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Facharzt im Erbacher GZO zum Nachteil der Patienten vor die Tür gesetzt

Der Neurochirurg Klaus Werkmann zeigt einem Patienten die Funktion der Wirbel anhand eines Modells.

Die wichtige Patienten-Information an der Tür der fristlos aufgekündigten Praxis für Neurochirurgie Klaus Werkmann im Erbacher GZO wurde seitens der Verwaltungsleitung aus unerfindlichen Gründen bereits wiederholt überklebt.

Urkunden an der Tür zur Praxis von Klaus Werkmann in Erbach dokumentieren unzählige Auszeichnungen des Spezialisten für Wirbelsäulenerkrankungen. Fotos: er

Neurochirurg Klaus Werkmann, der seit 1995 als Facharzt niedergelassen ist, praktizierte seit 2013 im Gesundheitszentrum Odenwaldkreis in eigener Praxis und hatte dann Ende Juni 2024 mit dem vormaligen Geschäftsführer Andreas Schwab eine schriftliche Vereinbarung getroffen zur Übernahme seines Arztsitzes in das bestehende örtliche MVZ und einer weiteren damit zwingend verbundenen mindestens dreijährigen Beschäftigung im GZO, während die neue Geschäftsführerin Abir Giacaman hier „Verstöße gegen zwingendes Recht“ sieht

ODENWALDKREIS / ERBACH. - An der verschlossenen Eingangstür zur Praxis für Neurochirurgie von Klaus Werkmann im Gesundheitszentrum Odenwaldkreis (GZO) in Erbach prangt ein Schild, das behandlungsbedürftige Patienten über die aktuelle Situation informiert:

„Die Geschäftsführung des GZO hat mit sofortiger Wirkung sämtliche bestehenden Kooperationsverträge aufgekündigt. Dies hat zur Folge dass wir ab sofort auf unbestimmte Zeit weder eine Sprechstunde, noch Operationen am Standort Erbach anbieten können.

Sie können sich deshalb ab sofort auf Wunsch gerne weiterhin über unsere Sprechstunde am Standort Büdingen versorgen lassen, für lokale Lösungen können Sie sich auch gerne vertrauensvoll an die Geschäftsführung des GZO wenden“, heißt es dort.

Schulterzucken dokumentiert Unwissenheit zur Sache

Der verdutzte Patient, der den Facharzt für Neurochirurgie Werkmann in dessen Sprechstunde aufsuchen wollte, wendet sich irritiert an die Rezeption im Haupteingangsbereich des GZO und erfährt nur lapidar: „Herr Werkmann hat uns vor mehr als zwei Wochen verlassen.“

Alle Nachfragen, auch die nach der künftigen fachärztlichen Betreuung vor Ort, werden dem Mann nur mit einem Schulterzucken, sprich Unwissenheit zur Sache, beantwortet.

Geschäftsführerin weilt in Urlaub

Der Hinweis an der Tür zur früher Hilfe bringenden Praxis, man könne sich auch an die Geschäftsführung wenden, hilft ebenfalls nicht weiter, denn die seit dem 01. Juli neu installierte Geschäftsführerin Abir Giacaman befindet sich zum Zeitpunkt des Informations- und Hilfebedarfs bis Ende September in Urlaub.

Da bleibt dem Mann schließlich nur der Griff zum Telefon, um über die Hauptpraxis des Neurochirurgen in Büdingen Hilfe für seine Rückenbeschwerden zu erfragen. Schnell wird ihm erklärt, er könne selbstverständlich jederzeit zur Sprechstunde nach Büdingen kommen.

Schmerzlinderung nur im 105 Kilometer entfernten Büdingen möglich

Um in die Hauptpraxis von Klaus Werkmann ins 105 Kilometer entfernte Büdingen zu gelangen bedarf es allerdings dazu von Erbach aus für die einfache Wegstrecke einer knapp 90-minütigen Fahrt mit dem Auto, oder einer rund 3-stündigen Fahrt mit öffentlichen Verkehrsmitteln.

Beide Fahrvarianten sind nicht gerade prickelnd für einen mit heftigen Rückenschmerzen geplagten Menschen. Folglich wollte der Odenwälder von seinem Facharzt, den er „für seine heilbringenden Hände“ über Gebühr lobt, wissen, was der Grund für seinen Rückzug aus Erbach ist.

Und weil Neurochirurg Klaus Werkmann weder ein Geheimniskrämer ist, noch etwas zu verbergen hat, erfuhr der Patient die Gründe für dessen fristlosen Rauswurf aus dem Erbacher GZO durch Aufkündigung sämtlicher bestehenden Kooperationsverträge mit dem GZO durch die neue Geschäftsführerin.

Zweifelhafte Gründe für fristlose Vertragsaufkündigungen

Und da wird’s spannend, denn die der „fristlosen Vertragsaufkündigungen“ zugrunde gelegten Erklärungen basieren auf angeblichen Fakten, die keinerlei rechtlicher Überprüfung standhalten, wie aktuelle FACT-Recherchen ergaben.

So ist in dem Kündigungsschreiben vom 12. September 2024, der neuen Geschäftsführerin Abir Giacaman, das dem Arzt immerhin erst am selbigen Abend, nach einem langen OP-Tag persönlich in Gegenwart eines Zeugen übergeben wurde, zu lesen:

„Es ist davon auszugehen, dass Ihre Tätigkeit aufgrund des Konsiliararztvertrages eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung im Sinne des § 7 Abs. 1 SGB IV darstellt“

Diese Auffassung der Geschäftsführerin stütze sich auf „höchstrichterliche und gefestigte Rechtsprechung des Bundessozialgerichts“ wird weiter begründet.

Rechtsfolge des Vorliegens eines Beschäftigungsverhältnisses sei, dass „Beiträge an die Einzugsstelle abgeführt werden müssen“. Dies sehe der Vertrag nicht vor, „Er verstößt daher gegen zwingendes Recht.“

„Sofortige Beendigung der Zusammenarbeit sei notwendig und alternativlos“

Die sofortige Beendigung der Zusammenarbeit sei notwendig und alternativlos, um weitere drohende Rechtsverstöße zu verhindern, sagt Giacaman und ergänzt: „Ein Zuwarten im Rahmen der ordentlichen Kündigungsfrist gemäß des bisherigen Konsiliararztvertrages (sechs Monate zum Monatsende) ist in Ansehung des o.g. Kündigungsgrundes unzumutbar. Die ordentliche Kündigung wird hiermit dennoch vorsorglich hilfsweise ausgesprochen.“

Außerdem wurde der Arzt mit Kündigung des Vertrags aufgefordert: „Ihr Mikroskop, Ihre Instrumente sowie Ihre Implantate aus unseren Räumlichkeiten zu entfernen“.

In diesen Punkten scheiden sich allerdings die Geister. Der seit dem 01.07.2013 im Erbacher GZO als Konsiliararzt tätige Facharzt für Neurochirurgie Klaus Werkmann hat einen eigenen Facharztsitz seit 1995 und war von 1995 bis 2011 in Offenbach und Hanau in eigener Praxis tätig und ist seit 2011 im mittelhessischen Büdingen mit seiner Hauptpraxis niedergelassen.

Außerdem ist er Mitbegründer des Landesverbands der niedergelassenen Neurochirurgen (1998) gewesen, als auch Gründungsmitglied der 2006 gegründeten Deutschen Wirbelsäulengesellschaft, in der er unter anderem auch 6 Jahre lang Vorsitzender der Berufspolitischen Kommission war.

Tätigkeit in Erbach als neurochirurgische Zweigpraxis angemeldet

Seine fachärztliche Tätigkeit in Erbach ist als neurochirurgische Zweigpraxis angemeldet und von der kassenärztlichen Vereinigung Hessen per 20. Juni 2013 genehmigt worden, insbesondere „damit die Versorgung der Versicherten an den weiteren Orten verbessert wird“.

Mit dem Betrieb „der von Ihnen beantragten Zweigpraxis wird eine quantitative Verbesserung der Versorgung erkannt“, heißt es im Genehmigungsschreiben der KVH. Dies nicht zuletzt deshalb, weil ein Neurochirurg in Erbach, wie im gesamten Odenwaldkreis nicht ansässig sei.

Die nächste Niederlassung eines Facharztes für Neurochirurgie war damals und ist bis dato in dem an den Odenwaldkreis angrenzenden Landkreis Bergstraße in Viernheim und damit in etwa 50 Kilometern Entfernung zu erreichen. Weitere Praxen von Neurochirurgen sind in Darmstadt, Langen und Seligenstadt gar noch weiter vom Odenwaldkreis, insbesondere von Erbach entfernt.

Vorwiegend Patienten mit Wirbelsäulenerkrankungen behandelt

In Erbach hat Klaus Werkmann vorwiegend Patienten mit Wirbelsäulenproblemen betreut. Quartalsweise waren rund 300 Patienten bei ihm in Behandlung, etwa 50 bis 100 Operationen standen jährlich an.

Dafür hatte der Facharzt eine eigene Versicherung abgeschlossen, weil das Erbacher Krankenhaus diese Leistung zuvor nicht angeboten und folglich auch nicht versichert hatte.

Freistellungserklärung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) 

Der Auffassung der GZO-Geschäftsführerin, dass der seit 2013 bestehende Konsiliararztvertrag eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung darstellt, steht eine Freistellungserklärung der Bundesversicherungsanstalt für Angestellte (BfA) für Klaus Werkmann vom 27.02.1989 entgegen, die auf Nachfrage des Arztes per 09. Juli dieses Jahres ausdrücklich bestätigt wurde.

„Bei mir ist alles ordnungsgemäß geregelt“, sagt der Facharzt deshalb im Gespräch mit FACT. Das sieht der 66-jährige Neurochirurg nicht zuletzt auch aufgrund eines mit dem früheren GZO-Geschäftsführer Andreas Schwab Mitte Juni dieses Jahres gemeinsam unterzeichneten „Letter of Intent“ (LoI), einer sogenannten Absichtserklärung, völlig anders.

Er habe in seine Praxis am Standort Erbach nicht unerheblich investiert, sagt der Mediziner und führt neben seinem im sechsstelligen Kostenbereich angesiedelten Instrumentarium in Praxis und OP-Saal auch Büroausstattung wie Computer, Telefonanlage, Fax und Mobiliar an.

Selbst Personal habe er für den Praxisstandort Erbach in Teilzeit selbst angestellt, berichtet der Facharzt. Damit sei er definitiv kein Angestellter des GZO, sagt Werkmann. In einer Mail an die Geschäftsführerin vom 28. August 2024 äußert er „dass wir möglicherweise von unterschiedlichen Ausgangslagen ausgehen“.

Vom Aufsichtsrat genehmigte Absichtserklärung regelt Kauf und Preis des Arztsitzes

In dieser Absichtserklärung waren nach zweieinhalbjährigen Verhandlungen sowohl der Kauf des Arztsitzes durch das GZO als auch der Kaufpreis sowie die durch die kassenärztliche Vereinigung damit vorgeschriebene, auf mindestens drei Jahre befristete Tätigkeit des Facharztes am angekauften Arztsitz inklusive aller Zahlen geregelt.

Die Vereinbarung dieses LoI wurde im Juni 2024 vom Aufsichtsrat des GZO an die Geschäftsführung in Auftrag gegeben und sollte zum 01. Oktober 2024 umgesetzt werden. Im Vorfeld der von Abir Giacaman ausgesprochenen fristlosen Kündigung hatte die Geschäftsführerin, die seit 01. Juli 2024 die Geschicke des GZO in der Verwaltung leitet, jedoch dafür um Fristverlängerung zum 01.01.2025 gebeten.

Befristeten Anstellungsvertrag aus verständlichen Gründen abgelehnt

Gleichzeitig wurde dem Facharzt bis dahin ein zum Jahresende 2024 befristeter Anstellungsvertrag ultimativ und alternativlos vorgelegt, ohne jedoch den vereinbarten Kauf des Arztsitzes zu ratifizieren.

Aus verständlichen Gründen lehnte Klaus Werkmann dies ab, weil dabei weder eine Anschlussvereinbarung vorlag, noch ein ratifizierbarer Kaufvertrag und er somit zum 31. Dezember 2024 seine Tätigkeit in Erbach hätte sowieso definitiv einstellen müssen.

Gleichzeitig betonte er jedoch in einer FACT vorliegenden Mail vom 28. August 2024 an die Geschäftsführerin, bezugnehmend auf dieses Gespräch mit Abir Giacaman und der Geschäftsführung vom 18. Juli 2024, er fühle sich „an die im LoI vom 13. Juni 2024 getroffenen Vereinbarungen gebunden“.

Die Antwort der Geschäftsführerin folgte schlussendlich mit der oben näher beschriebenen fristlosen Kündigung des bisherigen Konsiliararztvertrags inklusive der von Klaus Werkmann im Erdgeschoss des GZO angemieteten Praxisräume.

Kurios: Nach fristlosen Kündigungen Teilzeitarbeitsvertag angeboten

Kuriosum am Rande: wenige Tage nach der fristlosen Aufkündigung der bestehenden Verträge hat die Geschäftsführung dem Arzt einen Teilzeitarbeitsvertag von wöchentlich zehn Stunden bis zum Ende des Jahres angeboten.

„Auch ein neuer Mietvertrag wurde mir für wöchentliche vierstündige Praxisarbeit für 2.000 Euro pro Monat vorgelegt, weil man offensichtlich erst im Nachhinein festgestellt hat, dass mit der fristlosen Kündigung eine Versorgungslücke entstanden ist.“

Damit aber nicht genug: im Internet wurde auf der Homepage des GZO die „dauerhafte Schließung der Praxis für Neurochirurgie Erbach von Klaus Werkmann“ angekündigt.

Aufsichtsrat hat Frau Giacaman angewiesen, den Arztsitz zu kaufen

Dieser Darstellung tritt der Aufsichtsratsvorsitzende des GZO, Landrat Frank Matiaske entgegen: „Der Aufsichtsrat hat Frau Giacaman angewiesen, den Arztsitz zu kaufen.“ Damit wäre aus gesetzlichen Gründen automatisch auch die mindestens dreijährige Weiterbeschäftigung des Facharztes Klaus Werkmann verbunden.

Auf FACT-Nachfrage bei Abir Giacaman nach den Gründen ihres Vorgehens erklärte die Geschäftsführerin, die gerade einmal gut 100 Tage an ihrem neuen Wirkungsbereich im GZO tätig ist: „Es ist richtig, dass wir den Vertrag mit Herrn Werkmann gekündigt haben. Das geschah aus juristischen Gründen.

„Benötigen die Finanzunterlagen der letzten drei Jahre“

Wir sind jedoch an einer Fortführung der Zusammenarbeit auf einer anderen Basis interessiert. Konkret haben wir Interesse an der Übernahme des Arztsitzes.

Dazu benötigen wir die Finanzunterlagen der letzten drei Jahre, um eine wirtschaftliche Bewertung vorzunehmen. Wenn der Kauf des Sitzes zustande kommt, dann würden wir Herrn Werkmann für die Dauer von drei Jahren beschäftigen.“

Verschwiegenheitserklärung (NDA) von Geschäftsführerin nicht vorgelegt

Diese Darstellung löst freilich weiteres Erstaunen aus, angesichts der bereits mit Frau Giacamans langjährigem Vorgänger Andreas Schwab noch im Juni 2024 vereinbarten LoI, in dem bereits alle Zahlen (diese sind der FACT-Redaktion bekannt) fixiert waren und zu denen Klaus Werkmann auch nach wie vor steht.

Dennoch war der Neurochirurg bereit, seine Geschäftszahlen der vergangenen drei Jahre offen zu legen, verlangte zuvor jedoch eine Verschwiegenheitserklärung (NDA) der Geschäftsführerin. Diese liegt ihm nach eigener Darstellung bis dato nicht vor.

Auf weitere FACT-Nachfrage bei Abir Giacaman, woran diese Verschwiegenheitserklärung bisher scheitere, antwortete diese: „Vielen Dank für Ihre weitere Anfrage und Ihr Interesse. Leider möchte ich auf weitere Details einer vertraglichen Angelegenheit nicht näher eingehen. Ich hoffe, Sie haben dafür Verständnis.“