald durchstreift, aktuelle Entwicklungen ignoriert, und den Schuss des Jägers auf den vermeintlich schlauen Fuchs überhört hat. Und der in den vergangenen vier Jahren irgendwo gelebt haben muss, nicht aber im hiesigen Landkreis.

Denn hier taten sich seltsame Dinge, die mit und im Umfeld einer umstrittenen und streitbaren Werbeagentur trotz diverser Gerichtsprozesse bis in die Gegenwart abgelaufen sind. Diese wurden zunächst von Journalisten öffentlich dargestellt, nach verantwortungsvollen und ernstzunehmenden Informationen aus den Ämtern und Behörden wohlgemerkt. Erst hernach dann von der Staatsanwaltschaft nach Anzeigen besorgter Bürger aufgegriffen.

Die Ermittlungsbehörde weist auch verantwortungsbewusst darauf hin, dass bis zum Beweis des Gegenteils stets die Unschuldsvermutung gilt. Diese Ereignisse und Erkenntnisse gehören an die Öffentlichkeit und sind keineswegs Anzeichen eines schmutzigen Wahlkampfs. Allenfalls Pech für Betroffene, wenn solche Dinge just im Wahlkampf vor einem ordentlichen Gericht ans Licht der Öffentlichkeit gezerrt und dort in ihrem ganzen Ausmaß offenbart werden.

Nur die Tagespresse vor Ort hat diesbezüglich seit Jahren echte Probleme mit der Darstellung der Gegenwart gehabt, erst nach Veröffentlichungen in Onlinemedien sowie TV und Hörfunk äußerst widerwillig ein paar Zeilen über vermutete Unregelmäßigkeiten beim Ex-Landrat und bei anderen führenden Politikern der noch geneigten Leserschaft dargebracht.

Sogar der Verlauf eines Gerichtsverfahrens wurde halbherzig im Blatt wiedergegeben und danach vor den Deutschen Presserat gezerrt. Von einem eigenen Mitarbeiter, der anschließend die Mitarbeit bei der Zeitung quittierte.

Und das alles, um nur nicht über inzwischen nachgewiesene Straftaten im Landkreis berichten zu müssen. Ist das die Aufgabe eines Mediums, einer Tageszeitung? Sollte sie nicht die Gegenwart abbilden, wie sie ist, und nicht, wie sie sie gern hätte?

Ein Medium, das etwas auf sich hält, recherchiert selbst nach Kräften, wenn es Dinge aufzuklären gilt, versucht nicht, im Gegenteil, Erkenntnisse zu unterdrücken und veröffentlicht gefälligkeitshalber keine ungeprüften PR-Texte, um sich der Obrigkeit anzubiedern.

Und läuft in seiner Berichterstattung nicht immer den Entwicklungen hinterher, weil andere Journalisten berichten und deren Erkenntnisse beim besten Willen der eigenen Leserschaft nicht mehr vorenthalten werden können.

Das sollte sich ein Kommentator einmal in Ruhe überlegen, bevor er wieder von einem unappetitlichen Wahlkampf schreibt, der in der Tat nicht stattgefunden hat. Zumindest nicht von Seiten der Herausforderer in Erbach.

Oder müssen wir hier wirklich noch von den realen Auswüchsen des Erbacher Wahlkampfs berichten, von Besuchen des Amtsinhabers bei Geschäftsleuten mit Boykottandrohungen bei falscher Unterstützung, von Aufforderungen bei Unternehmen, Wahlwerbung eines „falschen“ Kandidaten zu entfernen? Soweit wollten wir eigentlich nicht sinken.

Aber so hat eben auch die Unappetitlichkeit durchaus ihre zwei Seiten und ist keineswegs entkoppelt von der vermeintlich „richtigen“ Seite.