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Deutliche Mehrheit für autofreien Marktplatz in Erbach: Details noch offen

Solche Blechlawinen wird es im kommenden Jahr auf dem Erbacher Marktplatz nicht mehr geben. Foto: mk-Presse

Ob, und, wenn ja, wie viele Behindertenparkplätze auf der nördlichen Seite vor dem Erbacher Schloss eingerichtet werden, soll Anfang nächsten Jahres - wie auch weitere Details der Verkehrsregelung und -Nutzung - noch besprochen werden. Foto: er

Emotionale, gleichwohl sachliche Diskussion um das seit mehr als zwei Jahrzehnten schwelende Thema im Zentrum der Odenwälder Kreisstadt endet in überwältigender Zustimmung für den Vorschlag des Bürgermeisters

ERBACH. - Es gibt kaum ein Thema, das die städtischen Gremien in Erbach so lange beschäftigt, wie die Befahrbarkeit, bzw. Nutzung des Erbacher Marktplatzes durch Fahrzeuge. Seit mehr als 20 Jahren vermochten es die jeweils zuständigen Mandatsträger nicht, sich zu einer wie auch immer gearteten Entscheidung durchzuringen.

Seit Donnerstagabend steht nun fest, das Areal rund um das Graf-Franz-Denkmal vor dem Erbacher Schloss wird ab dem kommenden Jahr im Zentrum komplett autofrei bleiben. Ausnahmen sind lediglich bei Großveranstaltungen im Schloss zugelassen.

Der fließende Verkehr ist lediglich im nördlichen Bereich als Zufahrt zum Schlosshof und im südlichen Bereich als Durchfahrt vom Schlossgraben zur Bahnstraße erlaubt.

Ferner darf das angrenzende Städtel künftig nur noch von Anwohnern mit Berechtigungsausweis befahren werden.

Nur zwei Gegenstimmen und eine Nichtabstimmung

Diesem Vorschlag von Bürgermeister Dr. Peter Traub trug die Stadtverordnetenversammlung mit einem überwältigen Votum Rechnung. Nur zwei Abgeordnete stellten sich dem Ansinnen entgegen und ein Abgeordneter verweigerte das Votum (alle aus den Reihen der Überparteilichen Wählergemeinschaft, ÜWG).

Kraft Amtes obliegt die Verkehrsführung der Stadt dem Bürgermeister, dem als Chef der städtischen Ordnungsbehörde die Entscheidung über Verkehrsführung und -Nutzung hoheitlich übertragen ist.

Gemäß seines Wahlversprechens, die städtischen Gremien bei allen wichtigen Entscheidungen einbinden zu wollen, hatte Traub jedoch Magistrat und Stadtparlament über seinen Plan informiert und erbat entsprechende Voten, an die er sich dann auch halten werde, wie mehrfach von ihm betont.

„Wenn man dem Einen wehtut, nutzt man dem Andren und umgekehrt“

Ausgetauscht wurden jetzt in einer lebhaften Diskussion noch einmal die unterschiedlichen Argumente. „Wenn man dem Einen wehtut, nutzt man dem Andren und umgekehrt“, brachte es Bauausschussvorsitzender Michael Gänssle (ÜWG) auf den Punkt.

Er berichtete von einem mehrheitlichen Votum pro Bürgermeister-Vorschlag aus dem Bauausschuss (siehe auch FACT-Bericht unter: www.de-fakt.de/bundesland/hessen/odenwaldkreis/details/?tx_ttnews).

Und FDP-Sprecher Rudolf Burjanko ergänzte: „Die Eier legende Wollmilchsau werden wir für den Marktplatz wohl nicht finden.“ Der ÜWG-Fraktionssprecher signalisierte zwar grundsätzliche Zustimmung zum Vorschlag des Bürgermeisters, differenzierte aber zwischen fließendem und ruhendem Verkehr.

„Marktplatz ist keine Umgehungsstraße“

„Wenn man mit Schrittgeschwindigkeit den Marktplatz im Auto überquert und dabei überholt wird, ist das ein Zustand, den keiner wollen kann“, sagte Gänssle. Der Marktplatz sei keine Umgehungsstraße.

Gleichwohl habe man hier fließenden Verkehr von „Menschen, die dort ein Anliegen haben“, gleich ob sie Einkäufe beispielsweise in einer in der Bahnstraße ansässigen Metzgerei tätigen, oder ein Eis beim Italiener am Marktplatz holen wollen.

„Wenn man diese Überfahrbarkeit einschränkt, und auf den oberen (Anmerkung d. Red.: südlichen) Teil beschränkt, könnten wir dem Ganzen irgendwie gerecht werden.“

Das Gleiche gelte allerdings auch für Gastronomen, die im Sommer ihre Stühle gerne raus stellen, auch in einer engen Straße wie der Bahnstraße, „wie das ja auch von uns im Süden, wenn wir in Urlaub sind, als sehr angenehm empfunden wird“, sodass man eventuell für Saisonzeiten einen anderen Verkehrsabfluss benötige.

„Entscheidung nicht über's Knie brechen“

Das könne gegebenenfalls auch über Zeitzonen wie andernorts in Fußgängerzonen geregelt werden. Deshalb müsse man sich noch darüber unterhalten, „ab wann brauchen wir die Fläche, ab wann soll sie attraktiv für Veranstaltungen der Zukunft, für Entwicklungen genutzt werden“, und ob es sinnvoll sei, den Platz für 24 Stunden an sieben Wochentagen zu schließen.

Eine solche Diskussion habe man so noch nicht geführt, und diese Entscheidung müsse man deshalb auch „nicht über's Knie brechen“.

„Der Mut des Bürgermeisters ist zu bewundern, einen Vorschlag raus zu hauen >So stelle ich mir das vor, was haltet Ihr davon<?“, lobte Gänssle die Initiative von Dr. Peter Traub, und bedankte sich für den Vorstoß, „auch wenn der Vorschlag gefühlte Schwächen hat, die man noch diskutieren sollte“.

„Wollen niemanden wirtschaftlich ruinieren“

Insbesondere sprach Gänssle damit „die Parkplätze für Menschen, die sich auf dem Pflaster schwer tun zu laufen“ an. Auch wolle man „niemanden wirtschaftlich ruinieren“ mit einer hier gefällten Entscheidung.

„Die erhoffte Chance, dass mehr Menschen auf den Marktplatz kommen und auch für mehr Umsatz sorgen, ist für viele Erbacher wie die Taube auf dem Dach“, sprach der Überparteiliche die Sorgen der Anrainer an.

Zweiteilung von Sommer- und Winterverkehrsregelung?

Das werde man beobachten müssen, sagte Gänssle, bezweifelte allerdings, „ob dazu ein Monitoring von einem Jahr ausreicht, um den Marktbeteiligten nicht zwischenzeitlich die Luft abzudrehen“.

Vor diesem Hintergrund sei wohl eine Zweiteilung von Sommer- und Winterverkehrsregelung die beste Lösung, die es noch zu diskutieren gelte.

Auch wenn man „es nie allen Menschen recht machen“ könne „sollten wir in der Diskussion nachvollziehbar sein, und die unterschiedlichen Interessen abwägen“ appellierte Michael Gänssle an seine Mitstreiter im Stadtparlament.

Nur Empfehlung keine Entscheidung

Letztlich aber könne das Gremium nur Empfehlungen aussprechen, denn es sei des Bürgermeisters Entscheidung, „das ist seine Hoheit, wir können nur sagen, was wir davon halten“. Um dies alles noch einmal in Ruhe zu besprechen, sei noch etwas Zeit erforderlich, auch wenn das rechtzeitig vor der Sommersaison 2020 erfolgen müsse.

Grundsätzlich zeigte sich Klaus-Peter Trumpfheller (CDU) mit den Ausführungen einverstanden, er sehe ein aktuelles Votum allerdings lediglich als „Initialzündung, dass man dem Vorhaben jetzt einen Anstoß gibt, und gleich Anfang nächsten Jahres mit der Detailplanung beginnen müssen“. Ergebnisse sollten dann spätestens bis März vorliegen.

„Es muss endlich losgehen“

Christa Weyrauch (GRÜNE) forderte: „Es muss endlich losgehen“, und widersprach damit dem Vorschlag von Michael Gänssle zu weiteren Vorab-Überlegungen.

Auch ihre Fraktion sehe den jetzigen Bürgermeister-Vorschlag noch nicht als hundertprozentig durchdacht, bzw. „so wie es uns besonders gut gefallen würde“, sagte Weyrauch, sah sich aber ansonsten mit Klaus-Peter Trumpfheller einig.

Volker Scheuermann (ÜWG) erläuterte noch einmal seine im Bauausschuss vorgetragenen Bedenken, mit denen er den „Tod des Marktplatzes“ prophezeit hatte, und relativierte dabei seine emotionalen Äußerungen ohne seine grundsätzliche Positionierung aufzugeben, die einer kompletten Sperrung des Marktplatzes entgegen steht.

„Nicht den normalen Gang genommen“

Bernhard Röck (ÜWG) monierte, der Antrag „so wie er formuliert wurde“ könne auf gar keinen Fall abgestimmt werden. Auch kritisierte er, die Angelegenheit habe nicht „den normalen Gang“ genommen.

Der Magistrat habe kein Weisungsrecht, einen Antrag in einen Ausschuss zu überstellen, das obliege vielmehr alleine dem Parlamentsvorsteher. Auch seien bisherige Abstimmungen dazu sowohl im Magistrat als auch im Bauausschuss „null und nichtig“, weil es ein Antrag sei, der darauf abzielt, etwas zu beschließen, dessen Kompetenz einzig und allein dem Bürgermeister unterstehe.

„Stadtparlament ist ein Beschlussorgan, kein Empfehlungsorgan“

Entscheidungshilfe könne man sich in einem solchen Fall in einer Bürgerversammlung holen, oder, wenn man das Parlament beteiligen wolle, dies im Wege einer Aussprache zu einem Magistratsbericht herbeiführen.

Jedenfalls dürfe es in keinem Fall als Beschlusspunkt Gegenstand einer Stadtverordnetensitzung sein. Das Stadtparlament sei schließlich „ein Beschlussorgan, kein Empfehlungsorgan“.

Duarte: „Rechtlich in Ordnung“

Röcks Vorschlag zu weiteren Beratungen in den städtischen Gremien traten der Bürgermeister und Stadtverordnetenvorsteher Antonio Duarte unisono entgegen.

Als „rechtlich in Ordnung“ sah Duarte die hier beschrittene Vorgehensweise. Sowohl die direkte Überweisung der Angelegenheit in den Bauausschuss, als auch die Beteiligung des Parlaments, sei es als Beschluss, oder nur als Votum sei eine Meinungsbildung, die man sehr wohl erfragen könne, da es kein Beschluss sei, der Bindungswirkung entfalte.

Duarte erinnerte in diesem Zusammenhang an einen entsprechenden Parlamentsbeschluss zur Verkehrsführung in der Unteren Hauptstraße, der unter Dr. Traubs Amtsvorgänger nicht umgesetzt worden war. Diesem war damals „die Parlamentsmehrheit zu gering“.

Dies sei aktuell anders, weil der Bürgermeister erklärt habe, er wolle sich an das Parlamentsvotum halten, bekräftigte Antonio Duarte noch einmal die Haltung des aktuellen Rathauschefs.

Freude über Zustimmung zum Kernanliegen

Dr. Peter Traub bedankte sich für die „angesichts der Bedeutung dieser Thematik sachliche Debatte“. Es gebe zu Recht immer wieder den Ruf nach einer stärkeren Beteiligung der Bürger, und diesem Ansinnen sehe er sich verpflichtet, betonte der Bürgermeister.

„Welch eine größere Beteiligung kann es geben, als wenn die gewählten Vertreter aller Bürger dieser Stadt um ein Votum in dieser Sache gebeten werden?“, fragte Traub. Er freue sich, dass gemäß der Redebeiträge eine Zustimmung für sein Kernanliegen vorliege.

„Flexibilität für alles, was links und rechts von meinem Kernvorschlag steht“

Seine Flexibilität sei darin zu finden, über alles zu reden, was „links und rechts von meinem Kernvorschlag steht“. Das schließe eine gesonderte Regelung für Sommer und Winter ebenso ein wie die Verkehrsführung vom Graben in die Bahnstraße, die Zahl der Behindertenparkplätze usw.

Das alles könne unter breiter Beteiligung der Gremien wie auch der Anrainer bzw. der Bevölkerung im Detail noch besprochen werden. Seine feste, subjektive Überzeugung, sei es, dass die Mehrheit der Erbacher Bürger den Marktplatz autofrei haben wolle, sagte der Bürgermeister.

„Stimmungsbild, ob Sie das Herzstück meines Vorschlags mitgehen können, erbeten“

Er wolle deshalb „ein Stimmungsbild, ob Sie das Herzstück meines Vorschlags mitgehen können“, bat Dr. Peter Traub die Stadtverordneten um ein entsprechendes Votum. Über Einzelheiten der Ausgestaltung werde man sich danach unterhalten.

Gernot Schwinn erklärte für die SPD, die Ausschussmitglieder seiner Fraktion hätten sich im Bauausschuss deshalb enthalten, weil auch sie der Auffassung seien, ein Parlamentsbeschluss über diese Angelegenheit könne nicht herbeigeführt, lediglich eine Empfehlung ausgesprochen werden.

Auch den rund um den Marktplatz angesiedelten Gastronomen müsse Planungssicherheit gegeben werden, betonte Schwinn. Deshalb sei zeitnah hier die künftige Nutzung des Areals im Detail zu besprechen.

„Endlich loslegen, sonst diskutieren wir in fünf Jahren immer noch“

Im Grundsatz befürworte auch seine Fraktion die Verkehrsberuhigung, wie vom Bürgermeister vorgeschlagen, sehe aber ebenfalls Detailfragen noch ungeklärt, und deshalb entsprechenden Beratungsbedarf.

Dem schloss sich Rudolf Burjanko für die Liberalen mit dem Vorschlag an, eine temporäre Lösung einzuführen, die Quartals- bzw. Halbjahresweise gemeinsam mit den Bürgern überprüft wird, ob sich diese Regelung bewährt. Gleichwohl müsse man „endlich mal loslegen, sonst diskutieren wir in fünf Jahren immer noch“.